So muss es vor langer, langer Zeit mal ausgesehen haben, als es noch Dinosaurier gab und keine Menschen. Königsfarne wuchern über klarem Wasser, fantastisch aussehende Drachenbäume und wuchtige Terpentinbäume machen sich den Platz an der Sonne streitig, im spiegelglatten See scheint die Sonne zu baden und die kahlen Bäume auf der einsamen Wanderdüne wirken wie ein Bild von Dali. Fraser Island wäre die perfekte Kulisse für den Traum von der Urzeit – wenn die Autos nicht wären, die den Strand entlang brettern als lieferten sie sich ein Formel 1-Rennen. Und dann die Jeeps. Sie sind überall in diesem Nationalpark Kein Sandweg ist ihnen zu buckelig, keine Rinne zu tief, kein Abhang zu steil, um nicht mit dem Wagen hinein zufahren in die Wildnis der gerade mal zwei Millionen Jahre alten Sandinsel – auch auf die Gefahr hin, im Sand stecken zu bleiben.
„Fraser ist so ein Ort, an dem alles passieren kann“, weiß Peter Meyer. Der Fotograf und Ranger mit den deutschen Wurzeln lebt seit 1995 auf der Insel und kennt jeden Winkel. „Wir sind ziemlich abergläubisch“, fügt er in seinem tastenden Deutsch hinzu, „wir denken, die Natur erteilt uns eine Lektion.“ Aber die Touristen liebten Missgeschicke, versichert der blonde Hüne. Wie damals, als ein Bus am Strand durch eine hohe Welle brettern musste und den Fahrgästen das Wasser buchstäblich bis zum Hals stand. Nur die blinden Passagiere, drei Fische, fühlten sich da noch wohl. Peter lacht, als er sich daran erinnert. Manchmal schlägt die Natur eben zurück. Der schlanke Ranger, mit dem schmalen Gesicht unter dem Lederhut und den feingliedrigen Händen eine deutsche Version von Crocodile Dundee, kann sich trotzdem kein schöneres Leben vorstellen. Er liebt die Natur, die Pflanzen und die Tiere und auf Pirsch geht er nur mit der Kamera. Seine großformatigen Fotografien hängen im Kingfisher Resort, dem einzigen Hotel auf der Insel, und sie machen Lust, Frasers Schönheiten zu allen Tageszeiten zu erkunden.
Seit 1973 ist die größte Sandinsel der Welt Nationalpark. Aber noch bis 1991 wurde hier Forstwirtschaft betrieben und damit auch Raubbau an der Natur. 3000 Kilometer Straßen gab es damals – heute sind es gerade mal 800 Kilometer –, und eine Eisenbahn. 120 Männer lebten in dem heute verlassenen Holzfällercamp; Ochsen schleppten die gefällten Bäume bis zum McKenzie Steg, wo die Fähre anlegte. Die Holzindustrie hatte seit 1863 Tradition auf Fraser; nicht so der Sandabbau, mit dem 1971 begonnen wurde. Nach heftigen Protesten der grünen Bewegung wurde er 1976 wieder eingestellt. Heute, sagt Peter Meyer, ist der Tourismus größer und wichtiger als es die Holzindustrie jemals war.
Der Ranger ist froh darüber. Er möchte den Menschen die Natur näher bringen, sie an ihre Verantwortung für die Umwelt erinnern – aber nicht mit erhobenem Zeigefinger. Schließlich braust Frasers Crocodile Dundee auch gerne mit dem Jeep durch die Landschaft, genießt den Rock’n Roll über die Sandpisten. Aber der studierte Biochemiker und Ökologe denkt darüber nach, was er tut. Ganz Fraser ist für ihn eine Art Lebewesen und die Sandwege durchziehen die Insel wie lebenswichtige Arterien. Die Idee kommt nicht von ungefähr. Berichtet doch die Legende von der Göttertochter K’gari, die die Erde so sehr liebte, dass ihr Vater sie in eine Insel verwandelte mit Seen, durch die sie in den Himmel schauen konnte: Fraser Island.
Peter Meyer erzählt gerne solche Geschichten, die ihren Ursprung in den Mythen der Aborigines haben, die einstmals auf der Insel siedelten. Er hat sich seine eigene Australien-Mythologie zusammengereimt und bevölkert sie mit Baumgeistern und Feen. Der Jeep hält abrupt und Peter zeigt auf einen knorrigen Baum, der aussieht – wie ein Drache, nein, wie der Drache in der Unendlichen Geschichte, Fuchur. Doch der Baum hat noch ein zweites Gesicht, über den Wurzeln: das Gesicht eines alten Indianers. Kein Wunder, dass der Ranger in diesen Wäldern, über die der Lachende Hans seinen zwitschernden Spott ausschüttet, überall Geister zu sehen glaubt…
Es ist eine urtümliche Landschaft. Dieser vielfarbige Sand am Rainbow Creek, mal hellgelb, dann wieder ockerfarben, rostrot, nougatbraun oder golden. Der glasklare Lake McKenzie im schneeweißen Sandbett, der durchsichtige Süßwasserbach Eli Creek, der sich aus reinem Quellwasser speist, die dottergelben Sandpyramiden der Pinnacles, auf die uralte Kasuarinen ihre Schatten werfen. Die tückischen grauen Mangrovensümpfe nahe dem Kingfisher Resort, in denen jeder Fehltritt gefährlich ist, weil der dunkle Schlick nur ungern wieder freigibt, was er mit schmatzender Zufriedenheit umschlossen hat.
Bei seinen Streifzügen über die Insel hat Peter mit der Kamera all das erforscht, hat Sonnenuntergänge fotografiert und Nebelschwaden, Blumen und Vögel, das malerisch verrostete Schiffswrack der Maheno – eine Welt ohne Menschen. Zum Fotografieren kam der 38-Jährige per Zufall, nachdem er sich schon als Tennislehrer, als Barkeeper und als Dachdecker durchs Leben geschlagen hatte. Vor zehn Jahren bekam er einen alten Fotoapparat in die Hände und seither fotografiert er – mit wachsender Leidenschaft und viel Liebe zur Natur getreu seinem tibetischen Wahlspruch: „Wir schützen nur, was wir lieben. Wir lieben nur, was wir verstehen. Wir verstehen nur, was wir studieren.“
Es ist eine Liebe, die wenig Raum lässt für andere Leidenschaften. Vor neun Monaten ist seine letzte Beziehung in die Brüche gegangen. Nicht jede(r) hält das Leben auf der Insel aus, auf der es mehr Dingos als Menschen gibt. „Man kann halt nicht alles haben“, sagt Peter und grinst verlegen. Er hat sich für Fraser entschieden, hat Grund gekauft und baut gerade sein Haus. Eine Galerie plant er dort mit seinen Bildern von der Insel und aus aller Welt. Hin und wieder muss selbst ein Inselliebhaber wie er unter die Menschen.