(Buch)
Autor: Ingrid Betancourt, Mélanie Delloye-Betancourt, Lorenzo Delloye-Betancourt
Verlag: LangenMueller Erschienen am: 2008-05-23 Seiten: 80 ISBN: 378443147X |
Am 2. Juli 2008 war es endlich soweit. Ingrid Betancourt, die Ikone der kolumbianischen Freiheitsbewegung, war frei – nach 2322 Tagen Geiselhaft. Die „revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“, die Farc, hatten die populäre Oppositionspolitikerin 2002 in den Dschungel verschleppt, wo sie unter menschenunwürdigen Bedingungen um ihr Überleben und ihre Würde kämpfte. Ein bewegendes Zeugnis aus dieser Zeit ist jetzt als Buch erschienen, Betancourts Brief an ihre Mutter, den sie im Oktober 2007 nach der Flucht eines Mitgefangenen, schrieb. Der geflüchtete Polizist Juan Pinchao spielte eine wichtige Rolle in der Befreiung der prominenten Geisel.
Als das Buch gedruckt wurde, war die Briefschreiberin noch eine entmündigte Frau, getrennt von allem, was für sie das Leben ausmachte. Eine Frau am Rande des Zusammenbruchs, am Ende ihres Widerstandsgeistes: „Maman, ich bin müde. Des Leidens müde“, schreibt sie. „Diese fast sechs Jahre Gefangenschaft haben mir gezeigt, dass ich weder so widerstandsfähig, noch so mutig, intelligent und stark bin wie ich dachte.“ Mit „angespannter Seele“ schreibt sie an ihre Mutter, deren tägliche Radiomitteilungen ihre einzige Verbindung zum realen Leben sind. Es ist der Hilferuf eines Menschen in existentieller Not, aber auch eine Liebeserklärung an ihre Familie, vor allem ihre Kinder: An Melanie, „meinen Frühlingssonnenschein, meiner Prinzessin des Schwanengestirns“ und Lorenzo „meinen Loli Pop, meinen Engel des Lichts, meinen König der blauen Meere“, aber auch an Sebastien, den Sohn ihres ersten Mannes, „meinen blauen Babou, meinen kleinen Prinzen auf Reisen zu den Gestirnen und den Vorfahren“.
Diese sehr persönlichen Zeilen voller Poesie könnten in einem anderen Zusammenhang kitschig wirken. Doch in dieser verzweifelten Botschaft einer Ertrinkenden, in dieser Beschwörung der Geliebten rühren sie ans Herz der Leser.
Alle Menschen ihrer Umgebung versichert die Farc-Geisel ihrer Liebe und Zuneigung, sie ermuntert die anderen, ihr Leben zu leben und bittet nur darum, nicht in Vergessenheit zu geraten. Doch das Schicksal der Franko-Kolumbianerin war nie nur Teil einer Statistik wie sie befürchtet hat; zu groß war ihre Anhängerschaft, zu mächtig der Name Betancourt, zu symbolträchtig das Bild einer abgemagerten Gefangenen im Busch-Verlies. Und ihre Familie hat nie aufgehört, an eine Rettung zu glauben. Das schreibt auch Melanie in ihrer Antwort auf den Brief ihre Mutter, der von weit her kam, „jenseits von Raum und Zeit“. Auch Melanies Antwort ist ein Liebesbrief. Sie appelliert an die Widerstandsfähigkeit der Mutter, an ihren Mut. „Wir verlassen dich nicht“, versichert die Tochter und „ Es wird wieder Bücher, Lachen und Leichtigkeit für dich geben.“ Sie sollte Recht behalten. Ingrid Betancourt ist wieder frei. Doch sie kann die Mitgefangenen nicht vergessen. Lachen und Leichtigkeit werden noch einige Zeit auf sich warten lassen.
Im Vorwort bittet Elie Wiesel im Namen der Menschlichkeit der Stimme Betancourts zu lauschen. Wer das Büchlein liest, wird zwar wenig über die Farc erfahren, auch wenig über die grausamen Details der Gefangenschaft, aber vielleicht weiß er am Ende, wie wertvoll Freiheit ist.
Info: Ingrid Betancourt, Meine liebe Maman. Mit einem Vorwort von Elie Wiesel, Langen-Müller, 78 Seiten, 14,95 Euro