So viel Schnee gab’s am Kronplatz schon lange nicht mehr. „Vielleicht vor 25 Jahren“, überlegt Franz Josef, der gelernte Koch, der jetzt als Skilehrer auf den Pisten unterwegs ist. Der Wintereinbruch in Südtirol hat den „Skiberg Nr. 1“ verzaubert, hat den Zäunen Hauben aufgesetzt, den Bäumen weiße Wintermäntel angezogen und die Masten der Aufstiegsanlagen in bizarre Eisskulpturen verwandelt. Auf dem Gipfel, dort wo die Liftanlagen aus den drei Tälern zusammenkommen und wo das runde Kronplatz-Restaurant bis zu 800 Wintersportler aufnehmen kann, fegt der Winterwind durch die Reihen der Skifahrer und Snowboarder und treibt sie vor sich her.
Die Friedensglocke „Concordia“, die seit 2003 für die Einigkeit zwischen den drei Talschaften hier oben steht und am Samstag, Sonntag und Freitag mit sonorem Klang den Mittag einläutet, muss erst die dicke Schneeschicht abschütteln, ehe der 500 Kilogramm schwere Klöppel anschlagen kann. 18 Tonnen schwer ist die Glocke, und die Menschen hier sind mächtig stolz auf das gute Stück, das in der 21 Meter hohen Stahlkonstruktion zum neuen Wahrzeichen des Kronplatzes geworden ist. Die Glocke läutet auch immer dann, wenn irgendwo auf der Welt die Todesstrafe aufgehoben, ein Verurteilter begnadigt wurde oder wenn ein Krieg zu Ende ging.
An diesem Tag ist die Aussichtsplattform Schnee überkrustet. Wie gut, dass das Relief elektrisch beheizt ist. Zu sehen sind auf einer Länge von rund 35 Metern all die umliegenden Berge mit Namen und Höhen. Ein Glück, denn in Wirklichkeit sind die Dolomitengipfel nicht einmal zu erahnen. Eine dicke Wolkenschicht hat sie verschluckt. Dabei rühmt sich der Kronplatz, der auf dem Pistenplan mit seinem kreisrunden Profil einem Glatzkopf gleicht, eines der schönsten Rundblicke der Alpen. Von den Gletschern der Marmolada bis zu den Zillertaler Alpen kann der Blick an klaren Tagen schweifen.
Eine schwache Sonne kämpft gegen die Nebelwände an, schickt ein paar Strahlen und holt wie ein Suchscheinwerfer eine der Abfahrten aus dem Einheitsgrau. Nichts wie hin. Denn der Schnee ist traumhaft, leicht und locker wie frisch geschlagene Sahne. Da fährt sich selbst die schwarze Sylvester runter nach Reischach fast wie von selbst, und auf den blauen Pisten wie der Costa oder der Belvedere, die ihrem Namen heute keine Ehre macht, schwingen selbst Anfänger talwärts als stünden sie schon immer auf den Brettern. An der steilen Pra da Peres rüsten sich Ski-Rennläufer fürs Training. Felix Neureuther war auch schon da, sagt Franz Josef. Die ständig durch eine orange Absperrung abgetrennte Piste ist bei den Athleten beliebt.
Auch Funsportler haben in Zukunft auf dem Kronplatz eine Heimat. Derzeit ist der neue Funpark bei der Abfahrt Belvedere noch im Bau. Mit einer Fläche von 58.300 Quadramtetern und einer Länge von 800 Metern soll er der größte in Südtirol werden. 100 000 Quadratmeter Schnee werden dafür „verbaut“, weiß Franz Josef. Wie gut, dass derzeit an der weißen Pracht kein Mangel herrscht. Die Schneekanonen, am Kronplatz normalerweise auch bei Schneefall in Betrieb, sind arbeitslos.
Nur die Schneekatzen müssen derzeit richtig schuften. Denn der Naturschnee lässt sich nicht so einfach steuern wie Kunstschnee. Über Nacht müssen die Männer auf ihren schnurrenden Riesen den Schnee komplett umpflügen, müssen die Buckel abtragen, die Skifahrer und Carver aufgeworfen haben, und die Pisten platt walzen wie ein Bügelbrett. Genuss-Skifahrer mögen keine Hindernisse. Nacht für Nacht sind deshalb am Kronplatz 26 Schneeraupen im Glattmacher-Einsatz. Bei solchen Pistenverhältnissen muss man auch im Nebel nicht stochern, weil keine unliebsamen Überraschungen im Schnee lauern.
Wenn die Nebel-Suppe dann doch zu dicht wird, laden Hütten zum Einkehrschwung. Bei diesen Sichtverhältnissen muss es nicht unbedingt die Schnapskurve „La Miara“ in Richtung St. Vigil sein. So richtig gemütlich ist die Oberegger Alm auf der Abfahrt nach Olang. Die Stube stammt noch aus dem Jahr 1680 ebenso wie die Rauchkuchl. Alex und Sabine haben den uralten Bauernhof zur gemütlichen Hütte umgebaut und Sabine bringt am liebsten urige ladinische Gerichte auf den Tisch wie die mit Spinat gefüllten Maultaschen, die kernigen Vollkornspätzle mit Speck, Kräutern und blauen Blumenblättchen oder den warmen Apfelscheiterhaufen mit Vanilleeis auf einem Himbeerspiegel. 5,90 Euro verlangt das junge Wirtspaar für das feine Dessert, das gut und gern als Hauptgang durchgeht. „Wir machen reelle Preise“, sagt Alex. „Wenn man Qualität liefern will, muss man auch ein bisschen mehr verlangen können.“ Derzeit sieht der schlaksige Wirt, der schon als Tourismus-Obmann von Olang die Wünsche der Gäste studieren konnte, allerdings wenig Spielraum nach oben. „Die Leute sparen wieder mehr“, hat er erfahren – auch beim Essen.
Alma, die blonde Wirtin im Restaurant Fana Ladin in St. Vigil, macht sich dazu noch keine Gedanken. In ihrem kleinen Restaurant mit der gemütlichen alten Stube lassen sich auch die Einheimischen gern mal auf ladinisch verwöhnen. Tultres heißen die im Schmalz herausgebackenen Teigtaschen, die mit Topfen und Spinat oder Sauerkraut gefüllt sind, Crafun nennt sich das Schmalzgebäck mit Hackfleischsauce. Dazu ein samtener St. Magadalener und die Welt ist in Ordnung. Franz Josef wird am nächsten Tag eifrige Schüler durchs vernebelte Skigebiet führen. Schließlich müssen einige Pfunde abtrainiert werden.