"Der Sinn ist nichts. Die Leidenschaft ist alles. Vielleicht das, was Goethe Idee genannt hat und Platon und die anderen, die wussten, dass der Sinn der Wirklichkeit die Leidenschaft ist, die hinter den Formen leuchtet. Leidenschaft ist mehr als Lust.“
Der ungarische Autor, der mit „Die Glut“ postum – Márai hatte sich 1989 erschossen -einen sensationellen Erfolg hatte, war kein einfacher Mensch, und auch als Autor gab der gebürtige Ungar gerne Rätsel auf. Auch der Roman „Die Schwester“ aus dem Jahr 1946 gehört gewiss nicht zu den Büchern, die man schnell vergisst. Gerade, weil er eher sperrig ist und sich dem Leser nur dann öffnet, wenn er den verschlungenen Gedankengängen des Pianisten folgt, der wohl ein alter Ego Márais ist.
Es geht um viel in diesem Roman im Roman: Um das Leben, die Liebe, das
Leid und vor allem um die Leidenschaft. Der berühmte Pianist und
Tagebuchschreiber Z. ist in einer – platonischen – Dreiecksgeschichte
gefangen. Bei der Flucht aus den emotionalen Verwicklungen gerät er an
seine Grenzen und verfällt einem Leiden, das ihn zugleich fordert und
läutert. In langen Monologen setzt er sich mit den eigenen Lebenslügen
auseinander, die wohl ursächlich für die Krankheit sind. Wie zuvor der
Musik ergibt er sich der Krankheit und wie ein Liebender ersehnt er
nachts die Morphiumspritze. Das Schwesternquartett, das ihn auf seinem
Passionsweg begleitet, nimmt er dabei kaum wahr und doch ist es eine
dieser Schwestern, die ihn dazu bringt, sich mit dem Rest von Leben, der
ihm bleibt, zu versöhnen.
Im ersten Teil des Buches begegnet der Schriftsteller dem Pianisten bei
einem Ereignis, das beide aus der tristen Langeweile einer verregneten
Bergweihnacht mitten im Krieg reißt – dem gemeinsamen Selbstmord eines
mittelalterlichen Liebespaars, das für damalige Zeiten eine skandalöse,
da nicht standesgemäße, Beziehung hatte. Der Tod wirkt wie eine
Katharsis, befreiend – auch auf den Schriftsteller und den Pianisten,
die über diese persönliche Katastrophe hinweg kurzfristig Zugang
zueinander finden. Jahre später bekommt der Schriftsteller die
Aufzeichnungen, von denen Z. ihm bei jenem denkwürdigen Spaziergang im
frisch gefallenen Schnee erzählt hat und die entschlüsseln helfen, was
er gemeint hat, als er von Menschenopfern sprach: „Alle Menschen… müssen
eines Tages die Leidenshaft auf sich nehmen wir ein Kreuz. Nur im Feuer
werden Menschen und Welt von der Sünde gereinigt. Glauben Sie, die Welt
brennt ohne Grund, jetzt, in jeder Stunde, bei Tag und Nacht?“
Info: Sándor Márai, Die Schwester, Piper,278 S., 18,99 Euro