Lesen ist Frauensache: Stefan Bollmanns „Frauen und Bücher“

Dass Lesen alles andere als langweilig ist, hat Marilyn Monroe demonstriert, die sich gerne beim Lesen fotografieren ließ. Spätestens ab da wusste alle Welt: Lesen ist sexy. Und: Lesen ist Frauensache. Stefan Rollmann geht in seinem Buch „Frauen und Bücher“, in dem er die Lese-Leidenschaft und ihre Folgen untersucht, aber noch weiter zurück – bis zu den Klassikern.

Über Goethes Werther etwa schreibt er: „In der Tat war die Werther-Lektüre reine Nervensache. Dieses Buch ging seinen Leserinnen und Lesern nicht nur unter die Haut, es traf sie im Glutkern ihrer Existenz.“ Damals, so konstatiert er, sei man geradezu süchtig gewesen „nach jenem Zustand der Übererregtheit… und schlußendlich einer gewissen Schlaffheit, den die damalige medizinische Literatur als Symptom einer überhitzten Einbildungskraft beschreibt“, wofür vor allem Frauen anfällig waren. Und weil Frauen über die Jahrhunderte ganz anders als Männer in ein Normenkorsett gepresst waren, flüchteten sie sich über die Lektüre in eine andere Welt. Lesen bot auch die Chance, sich der Kontrolle durch die Umgebung zu entziehen. 
Schon bald erkennen die an vielseitiger Lektüre geschulten Leserinnen, dass sie im Vergleich zu den Männern unterprivilegiert sind – und gehen dagegen an. Frauen beginnen zu schreiben und sich schreibend zu verwirklichen wie Mary Wollstoncraft, die sich zur „Verteidigung der Rechte der Frauen“ aufschwingt und die Frau als Vernunftwesen gewürdigt wissen will. Um 1800, so stellt Bollmann fest, kommt es dank der schreibenden Frauen und ihrem rebellischen Geist zu einer Umwälzung des Denkens, die eine sexuelle Revolution nach sich zieht. Frauen nehmen sich bis dato ungeahnte Freiheiten heraus, gehen Liebschaften ein, lassen sich scheiden. Nicht allen gefällt das. Lesen, so scheint es, fördert aufrührerische Ideen, Zweifel am eigenen Lebensentwurf aber auch sentimentale Träume vom ewigen Liebesglück. Mit letzterem und einem Rückgriff auf das Aschenputtel-Motiv hat schon die Gartenlaube-Autorin E. Marlitt ein vor allem weibliches Publikum beglückt. Ein Rezept übrigens, das immer noch zu funktionieren scheint, wie es der unglaubliche Erfolg von E.L. JamesFifty Shades of Grey“ zeigt, ein Buch, das laut Rollmann „letztlich ein Ehe- und Tugendroman“ ist, allerdings mit trotz aller Anspielungen auf Thomas Hardys „Tess von den d’Urbervilles“ „sehr dürftigem sprachlichem Repertoire“. 
Man sieht, Rollmann schlägt 443 Seiten einen großen Bogen. Vom emanzipatorischen Impetus bis zur aktuellen Fanfiction, von Virginia Woolfs Verlag Hogarth Press bis zur Joyce-Verlegerin. Die revolutionäre Macht des Lesens durchzieht das ganze Buch. Ohne Bücher, das lehrt die Lektüre, wären die Frauen noch lange nicht da, wo sie heute sind. Und ganz nebenbei wird klar, dass viele der negativen Einflüsse, die man heute dem Internet unterstellt, früher für Bücher galten…
Info: Stefan Bollmann, Frauen und Bücher, DVA, 443 S., 22,99 Euro 

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