Fliegen zu Taxipreisen? Das war einmal!

19,99 Euro für ein Flugticket quer durch Europa. Für 32,95 Franken von Basel nach Marrakesch. Da können Taxifahrer kaum mithalten und oft kostet der Weg vom Flughafen in die Stadt mit dem Taxi mehr als der ganze Flug – etwa, wenn der Flughafen so weit von der Stadt entfernt ist wie in München. Selbst das Parken am Flughafen ist meist teurer als der Billigflug. Kein Wunder also, dass Billigfliegen in ist, auch wenn die Kerosinpreise derzeit ins Unermessliche steigen und alle Welt von Umweltschutz redet. Wer weiß schließlich, wie lang es noch möglich ist, mal kurz zur Party nach Mallorca zu jetten oder für ein Wochenende Beatles-Atmosphäre in Liverpool zu schnuppern.
 

Sie heißen Blue1, flybaboo, Twin Jet, TUIfly, Easyjet, Air Berlin und fliegen von der Schweiz in alle europäischen Richtungen. Doch der Name, der am Anfang des ganzen Booms steht, ist Ryanair und CEO Michael O’Leary nimmt auch jetzt gern den Mund voll, wenn es um die Zukunft der Billigflieger geht. Der Mann, der in ein paar Jahren alle Flugtickets kostenlos anbieten wollte und der mehrmals dem Konkurrenten Air Berlin den Tod prophezeite, muss zwar heute einen Gewinneinbruch von 50 Prozent einräumen, lässt sich aber davon noch lange nicht aus der Ruhe bringen. Der Abschwung der Branche durch die hohen Kerosinpreise „bringt enorme Chancen für Fluggesellschaften wie uns“, schwadronierte der Bauernsohn aus Irland  in gewohnt lässiger Manier. Die nötige Unterstützung wolle er sich von den Flughäfen holen: „Die sind froh, wenn wir sie anfliegen.“
Doch längst schon hat der findige Ire eine andere Cashcow ausgemacht: den Reisenden. Der soll tunlichst für alles bezahlen, was nicht reiner Flug ist. Fürs Einchecken und den bevorzugten Einstieg, für jedes Gepäckstück, das er aufgibt, und natürlich auch für Essen und Trinken an Bord. Selbst bei den Spucktüten geizt O’Leary, wie die Fachzeitschrift FVW schreibt. Ganz so billig wie es auf den ersten Blick aussieht, sind Flüge mit Ryanair letztlich also nicht. Denn zu den fünf Franken, mit denen O’Leary zum Start Passagiere ab Basel köderte, kommen noch Steuern und Gebühren hinzu.
Doch beim Abkassieren ist das „enfant terrible“ der Luftfahrtbranche längst nicht mehr allein. Auch da war O’Leary wohl Wegbereiter. Bei Easyjet etwa, die ab Basel und Genf viele europäische Ziele anfliegen, muss ebenfalls für Gepäck, bevorzugten Einstieg sowie Getränke und Snacks bezahlt werden. Mit Steuern und Gebühren kommt da ein erkleckliches Sümmchen zusammen. Und den bevorzugten Einstieg wissen alle die zu schätzen, die schon einmal mit Bordkarten ohne Sitzplatznummerierung einen Billigflieger gestürmt haben. Da werden ganz normale Mitbürger zu wilden Tieren, die mit Zähnen und Klauen den Fenstersitz in der dritten Reihe oder den Gangplatz in Reihe sieben verteidigen. Erfahrene Airline-Hopper – und von denen gibt es in der Billigflieger-Ära jede Menge – lassen sich was einfallen, um den ersehnten Platz zu ergattern. Gern wird mit Flugangst argumentiert, die sich nur durch einen Platz am Notausgang im Zaum halten lasse. Eine kürzliche Knie- oder Hüftoperation wird ins Feld geführt, um den begehrten Gangplatz ganz vorne zu erobern. So werden Passagiere zu Simulanten.
Es hat sich einiges verändert, seit die Billigflieger den Markt erobert haben und wir haben uns mit verändert. Wir sind mobil wie nie zuvor und nützen das auch. Da gibt es den Zweithaus-Besitzer auf Mallorca, der gleich fürs ganze Jahr die Air-Berlin-Flüge im Voraus bucht. Da sind die Fußball-Fans, die sich schon frühzeitig Flüge zu allen Austragungsorten der Europameisterschaft gesichert haben. Da ist der Single, der sich von Party-Wochenenden auf Ibiza und Sylt Anschluss erhofft und die Events buchstäblich im Flug absolviert. Da ist die Frau, die ihren Partner nur am Wochenende in der Hauptstadt eines anderen Landes treffen kann. Die Welt ist klein geworden und der Interrailer von heute fliegt mit der Lowcost-Airline. Nicht nur er: Warum stundenlang mit dem Auto im Stau stehen, teures Benzin verbrauchen und noch teurere Autobahngebühren berappen, wenn man für wenig Geld durch die Lüfte fliegen kann und dabei in kürzester Zeit am Ziel ist? Und was den Service angeht: Wer braucht für zwei Stunden Flug ein Bordmenü? Und für ein Wochenende auf Gran Canaria oder in Helsinki großes Gepäck?
Für das schnelle Vergnügen nimmt man allerdings einiges in Kauf: den Weg zum Flughafen, die Wartezeiten, den Nahkampf um die besten Plätze. Nein, so macht Fliegen keinen Spaß. Es ist nichts anderes als Mittel zum Zweck. Und weil es so wohlfeil ist, sieht man über die Unbequemlichkeiten hinweg. TUIfly-Chef Roland Keppler ist deshalb sicher, dass die Billigflieger auch die derzeitigen Turbulenzen überstehen werden. „Low Cost Carrier haben viel in Gang gesetzt. Das lässt sich nicht so einfach zurückdrehen“, sagte er der Fachpresse.
Und doch ballen sich dunkle Wolken am Himmel. Air Berlin streicht Strecken, Ryanair will 20 Flugzeuge am Boden lassen und bei anderen Billigfliegern, so fürchten Verbraucherschützer, müssten die Passagiere damit rechnen, dass einzelne Flüge aus den Flugplänen gestrichen oder gleich ganze Strecken eingestellt werden würden. 20 Fluggesellschaften haben in den vergangenen sechs Monaten schon aufgegeben. Und immer mehr müssen sparen – oder die Preise erhöhen. So billig wie in den letzten Jahren wird Fliegen in Zukunft nicht mehr sein. Air Berlin hat die Treibstoffzuschläge erhöht und selbst O’Leary schließt höhere Ticketpreise nicht mehr aus, wenn der Kerosinpreis weiter steigt.
Was also tun, wenn die Freiheit über den Wolken nicht mehr grenzenlos ist – zumindest nicht für den kleinen Geldbeutel? Daheimbleiben und die Gänseblümchen im Garten gießen oder Sonnenbaden auf Balkonien? Die Wanderstiefel schnüren und den Weg der Schweiz ablaufen oder einfach in der Limmat baden gehen? Womöglich müssen wir uns wieder daran gewöhnen, dass wir nicht alle paar Wochen abheben können, dass ein Flugurlaub etwas Besonderes ist. Schließlich gibt es auch in Zürich tolle Partys. Und dahin kommt man sogar mit der Bahn.        

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