„Hier leben Menschen, die in Österreich-Ungarn geboren, in Italien aufgewachsen und in Deutschland zur Schule gegangen sind, die in Jugoslawien gelebt haben und ihren Ruhestand in Kroatien verbringen und das, obwohl sie das Mirnatal ihr Leben lang nicht verlassen haben.“ Für Guido Schwengersbauer ist das gelebte Globalisierung. Der gebürtige Österreicher hat sich schon vor 35 Jahren in die grüne Halbinsel verguckt und ist seither einer ihrer treuesten Lautsprecher. Guido führt gern durch die Landschaft, über kleine Dörfer und trutzige Städtchen, zu Trüffelbauern und Ölmühlen, zu Winzern und Wirten. Man merkt: Der blonde, kernige Wahlistrianer ist ein Feinschmecker. Und Istrien sein (Schlemmer)Paradies.
Das kommt nicht von ungefähr. Seit dem Fall des eisernen Vorhangs hat sich viel geändert. Wo früher Ruinen standen, erheben sich heute propere Steinhäuser im traditionellen Stil mit blumenumrankten Balkonen. Wo man früher durch Ödland fuhr, schimmern heute silbern die Blätter junger Olivenbäume, blüht blau der Lavendel und riecht der Rosmarin nach Mittelmeer. Neue Weinberge wurden angelegt, Ölmühlen gebaut. „Unter den 100 besten Olivenölen sind zehn aus Istrien“, sagt Guido stolz.
Auch das von Tranquiliner Beletic in Torcin gehört dazu. Der 48-Jährige macht nicht nur ein ausgezeichnetes Öl, er hat auch seine eigene Ölmühle aufgebaut. Außen ganz traditionell in alter istrischer Bauweise, innen ganz modern, fast klinisch sauber wie ein Laboratorium. Hier können Beletics Landsleute ihre Oliven pressen lassen – aber nur die besten. Faule Ernte lehnt der Ölmüller kategorisch ab: „Nicht mit meiner Presse“. 24 Stunden lang ist die Ölmühle von Torcin während der Erntezeit in Betrieb und bezahlt wird nicht mit Geld, sondern mit Öl, das Beletic dann zu zwei Cuvees verarbeitet, die er neben seinen vier sortenreinen Ölen verkauft. Anders als den Wein kann man Olivenöl nicht lange lagern. „Das Öl verliert vom ersten Monat an“, sagt Beletic streng. Auch wenn es bis zu 18 Monaten haltbar ist, sollte man es so frisch wie möglich verbrauchen. Und was hält er von Trüffelöl? „Nichts“. Da ist der Ölmüller Purist.
Und das, obwohl sich unweit seiner Mühle der Motovuner Wald erstreckt soweit das Auge reicht. Der Trüffelwald Istriens. Hier scharren Trüffelhunde im Frühjahr die weißen Frühlingstrüffel aus der lehmigen Erde und erschnuppern im Herbst die aromatischen und deshalb heiß begehrten schwarzen Trüffel. Wer auf die Jagd nach der edlen Knolle gehen will, braucht eine amtliche Erlaubnis. Die Lizenz zum Trüffelsuchen bekommt nicht jeder und die meisten müssen sich damit begnügen, die Trüffel zu essen. In Öl eingelegt, geschnetzelt, als Paste, mit Honig oder Schokolade.
Unter der k.u.k.- Monarchie war das Mirnatal „ein einziger blühender Garten“, erzählt Guido Schwengersbauer aus der Geschichte, „schon damals war Istrien Erholungsland“. Und das ist es heute wieder. Vor allem die Deutschen kommen in Scharen, zum Campen die einen, mit der Yacht die anderen. Luxuriöse Schiffe liegen in der neuen Marina unterhalb der Altstadt von Vrsar. Wem sie gehören? Guido lächelt geheimnisvoll und schweigt. Die Familie Oetker, verrät er später, habe Villa und Yacht in der Gegend. Und auf den engen kurvenreichen Straßen, die sich die Berge rund ums liebliche Mirnatal hochwinden, könne man hin und wieder Ralph Schumacher begegnen.
Der Rennfahrer hat hoch droben auf einem Hügel bei Oprtalj ein Anwesen und braust gerne auf der Motorrad durch die Gegend, am liebsten mit Freunden. „Ein wirklich netter Mensch, ganz natürlich, ohne Starallüren“, lobt Guido den Deutschen. Auch bei Daniel Coslowich, der unter der Loggia von Oprtalj eine Art Jausenstation betreibt, ist Ralph Schumacher gern gesehen. Der junge Bauer serviert seinen Gästen alles, was auf seinem Hof produziert wird, feinherben Schinken, duftendes Olivenöl, kräftige Salami und Trüffelkäse. Dazu dicke Scheiben selbst gebackenes Brot und süffigen Wein. Der 27-jährige Coslowich ist einer der jungen Leute, auf denen die Hoffnungen des Landes ruhen.
Statt sich einen Job in der Stadt zu suchen, hat er sich auf seine Wurzeln besonnen und die elterliche Landwirtschaft wieder belebt. Das Land unterstützt diese Art Unternehmergeist mit günstigen Krediten für Landmaschinen und fördert den Agriturismus. Erfolgreich. 5000 Betten auf Bauernhöfen gibt es bereits im Innenland der Halbinsel. Auf der istrischen Weinstraße oder der Olivenölstraße kommen die Touristen auch ins Hinterland. Der Weg aus den touristischen „Epizentren“ wie Porec oder Rovinji lohnt sich: sanfte grüne Hügel, auf denen mauerumkränzte Örtchen wie Schwalbennester kleben, umgeben von Olivenhainen und Weinbergen. Und immer steht die (katholische) Kirche mitten im Dorf. Die Istrianer sind ein frommes Volk.
In Motovun ist am Sonntag die Kirche überfüllt. Himmlische Ruhe liegt über dem Hauptplatz, den der letzte der früheren fünf Türme dieser einstmals venezianischen Bastion dominiert. Eine weiße Katze döst in der Sonne, von der Stadtmauer aus schweift der Blick über die Dächerlandschaft ins grüne Hinterland bis zum Monte Maggiore, dem mit 1396 Metern höchsten Berg Istriens. Sonntägliche Ruhe auch in Groznjan, einst Zentrum des Olivenanbaus, heute Künstlerdorf und im wahrsten Sinn des Wortes bildschön. Sonnengelbe Rosen ranken an grauen Steinwänden, Geranien blühen rot auf schmiedeeisernen Balkonen, sattgrüner Efeu klettert bis unter die ziegelroten Dächer, ein Hund blinzelt träge in die Sonne, überall Bilder. Über 70 Galerien bieten ihre Werke an, Keramik, Gemälde und Schmuck. Aus einem Fenster klingt Geigenmusik, über einem Hinterhof klimpert jemand auf dem Klavier. Im Sommer findet hier eine Akademie der klassischen Musik statt, zu der Professoren aus aller Welt anreisen.
Es ist dieses Istrien, das Guido seit 35 Jahren liebt. Das Istrien jenseits des Massentourismus, jenseits auch der betonierten Strände. Das schmackhafte Istrien, das Anton Kernjus so schön verkörpert. Der stämmige Wirt in der Konoba Astarea, den alle nur Nino nennen, kocht noch ganz traditionell, mit heißer Asche. Auf der Feuerstelle gart in einem großen Metalltopf Steinbutt mit Kartoffeln, daneben Lamm in Gemüse. Selbst der Apfelstrudel kommt aus der Asche. „Wir arbeiten hier noch mit prähistorischen Methoden“, lacht Nino und strahlt über beide Backen. Seinen Gästen schmeckt’s: Der Steinbutt ist erste Sahne, butterweich und samtig, und die kross gebratenen Kartoffeln haben ein unvergleichliches Aroma. Auf den Tisch kommen nur Produkte aus der Region, Olivenöl aus der Gegend und istrischer Wein. Beim Genuss hört in Istrien die Globalisierung auf.