Ein Denkmal für Christoph Columbus würde man wohl in Calvi am allerwenigsten erwarten. Doch da ist es: Eine Büste auf einem steinernen Schiffsrumpf an der Mauer der Zitadelle. Der berühmte Seefahrer soll in Calvi auf Korsika das Licht der Welt erblickt haben. Eine Tafel innerhalb der im 13. Jahrhundert von den Genuesen errichteten Oberstadt weist auf ein inzwischen wohl verfallenes Geburtshaus hin. Warum Calvi? Weil es „semper fidelis“, immer treu, zu Genua stand und Christoph Columbus als Genuese galt. Dass neben Genua auch Städte in Portugal, Spanien, ja sogar in Norwegen und Armenien den Anspruch erheben, Heimat des inzwischen eher umstrittenen Entdeckers Amerikas zu sein, ficht die Korsen in Calvi nicht an. Einen Gegenbeweis gibt es schließlich nicht. Also könnte der Genuese Columbus ebenso gut in Calvi wie in Genua zur Welt gekommen sein.
Dabei braucht das Hafenstädtchen an der Nordwestküste Korsikas keinen
Columbus, um Entdeckerlust zu wecken. Schattige, enge Gassen
durchziehen die Zitadelle auf einem Kalkhügel. Im imposanten,
ehemaligen Gouverneurspalast haben sich die Fallschirmspringer der
Fremdenlegion nieder gelassen. In den Straßen der Oberstadt sind die
Männer in den erdfarbenen Tarnanzügen scheinbar überall. Nur in der
Kathedrale, die Johannes dem Täufer geweiht ist, sucht man sie
vergebens. Eine alte Frau zündet vor der blau gekleideten
Rosenkranz-Madonna, einem Geschenk aus Spanien, eine Kerze an. Andere
beten vor dem dunkel bemalten Christus am Kreuz, der mit einem
silbernen Lendentuch bekleidet ist. Der „Christ des Miracles“ soll der
Legende nach dabei geholfen haben, eine türkische Belagerung zu
beenden. Zum Dank wird die Statue bei den Prozessionen in der Karwoche
durch die Stadt getragen. Von den alten Mauern der Zitadelle öffnet
sich immer wieder der Blick auf die sichelförmige Bucht, in der sich
die kostspieligen Jachten von Abramowitsch & Co drängen. In der
trendigen Bar Tao mit dem grandiosen Ausblick auf Bucht und Berge
fließt denn auch der Sekt ab Mitternacht in Strömen. Dann lassen die
Herren der Jachten gerne mal 1000 Euro für eine Flasche Champagner
springen und die Schönen von Calvi lächeln dazu.
Sie lächeln auch in der korsischen Schmalspurbahn, die unbequem aber
unheimlich beliebt ist und trotz notorischer Unpünktlichkeit
rammelvoll. Auf den schmalen Schienen sind steinalte Züge unterwegs,
greise Veteranen im Dienst des Tourismus mit Rostbeulen und
Blechfalten. Mit 40 Sachen rumpeln die zwei Waggons an der Küste
entlang nach L‘Ile Rousse, oft nur eine Handtuchbreite vom Strand
entfernt. Wenn sich nicht gerade Mitreisende ins Bild schieben, flirrt
draußen ein Naturfilm im 3 D-Format vorbei: Türkisgrüne Buchten
zwischen Felsen gebettet und mit schneeweißen Sandstränden wechseln
sich ab mit schattigen Pinienhainen und sonnengefleckten Sanddünen. Mit
dem Zug zum Strand fahren ganze Familien mit Sack und Pack,
Sonnenschirm, Kleinkind und Gummiboot.
Nach rund 20 Kilometern ist Endstation in L’Ile Rousse, dem Städtchen,
das seine Existenz Korsikas Nationalhelden verdankt. Pascal Paoli
(1725 – 1807) hat Zeit seines Lebens für eine korsische Nation gekämpft
und wird bis heute als „U babbu di a patria“, als Vater des Vaterlandes
verehrt. Doch trotz seines weltweiten Einsatzes verkaufte Genua Korsika
1768 an Frankreich. Ein Jahr später wurde Napoleon als Franzose in
Ajaccio geboren und General Paoli ging nach London ins Exil. Dort in
der Westminster Abbey wurde der Widerstandskämpfer auch beigesetzt.
Erst 1889 wurde die Urne mit Asche des Nationalhelden in seine
Geburtstadt Morosaglia gebracht, wo sich heute auch ein Museum
befindet.
In dem von ihm gegründeten L’Ile Rousse, einem hübschen Städtchen mit
kuscheliger Altstadt, aber ist Paoli allgegenwärtig: Der schönste Platz
mit den Schatten spendenden Platanen ist nach ihm benannt und das
einzige Sternerestaurant der Stadt an der Rue Louis Philippe. Von
seinem steinernen Denkmal aus blickt der Held über das lebhafte
Marktgewimmel bis zum terrakottafarbenen Hotel Napoleon, einem Haus mit
großer Vergangenheit, in dem sich Europas Hochadel die Klinke in die
Hand gab. Heute ist das Hotel mit dem Namen des französischen Kaisers
ein Dreisterne-Hotel, das auch fürs gemeine Volk erschwinglich ist.
Und Napoleon? Der dritte Mann im Trio korsischer Helden hatte wohl
schon als Kind Führerqualitäten: „Ich fürchtete Niemanden, ich schlug
den einen, ich zerkratzte den anderen. Ich stellte mich als für jeden
respektgebietend dar“, erinnerte sich der französische Kaiser an seine
Kindheit auf Korsika. Gerne zog sich der Junge in die Wälder und die
unwegsamen Berge seiner Heimatinsel zurück, Schlupfwinkel auch für jene
Korsen, die bis heute die Unabhängigkeit der Insel herbei sprengen
wollen.
Doch, auch wenn viele starrköpfig und impulsiv sind wie einst der junge Napoleon,
die Korsen wissen, was sie am Tourismus haben. Sie breiten den
Touristen zwar nicht gerade den roten Teppich aus und große
Hotelprojekte wie auf Mallorca sind in Korsika Mangelware. Dafür haben
kleinere Ferienanlagen eine echte Chance. Das Feriendorf „Störrischer Esel“ bei
Calvi ist eine davon. Vor 50 Jahren schon hat sich der Club Alpin
Autrichien in Strandnähe ein Ferienlager hingestellt und bis heute gilt
hier wohl, was Mitbegründer Kurt Müller (74) so formuliert: „Die
Menschen wollen das Erlebnis Korsika und die Gemeinschaft.“ Heute
müssen die Gäste im Störrischen Esel nicht mehr Hand anlegen beim Bau
der Bungalows, beim Zubereiten der Speisen oder beim Abspülen. Sie
brauchen auch keine zwei Tage, um auf die Insel zu kommen, sondern
gerade mal eine Stunde vom Allgäu Airport aus. In der weitläufigen
Anlage mit den an Pappschachteln erinnernden Hütten, den großen Zelten
und den gemütlichen Bungalows wird deutsch gesprochen. Aber man habe
auch gute Freunde unter den Korsen, betont Müller. Und das ist wichtig.
Der pensionierte Lehrer weiß warum: „Die Korsen haben ein gewisses
Freiheitsdenken. Sie wollen ihre Insel nicht dem Tourismus opfern.“