Was haben Max Klinger, Richard Wagner, Max Beckmann und Neo Rauch gemeinsam? Richtig, sie wurden in Leipzig geboren. Die sächsische Stadt, die in diesem Jahr 20 Jahre „friedliche Revolution“ feiert, war nicht nur in der Kunst und der Politik oft ihrer Zeit voraus. Leipzig ist einer der ältesten Messestandorte der Welt, die weltweit erste Mustermesse wurde hier ausgerichtet. In Leipzig wurde der Deutsche Fußballbund gegründet(1900) und die erste Schrebergartenanlage der Welt(1865), benannt nach dem Orthopäden Dr. Daniel Gottlob Moritz Schreber. Hier steht die zweitälteste Universität (1409) und – mit dem Schillerhaus – das älteste Literaturmuseum Deutschlands (1785). Dichter, Komponisten und Gelehrte trafen sich im Coffe Baum, einem der ältesten Kaffeehäuser Europas (seit 1556). Auch als Verlagsstadt hat Leipzig Geschichte geschrieben.
Doch die Stadt, in der Schumann, Bach, Wagner, Mendelsohn Bartholdy und Grieg wirkten, in der Schiller seine Ode an die Freude schrieb und Angela Merkel studierte, schaut vor allem nach vorne. „Kommen Sie nach Leipzig, hier gibt es viel zu tun“, sagt Stadtführerin Birgit Scheffel, und angesichts der vielen Baustellen mitten in der Stadt glaubt man ihr gerne. Im Zoo entsteht mit Gondwanaland ein lebendes Geschichtsbuch der Erde samt Baumwipfelpfad. Vor dem Hauptbahnhof klafft eine gigantische Baugrube. Eine Riesen-Tunnelmaschine bohrt sich durch das Erdreich, Ziel ist der City-Tunnel Leipzig. Die „kürzeste und teuerste U-Bahn“, wie Scheffel spottet, soll über vier Stationen das Zentrum der Messestadt mit dem Hauptbahnhof verbinden. Auffallend auch die Baustelle am Augustusplatz, wo die noch 1968 gesprengte Universitätskirche St. Pauli in Umrissen als Aula mit Andachtsraum wieder ersteht.
Auf dem Sachsenplatz wirkt der gläserne Quader des Museums der Bildenden Künste wie ein Solitär. Das soll sich bald ändern. Die Stadt will die historische Baustruktur wieder herstellen und die nächste Bebauung wird sich „ans Museum herankuscheln“, wie Jörg Dittmer es ausdrückt, der für die Öffentlichkeitsarbeit des Museums zuständig ist. 3000 Gemälde und 1200 Skulpturen vom 15. Jahrhundert bis zur Moderne beherbergt der „Schuhkarton“, wie manche Leipziger den schlichten Neubau von Karl Hufnagel, Peter Pütz und Michael Rafaelian nennen. Die Architekten verarbeiteten viel Sichtbeton und Holz, schufen weite offene Innenräume, die Durchblicke schaffen und zum Flanieren einladen. Die Glaslamellen der Außenfront filtern das Sonnenlicht in den großzügig ausgestatteten Ausstellungsräumen.
Ende des Jahres wurde das mit 250 000 Euro größte Restaurierungsprojekt vollendet: Max Klingers „Christus im Olymp“. Den Werkschauen der großen Söhne der Stadt, Klinger und Beckmann, ist eine eigene Etage gewidmet. Ein großer Bereich mit indirektem Deckenlicht versammelt die Neue Leipziger Schule, Bilder des international gefragten Neo Rauch sind in einem eigenen Raum zu sehen.
Oder auch in der Spinnerei, wo sich Künstler in der alten Industriearchitektur nieder gelassen haben.
Rauch war hier Pionier, andere kamen nach, schließlich auch Galerien. Die einmalige Konzentration von Künstlern auf relativ kleinem Raum gilt deutschlandweit als Vorbild. Was einmal die größte Baumwollspinnerei Europas war, ist heute ein Dorado der Kunstschaffenden. Wo einst 4000 Arbeiter schufteten, sind heute Maler, Bildhauer, Galeristen kreativ – 550 Arbeitsplätze bietet die Spinnerei, 320 Mieter zahlen an die derzeitige Eigentümer GmbH, darunter ein Künstlerbedarf, eine Fahrradmanufaktur, ein Computerladen, ein Weinhandel, ein Buchbinder und – Sandro Porcu.
Der in Sibirien geborene Künstler arbeitet in einem Atelier mit Fenstern aus der DDR-Zeit. Der Wind pfeift durch die Ritzen, es ist eiskalt. Seit 14 Jahren baut der Mann mit dem Existentialisten-Image in der Spinnerei seine schrägen Installationen wie den verstörend lebensecht wirkenden „Mann auf dem Koffer“ oder „Last Minute“, einen Arm mit Koffer. Sozialkritisch will er sie verstanden wissen, „aber ohne pädagogischen Zeigefinger“. Das „Streichelbett“ mit gebleichten Straußenfedern – „funktioniert todsicher, ist aber ein Anschauungsobjekt“ – zeige, wohin die Reise geht, zu „Maschinen, die Menschen Gutes tun“. „Ganz schön traurig“, sagt der 42-Jährige und lächelt melancholisch. Und dann sagt er noch: „Früher waren die Künstler verrückt und die Sammler clever, heute ist es eher umgekehrt.“ Clever wie er ist, sucht Porcu derzeit „eine kleine, spießige Wohnung“ außerhalb der Spinnerei.
Da wird er nicht lang suchen müssen. An Wohnungen herrscht kein Mangel in Leipzig. Es gibt sie für jeden Geschmack, klein und bescheiden in ehemaligen Arbeiterhäuschen oder Plattenbauten, großbürgerlich mit viel Stuck im unzerstörten Gründerzeitviertel, luxuriös mit allen Schikanen in den sanierten Buntgarnwerken an der Weißen Elster oder in den teuren Lofts des In-Viertels Plagwitz, auch Klein-Venedig genannt. 90 Quadratmeter ab 300 Euro Kaltmiete.
„Kommen Sie nach Leipzig“, sagt Birgit Scheffel zum Abschied, „Hier bekommen Sie mehr für Ihr Geld“. Und jede Menge Feierlichkeiten dazu. Die Stadt schwelgt 2009 geradezu in einem Jubiläumsrausch: 200. Geburtstag von Felix Mendelsohn Bartholdy und 200. Geburtstag von Friedrich Schiller, 600 Jahre Universität, 125 Jahre Baumwollspinnerei und 20 Jahre Friedliche Revolution…