Ob Gärtnern ansteckend ist? Wenn man June und Jimmy anschaut, wohl schon. Zumindest liegt es in der Familie. Die Mutter hat ihren eigenen Garten und jetzt gärtnern auch Brüderchen und Schwesterchen. Sie haben die Liebe zum Garten mit der Muttermilch eingesaugt und werden sie ihr Leben lang nicht mehr los.
Jimmy jedenfalls hat nie etwas anderes gemacht als Gärtnern. Schon als kleiner Junge kannte er nichts Größeres als Löcher zu buddeln und kleine Bäume einzupflanzen. Das ist auch heute nicht anders, nur sind die Bäume größer geworden. Seit sechs Jahren herrscht der 37-Jährige mit dem schmalen Gesicht, der in Jeans und karierter Jacke aussieht wie ein englischer Landlord, über sein grünes Reich auf dem Lamb Hill bei Blessington im County Wicklow. Manchmal setzt er sich auf den von einem Künstlerfreund gezimmerten Holzthron und schaut zufrieden auf seine pflanzlichen Untertanen. Die Rosen knospen, wie ein großes Auge blinkt der blaue Mohn im dichten Grün, eine zarte Tigerlilie reckt sich der Sonne entgegen, die dürren chinesischen Bäume wirken wie Skulpturen von Giacometti, und Fred, der Hund, liegt zwischen den kleinen Pflänzchen, die Jimmy noch einsetzen will. Lange hat der Gärtner nicht Zeit, sich an seiner Schöpfung zu erfreuen. Sie ist immer im Wandel und nie fertig.
Schwester June, deren schmales Gesicht die Verwandtschaft nicht leugnen kann und die in Jeans und blauer Arbeitsjacke eher burschikos daherkommt, hat länger gebraucht, um ihren Lebenstraum zu verwirklichen. Ein Gedicht des irischen Philosophen John O’Donohue gab den Ausschlag. Zum Dank steht es jetzt, auf Stein geschrieben, mitten im Grün:
"May I have the courage today
To live the life I would love
To postpone my dream no longer
But do at last what I came here for.
And waste my heart on fear no more.”
Vor sechs Jahren hat die heute 53-Jährige den Mut gefunden, ihren Traum nicht länger aufzuschieben und hat ihren Garten angelegt. Die Pflanzen harmonieren farblich miteinander, silbrig grün, blau und weiß, dazwischen ein bisschen rosa – wie ein kunstvolles Collier. June war Schmuckdesignerin und ihr Garten erzählt auch von dieser Zeit ihres Lebens. Doch den Alltag kann sie nicht ganz ausklammern. Der Lärm der Straße dringt auch durch die Bäume und im künstlichen Wasserspiegel badet nicht nur das hohe Gras mit dem silberweißen Rand, sondern auch die Stromleitung. „Ein Desaster“, seufzt June und wendet sich ab, grad so als könnte sie die hässliche Oberleitung ausblenden. Ihr Garten ist ihr Paradies, dafür würde sie sogar Berge versetzen. Unter dem Grundstück ihrer Mutter hat sie einen kleinen Hügel aufgeschüttet. Das soll eine grüne Plattform werden. „Von da oben hat man den schönsten Blick auf den Garten“, schwärmt sie. Auch June ist noch lange nicht fertig. Am Rand liegen neue Steine für neue Beete und am Landhaus aus irischem Granit entsteht ein Wintergarten.
Vielleicht legt sie ja auch noch einen "edible garden" an, einen essbaren Garten. Denn das ist der neue Trend in Irland, wie Tycho Mays verrät. Der junge Gartenarchitekt mit der widerspenstigen dunklen Haartolle wirkt wie ein erwachsener Harry Potter und am liebsten verzaubert er die Gärten seiner Landsleute. Früher, erzählt er, bekam er Aufträge für Gärten, die Hunderttausende von Euro kosteten. Das ist jetzt wohl vorbei. „Heute kommen ganz normale Leute und wollen für 200 Euro ihren Garten verschönern.“ Auch denen kann geholfen werden, dachten sich Tycho und seine Frau und gründeten die Firma Howbert & Mays, die Amateurgärtnern bei der Verschönerung ihres häuslichen Grüns zur Seite steht.
Es muss ja nicht so perfekt sein wie der manikürte Park von Powerscout, in dem Irlands einziges Ritz Carlton steht. Vom ehemaligen Herrenhaus, das einen Souvenir-Supermarkt beherbergt, ist der Blick zum Sugarloaf-Mountain, dem irischen Zuckerhut, über die Freitreppe und den riesigen Teich mit den steinernen Skulpturen allerdings märchenhaft schön. Auch der Park von Killruddery House, wo die üppig blühenden Rhododendren in den Himmel zu wachsen scheinen, ist sorgfältig gepflegt.
Gartenarchitekt Tycho mag’s lieber natürlicher wie etwa in Mount Usher Gardens, wo 5000 verschiedene Pflanzen unter und zwischen mächtigen Bäumen gedeihen. „Man soll den Eindruck gewinnen, an einem schönen Ort zu sein“, umreißt Shaun, der Gärtner das Ziel seiner Bemühungen. Besonders stolz ist er auf die 20 Champion Trees, also die Schönsten ihrer Art, einen gigantischen Tulpenbaum etwa, einen chilenischen Feuerbusch, eine mexikanische blaue Pinie. Alles Natur pur. „Wir benützen keine Chemikalien“, sagt Shaun und sein hageres, wettergegerbtes Gesicht unter der Schiebermütze verzieht sich zu einem freundlichen Lächeln. Bei Neupflanzungen kommen Blut, Fisch und Knochen mit in die Erde „just to give them a start“, damit sie über die Runden kommen. Nur bei Nacktschnecken ist John gnadenlos. Er fängt sie in mit Bier gefüllten Fallen. Und dann? John grinst diabolisch. „Und dann schneide ich sie entzwei.“
Den Schnecken hätte es auch in Altamont gefallen. Alles trieft hier vor Nässe. Das Herrenhaus, längst unbewohnt und im Würgegriff eines mächtigen Blauregens, erinnert an Emily Brontes „Wuthering Heights“. Auch der Garten wirkt wie verwunschen. Zwischen in Form getrimmten Buchsbäumen führt der Broad Walk hinunter zu einem großen See, für den 100 Männer zwei Jahre lang einen Sumpf ausgehoben haben. Das war in der Mitte des 19. Jahrhunderts, damals, als die große Hungersnot, ausgelöst durch die Kartoffelpest die irische Bevölkerung dezimierte.
Vielleicht denken viele Iren auch daran, wenn sie heute wieder Gemüse und Salat in ihrem Garten anpflanzen. „Grow your own“ liegt im Trend, hat Tycho gesagt. Auch Tom und Patricia tun es in Knockrose Garden. Und Besucher bekommen sogar Kurse, wie sie das Selbstangebaute am besten zubereiten. Denn, sagt der kräftige Tom mit dem kahlen Schädel, „die meisten haben verlernt, wie man so etwas macht.“ Doch Knockrose Garden ist nicht nur Nutz- sondern auch Ziergarten. Filigrane Gebilde einer befreundeten Künstlerin hängen zwischen den Bäumen, malerische Plätzchen laden zum Verweilen ein. Sorgsam sucht Patricia die Pflanzen aus, die farblich am besten zueinander passen. Kardinalrote Pfingstrosen neben himmelblauen Vergissmeinnicht und dazwischen unschuldig weiße Lilien. Tagtäglich sind Tom und Patricia im Garten, oft bis tief in die Nacht. „Wir vergessen einfach, ins Haus zu gehen“, sagt John. Auch ihn scheint das Gartenvirus mächtig erwischt zu haben.