Zwei Frauen in der Mitte des Lebens: Erika, verheiratet, reich, privilegiert und doch unzufrieden. Nevada, mit der Diagnose Multiple Sklerose aus ihrem gewohnten Alltag katapultiert.
Bei Nevada ist es die Krankheit, die sie dazu zwingt, sich ihrem Leben zu stellen, zu hinterfragen, was sie bisher daraus gemacht hat. Bei Erika ist es ein Fest für die „Freunde“, das ihr zeigt, wie wenig sie dazu gehört, wie brüchig die Familien-Kulisse ist, die sie aufgebaut hat. Von einem Tag auf den andere beschließt sie, ihr Leben umzukrempeln, „das wahre Leben“ zu wagen -ausgerechnet in einer Siedlung, die ein sozialer Brennpunkt in Zürich ist.
Von der Villa in den Wohnblock – größer könnte der Kontrast nicht sein. Und doch fühlt sich Erika erstaunlich aufgehoben in dieser Umgebung, ganz anders als mit ihren sogenannten Freunden. Die Worte der erfolgreichen Architektin Gerda hat sie immer noch im Ohr: „Eine Frau, die hierzulande zu wenig verdient, ist einfach selber schuld. Eine Frau, die verlassen wird, auch. Ich hab die Nase voll von den Weibern, die zu faul sind, um wirklich etwas zu leisten, und die sich dann beklagen, sie seien nicht wichtig!“ Nein, wichtig fühlt sich Erika auch da nicht, „wo die andere Hälfte“ lebt, Menschen, von denen sie und ihr Mann Max bisher kaum Notiz genommen haben. Doch eines weiß sie: zurück in ihr „unverdientes Leben“ will sie nicht. Sie will sich einbringen, sich nützlich machen.
Auch Nevada hat in der Siedlung zu tun, gibt einer Gruppe schwieriger Mädchen Yoga-Unterricht. Über Erikas schwergewichtige Tochter Suleika kommen sich die beiden Frauen näher. Beide erleben eine neue Art von Freiheit: Erika fühlt sich als Mensch akzeptiert und kann so auch der Beziehung zu ihrer Tochter eine neue Chance geben. Und Nevada: Die MS-Kranke fühlt sich endlich geliebt – vom jüngeren Dante, der an einem Hirntumor leidet. Als es für ihn Hoffnung auf Heilung gibt, sieht Nevada ihr Glück bedroht. Ein gesunder Dante, fürchtet sie, werde sie nicht mehr lieben können. Am Ende lässt sie es darauf ankommen…
Milena Moser schreibt voller Empathie über Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Auch über Dinge, über die man nicht spricht wie die Liebe zwischen Nevada und Dante, „zwei Versehrten“. Manchmal sind es ein bisschen zu viele Zufälle, ein bisschen zu viele Bekehrungen, ein bisschen zu schräge Charaktere. Aber vielleicht macht auch gerade das den Reiz dieses Buches aus. Zum Nachdenken bringt es die Leser allemal.
Info: Milena Moser, Das wahre Leben, Nagel & Kimche, 316 S., 19,90 Euro