Istanbul – Mondblau und bleigrau: Kai Strittmatters „Gebrauchsanweisung für Istanbul“

„Diese Stadt bläst die Klischees zu Staub, und zwar so gründlich, dass man einem jeden Deutschen unverzüglich eine Woche Zwangsurlaub verordnen möchte.“
Oder dieses Büchlein. Kai Strittmatters „Gebrauchsanweisung für Istanbul“ ist nicht nur in diesem Kulturhauptstadtjahr ein kundiger Begleiter für Reisende. Es eignet sich auch hervorragend dazu, gern gepflegte Vorurteile abzubauen. Vorurteile über die Türkei im allgemeinen und über Istanbul im besonderen, und es liest sich fast so schön wie eine Kurzgeschichten-Sammlung.

Der SZ-Korrespondent Strittmatter hat die Stadt bis in die hintersten
Winkel hinein erforscht, er hat mit Dichtern gesprochen und mit
Taxifahrern, mit emanzipierten Frauen und mit türkischen Machos. Er hat
in der Geschichte dieser ewigen Metropole geblättert und sich in die
Gegenwart verliebt. Denn trotz aller Kritik, die der Zugereiste am
Istanbuler Chaos übt, am Unvermögen seiner Bewohner, sich zu orientieren
und am Umgang der Behörden mit dem architektonischen Erbe ist sein Buch
eine Liebeserklärung an diese Stadt, eine Türkei en miniature.
Davon
zeugen schon die Kapitelüberschriften wie Mondblau (der Bosporus im
Mondschein), Silbern (Fische vor der Küste) oder Jadegrün (Sommer in den
Ufervillen), Flörten, Schmeicheln oder Sattweinen (beim Arabesk, dem
türkischen Schlager)– es gibt natürlich auch andere wie Blutsaugen (über
Istanbuls Neureiche) oder Bleigrau (über den heißen Wind Lodos). Doch hier ist auch
die kleinste Kritik ist von Sympathie getragen, und am Ende ist der
Leser überzeugt davon, dass er diese Stadt mit all ihren Schattenseiten
sehen muss. Dass er dem Schuhputzer auf den Leim gehen und einem Barbier
in die Hände fallen muss und dass er mindestens einmal im Leben zur
deutschen Residenz Villa Tarabaya hochklettern muss – ein Ort, „der
unter Starkstrom steht, wo man den Kopf bloß aus dem Fenster stecken
muss, damit das Hirn anfängt zu vibrieren“. Und sputen muss er sich
wohl, denn das Schöne hat nicht Bestand in dieser Stadt, in der
Spekulanten immer neue Häuser auftürmen – auch dort, wo einmal die
schönsten Holzhäuser standen. Wenn nicht noch im Kulturhauptstadtjahr,
so zumindest vor dem nächsten Erdbeben sollte man Istanbul gesehen
haben. Schon um zu sehen, ob die Schriftstellerin und Journalistin
Perihan Magden
Recht hat, als sie sagte, mit Istanbul sei es wie mit den
Straßenkötern: „Du wirfst nur einen Blick auf sie und es ist um dich
geschehen.“ 
Info: Kai Strittmatter, Gebrauchsanweisung für Istanbul, Piper, 239 S.,
14,95 Euro, ISBN 978-3492275927

Es gibt bisher keine Kommentare.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert