Der alte Mann breitet seine Arme aus, als wolle er die ganze Welt umarmen. „I love you,“ ruft er. Dann winkt er und strahlt übers ganze runzlige Gesicht. Johnny Barnes hält sich für den „glücklichsten Mann der Welt“ und er würde am liebsten die ganze Welt glücklich machen. Auf Bermuda hat er damit angefangen. Das ist jetzt 30 Jahre her. Johnny ist mittlerweile 83 und auf den Bermuda-Inseln kennt ihn jedes Kind. Fünf Tage die Woche steht der alte Mann am Crow Lane Kreisel vor der Inselhauptstadt Hamilton, winkt und wirft den Autofahrern Handküsse zu. „Guten Morgen“ ruft er und „Gott segne dich“.
Johnny ist ein frommer Mann. Seinen Feldzug fürs Glücklichsein
betrachtet er als eine Art Mission. „Die Welt ist für die Liebe
geschaffen“, beteuert er. „Jeder von uns trägt ein Echo Gottes in
sich.“ Fremde zu grüßen sei wie eine Art Erleuchtung über ihn
gekommen, erzählt er. Am Anfang hielten ihn die Leute für verrückt,
aber allmählich begannen sie ihn zu bewundern für seine Lebensfreude
und sein Durchhaltevermögen. Jetzt lieben sie ihn, haben ihn sogar in
Bronze gießen lassen. Wenn der leibhaftige Johnny einmal nicht da ist,
dann steht da immer noch sein bronzenes Ebenbild, nur einen
Katzensprung vom Kreisverkehr entfernt, und erinnert an Mr.
Friendlyness. Aber auch die Menschen auf Bermuda tragen Johnnys
frohe Botschaft der Freundlichkeit weiter. Es wird viel gelächelt auf
dieser kleinen Inselwelt von gerade mal 53 Quadratkilometern, und wenig
geflucht. Der Busfahrer wartet so lange, bis auch die alte Dame am
Stock eingestiegen ist, die jungen Leute bieten den alten ihren
Sitzplatz an. Blickt ein Fremder suchend auf seine Karte, kommt ihm
sogleich ein Bermudianer zu Hilfe. Gerade so als würde Bobby Mc Ferrin
hier jeden Tag sein Liedchen trällern „Don’t worry, be happy“.
Die gute Stimmung ist es auch, die viele Ausländer auf die Inselchen im
Atlantik zieht. David Bowie hat hier ein Haus und Silvio Berlusconi,
Michael Douglas, George Lucas und Ross Perot, der amerikanische
Multimillionär, der gegen George Bush in den Wahlkampf zog. Auch viele
Feriengäste haben dicke Brieftaschen und bekannte Namen. Henry
Kissinger war hier und George Bush, Diana Ross und Bill Clinton. Längst
wird der Grund und Boden in diesem Kleinststaat mit Gold aufgewogen,
gibt es mehr Golfplätze als landwirtschaftliche Betriebe. Banken und
Versicherungen haben in Hamilton ihre Kathedralen errichtet. Fehlende
Einkommenssteuer und striktes Bankgeheimnis locken vagabundierende
Dollar und Euro an – und die politische Stabilität. Die älteste
britische Kronkolonie ist eine Art Biotop, in dem sich britische Lords
and Ladys mit ehemaligen schwarzen Sklaven, flüchtigen Milliardären und
abenteuerlustigen Weltenbummlern eingerichtet haben. Doch allmählich
wird es eng in diesem Schmelztopf der Kulturen. Mit 63 000 Bewohnern
ist die Inselwelt ähnlich dicht besiedelt wie Hongkong. Die Angst vor
Überbevölkerung habe zu einem neuen Gesetz geführt, wonach
„Gastarbeiter“ höchstens sechs Jahre auf Bermuda bleiben dürfen -mit
Zwei-Jahres-Verträgen, verrät Vince, der Taxifahrer, während er sein
Auto über die kurvenreichen Straßen steuert und immer wieder auf schöne
Aussichten hinweist. Rosig sind diese Aussichten wie so vieles auf
Bermuda: die Häuser strahlen rosa, der Hibiskus blüht rosarot, der
Strand leuchtet pinkfarben und selbst die MAN-Busse sind rosa.
Vince steuert sein Taxi gemächlich durch Steinmauern, Oleander- und
Hibiskushecken in Ortschaften die Warwickshire heißen, Devonshire oder
St. George. Kein Grund zur Eile, mehr als 35 Meilen pro Stunde sind
nicht erlaubt. Auf den sieben Hauptinseln, die durch Brücken
miteinander verbunden sind, kommt man auch so voran. Das gesamte
Straßennetz ist gerade mal 100 Kilometer lang. Da sind dem Verkehr
Grenzen gesetzt. Eigentlich sollte jeder Haushalt nur ein Auto haben
mit maximal zwei Litern Hubraum, erklärt Vince. Doch findige
Bermudianer wüssten längst, wie sie dieses Ökodiktat umgehen können.
„Am besten mittels Omi oder Tante ohne Führerschein.“ Vince lacht
nachsichtig und erzählt, dass das erste Auto erst 1946 nach Bermuda
kam, eine Folge der amerikanischen Airforce-Basen. Bis dahin gab’s nur
Räder, Pferdekutschen – und eine Eisenbahn, die seit 1937 von einem
Inselende zum anderen schnaufte. Sie hat die Invasion der Automobile
nicht überlebt. 1948 wurde sie aufgelöst. Heute kann man auf dem alten
Railway Trail über die Insel wandern und auf dem Weg zu Gibbs
Leuchtturm so manchen Blick auf die Hinterhöfe des bermudianischen
Wohlstands werfen. Auf wilde Müllkippen und verblichene Bruchbuden.
Heinz Sievers, der deutsche Leuchtturmwärter, kennt das und trauert
alten Zeiten nach. Das internationale Geschäft mache die Preise kaputt,
kritisiert er. Leidtragende seien die jungen Leute, die sich kaum mehr
ein eigenes Haus leisten können, wenn Hunderttausende von Euro für
eine Bruchbude mit Meerblick hingeblättert würden. 1969 ist der heute
60-jährige Münsterländer auf Bermuda „hängen geblieben“. Seit sieben
Jahren betreut der gelernte Koch den Leuchtturm, der gerade erst wieder
eröffnet hat, nachdem er nahezu drei Jahre wegen Hurrikan-Schäden
geschlossen war. Die Zeiten seien auch auf Bermuda hektischer
geworden, bemängelt Sievers. Aber er lächelt dazu und schiebt schnell
nach: „Ich will nicht klagen. Meine Devise ist, nimm die guten Seiten
mit den schlechten.“ Und noch überwiegen für ihn die guten Seiten.
„Allein das Wetter“, schwärmt er und weist auf das unter dem blauen
Himmel türkis schimmernde Meer, in dem malerisch ein paar Boote
dümpeln.
Auch Thomas Mayer, der Augsburger, der als Food & Beveridge Manager
im Restaurant des Coco Reef Hotels die Gäste beim Essen und Trinken
berät, hat sich in die Insel verguckt. Und in eine Bermudianerin, von
der er mittlerweile schon wieder geschieden ist. Trotzdem könnte der
umtriebige 46-jährige sich vorstellen, auf Bermuda sesshaft zu werden,
schon wegen seiner Kinder. Aber auch, weil „das Leben hier so einfach
ist“ und trotzdem voller Überraschungen. „Was bei uns exklusiv ist, ist
auf Bermuda ganz normal“, sagt er und denkt an Sonne, Strand und
türkisfarbenes Meer. „Bermuda kommt mir gar nicht so klein vor, weil
man hier alles hat, selbst die neuesten Filme“, begeistert sich Thomas
Garlich, Resident Manager im noblen Pink Beach Club. „Mir fällt die
Insel noch lange nicht auf den Kopf.“ 260 Deutschen geht es ähnlich wie
dem mit einer Italienerin verheirateten Familienvater. Und wenn sie
wirklich mal Heimweh haben sollten, dann kommen sie einfach zusammen
und feiern Oktoberfest. „Da wird dann Erdinger Weißbier eingeflogen“,
freut sich Garlich. Groß und blond ist der Manager, aber seine Hosen
machen ihn zu einem echten Bermudianer. Garlich trägt Bermudas, in pink
natürlich.
Die kurzen Hosen gehören zur Insel wie die rosaroten Strände. Und ein
echter Bermudianer, weiß David H. M. Pedro von The English Sports in
Hamilton, trägt die Shorts von Ostern bis Oktober oder gleich das ganze
Jahr über. Aber es müssen natürlich echte Bermudas sein, mit
handgenähtem Saum, der eine Handbreit über den Knien endet. „Hosen, bei
denen man die Naht sieht, sind keine echten Bermudas“, sagt Herr Pedro
streng und runzelt missbilligend die Stirn ob solchen Frevels. „Man
sieht den Unterschied.“ In 25 Farben führt der Traditionsladen die
Shorts, auch in pink und korallenrot wie es sich für die Insel gehört.
Dazu noch kariert aus Madrasseide. Vor allem Europäer, verrät Herr
Pedro, kaufen die farbenfrohen, karierten Hosen zu 39,50 Dollar das
Stück. Der richtige Gentleman aber trage Kniestrümpfe, meist aus
Wolle, zu den kurzen Hosen, entweder in kontrastierender („rot zu
marineblau“) oder in passender Farbe. 14 Farben stehen zur Auswahl.
Vorschriftsmäßig gekleidet ist der Bermudianer aber erst, betont Herr
Pedro, während er stolz die Regale abschreitet, mit einem Hemd („kann
auch kurzärmelig sein“) samt Krawatte und einem Sakko. Auch die
gibt’s in allen Farbnuancen für jede Gelegenheit. Hier kann Mann schon
mal in einen Farbenrausch geraten, auch wenn für europäische Augen
selbst ein Adonis in rosa Hosen gewöhnungsbedürtig ist.
Sir George Somers trug keine kurzen Hosen, als sein Schiff 1609 auf dem
Weg nach Virginia an den Inseln des Teufels strandete, wie die
Bermudas wegen ihrer vielen Riffe und der merkwürdigen Vogelschreie
genannt wurden. Die Schiffbrüchigen aus England waren die ersten
Siedler auf den menschenleeren Inseln und das viktorianische Städtchen
St. George nahe dem Flughafen, ist nach Admiral Somers benannt. Auch
wenn die Briten den Aufenthalt nur dazu nutzten, um zwei Schiffe zu
bauen, mit denen sie Inseln nach zwei Jahren wieder verlassen konnten,
legten sie doch den Grundstock für die spätere Besiedelung und sie
gaben ihrer Zufluchtsstätte den Namen eines spanischen Seemanns, den
sie auf einem Felsen am Strand eingraviert fanden: Juan de Bermudez.
Ein Nachbau eines der Schiffe steht vor dem Hafen von St. George. Vor
dem Ozeanriesen der Norwegian Cruise Line, der gerade vor Anker liegt,
wirkt das hölzerne Segelschiff wie ein hölzernes Playmobil-Boot. Fünf
Kreuzfahrtschiffe sind in dieser Woche in Bermuda eingelaufen, eines in
St. George, zwei in Hamilton und zwei im malerisch restaurierten
Dockyard. „Unser Brot- und Buttergeschäft“, hatte Vince der Taxifahrer
gesagt. Auch Herr Pedro von English Sports freut sich, denn die
Kreuzfahrer sind fleißige Käufer und sie lieben Bermudas. Angst davor,
im berüchtigten Bermuda-Dreieck verschollen zu gehen, hat heute kaum
mehr ein Tourist.
16Sep. 2006