Das Plakat draußen macht Lust: Ein Mann mit Zylinder und Monokel sitzt vor einem Glas, aus dem sich ihm verführerisch eine grüne Fee entgegen reckt. Den Zylinder braucht man nicht für einen Besuch in Frankreichs einziger Absinth Bar in Antibes. Dany, der elsässische Besitzer, hat vorgesorgt und jede Menge Hüte in der winzigen Kellerbar gestapelt. So kann man sich fühlen wie Vincent van Gogh oder Henri Toulouse Lautrec, Edgar Allen Poe oder Arthur Rimbaud, die allesamt gerne mit der grünen Fee flirteten, die ihnen nach reichlich Absinth-Genuss ihren Besuch ankündigte.
Das Gewölbe aus dem neunten Jahrhundert mit einem Brunnen aus der Römerzeit ist dem Getränk angemessen, das laut Dany seit 1600 vor Christus als Medizin getrunken wurde „gegen Cholera und Malaria“ und praktisch gegen alle Bakterien immun machte. Woher aber kommt dann der schlechte Ruf des Absinths? Die Legende, dass der Genuss verrückt mache oder blind oder gar beides? Dany, der große Graue, lächelt und sagt: „Von schlechtem Absinth kann man blind werden – wir haben nur guten Absinth.“ Vier Pflanzen bilden die Grundlage für das selig machende Gebräu: Wermutkraut mit dem halluzinogenen Wirkstoff Thujon, Fenchel, Ysop und grüner Anis. Dazu kommt 65- bis 72-prozentiger Alkohol. „So stark wie Chinin“, schwärmt Dany, sei die antiseptische Wirkung des Getränks, das angeblich schon Johannes in seiner Apokalypse genannt hat: "…ein großer Stern mit dem Namen Absinth fiel vom Himmel und fiel auf den dritten Teil der Wasserströme und Brunnen, so daß sie bitter wurden.“
Wieder belebt wurde die Absinth-Tradition Ende des 18. Jahrhunderts im Schweizer Jura. Dort kam ein Arzt aus Besancon mit dem Namen Dr. Ordinaire per Zufall an die Rezeptur, die alsbald als "Elixier des Doktor Ordinaire" Furore machte. Über einige Umwege gelangte das Rezept an Henri Pernod, der 1805 in einer Waschküche in Pontarlier die erste Absinth-Brennerei einrichtete. Unter Napoleon tranken die Soldaten Absinth mit Wasser gegen Fieber und Durchfall. Damit begann der Siegeszug des Kult-Getränkes, dem vor allem Dichter und Maler huldigten. Oscar Wilde verglich die Wirkung von Absinth mit einem Sonnenuntergang und für Charles Baudelaire gab der Zaubertrunk „dem Leben seine feierliche Färbung und helle seine dunklen Tiefen auf". Verbürgt ist die euphorisierende und stimulierende Wirkung, der vielleicht einige der größten Kunstwerke des letzten Jahrhunderts zu verdanken sind. Doch schlechter Alkohol und maßloser Genuss ruinierten den Ruf des ehemaligen Heiltranks. Es löse epileptische Anfälle aus, hieß es, und dass es blind mache. Absinth wurde in ganz Europa verboten. Erst seit 1998 ist die grüne Fee rehabilitiert, und seit 2005 darf Absinth auch in der Schweiz wieder hergestellt werden.
Soweit die Geschichte, die Dany mit viel Herzblut erzählt, in Kurzfassung. In der Absinth-Bar, versichert er, wird nur Absinth ausgeschenkt, der nach traditioneller Rezeptur destilliert wird. Und Dany weiß, wovon er spricht. Als 17-jähriger Jungspund hat er ein halbes Jahr bei Salvador Dali verbracht und ausgiebig mit der grünen Fee geflirtet. Der Beginn einer Leidenschaft, die ihn nicht mehr los ließ. Jetzt ist er 60 und schenkt „das Aspirin der Antike“ aus, wahlweise mit Wasser oder auch mit Red Bull. Mit Cognac wie es Toulouse Lautrec mochte, oder mit Champagner a la Hemingway. Ob er nicht mittrinke, fragt ein Gast. „Nie“, sagt der Wirt bestimmt und fügt leise hinzu „nie bei der Arbeit“.
Dann stellt er die Gläser auf den Tisch, zu einem Viertel mit hochprozentigem Absinth gefüllt, legt einen Löffel darüber, der aussieht wie eine Lochstickerei, ein Stück Zucker darauf und dreht den Hahn des kleinen, gläsernen Absinthbrunnens auf, der auf jedem der runden Tische in der Bar steht. Das Wasser tropft ins Glas und das Getränk nimmt eine schillernde Färbung an wie ein Opal. Grün rinnt es durch die Kehle. Doch die Fee lässt auf sich warten. Vielleicht müsste man noch ein Glas trinken oder am Abend wieder kommen, wenn in der Absinth Bar die Musik spielt. Dann allerdings nicht ohne Anmeldung. Denn die grüne Fee hat viele Anhänger.
Info: Absinth Bar, 25 Cours Massena, 06600 Antibes, Tel. 0039/493/349300, E-Mail: balade@free.fr Dany hat aus der Bar auch ein kleines Museum gemacht, in dem er seine Sammelstücke zum Thema Absinth ausstellt. Im Laden über der Bar direkt am Marche provencal gibt es im übrigen nicht nur Absinth zu kaufen, Absinth-Wein und Absinth-Bier, sondern auch Olivenöl, Tee und provencalische Spezialitäten.