Die Buschtrommel hat funktioniert. In dem kleinen Dorf der Cofan am Aguarico mitten im ecuadorianischen Regenwald wissen alle, dass Besuch zu erwarten ist, Touristen aus Deutschland. Die kommen hier mit schöner Regelmäßigkeit vorbei, seit die Jungle Discovery den Fluss befährt. Doch an diesem Tag zeigt das Dörfchen mit den Holzhütten den Gästen die kalte Schulter. Eine Handvoll Kinder drängt sich kichernd in einer Ecke zusammen, aus dem Haupthaus dringt Stimmengewirr, eine Frau äugt scheu aus einem der Fenster.
Franziska aus der Schweiz, die einen Anteil am Flussschiff hält und die Touristen durch den Regenwald führt, bleibt dennoch beharrlich. Schließlich kostet jeder dieser Besuche in Pacuya „Eintrittsgebühr“ und dafür sollen die Touristen auch etwas zu sehen und vor allem Informationen bekommen. Ohne die Gelder aus dem Tourismus könnten die Cofan, einer der sechs indigenen Stämme der Gegend, kaum im Regenwald überleben. 2000 A’i, Menschen, wie sich die Cofan auch nennen, sind von den einst 50 000 noch übrig geblieben. Die meisten leben tief im Regenwald wie hier am Aguarico, wo sie ihre tausendjährige Kultur, Tradition und Sprache pflegen. Doch die Neuzeit ist auch bei ihnen eingefallen mit Jeans und T-Shirts, aber auch mit Sonnenkollektoren und einem Wassertank von der EU.
Ein bildhübsches Mädchen kommt schließlich aus dem Haupthaus. Ireda heißt die muntere 13-Jährige in kurzen Hosen und modischer Bluse. Die Männer seien ausgeflogen, sagt sie, alle bei einem Fest in einem der anderen Cofan-Dörfer. Nur der alte Atanasi sei noch da, der Dorfälteste, und er sei auf die Fremden nicht vorbereitet. Ireda lächelt entschuldigend. Sie kennt sich aus mit den Vorstellungen der weißen Besucher, besucht sie doch die Schule in Dureno und betreut zusammen mit einer spanischen Biologin ein Harpye-Projekt zur Beobachtung der seltenen südamerikanischen Greifvögel. Am liebsten würde sie Lehrerin werden, sagt Ireda und wieder lächelt sie, rätselhaft wie Mona Lisa.
Dann tut sich doch was im Haus hinter ihr. Ein zerbrechlich wirkender Greis klettert erstaunlich agil die Hühnertreppe herunter und schwenkt eine Bananenstaude. Seltsame weiße Plastikröhrchen schmücken Ohren und Nase – Lutscherstiele. Der Alte grinst zahnlos und bietet die Bananen als Gastgeschenk an. Keiner im Dorf weiß, wie alt Atanasi wirklich ist. 80, 85, 90 – Zahlenspielerei. Wichtig ist, was der alte Mann zu sagen hat. Der frühere Schamane ist in Pacuya die letzte Instanz und eine Symbolfigur im Widerstand gegen die Ölgesellschaften, die das Land im Oriente immer mehr ausbeuten.
Sie kamen mit Maschinen, Treibstoff, Hubschraubern, rammten Straßen in den Regenwald und fällten jahrhundertealte Bäume. Für eine Handvoll Dollar oder ein paar Fußbälle hatten findige Ölmanager alkoholisierten den Stammesältesten Rechte abgekauft. Als 1993 die ersten Ölgesellschaften auftauchten, kidnappten die Cofan die Arbeiter und die Petro Amazonas zog sich aus dem Gebiet zurück. Inzwischen sind die Ölgesellschaften wieder auf dem Weg hierher. Vor kurzem haben junge Männer eine Brücke zerstört, die zum Fluss führt. Sie wollen die schweren Fahrzeuge daran hindern, tiefer in den Regenwald vorzudringen.
Seit sie denken können leben die Cofan und andere indigene Stämme im Einklang mit der Natur. Der Dschungel ist ihnen Nahrungslieferant und Hausapotheke zugleich. Gegen fast alle Krankheiten ist hier ein Kraut gewachsen – auch gegen eingebildete. Triebe einer Palme helfen bei Ohrenweh, Blätter einer anderen bei Kopfschmerz, der Sud einer Pflanze wirkt gegen Durchfall, mit dem „Waldknoblauch“ werden Tumore bekämpft. Die Eisenholzpalme mit ihren penisartigen Wurzeln ist das Viagra des Regenwaldes, es gibt Blätter, die sich als Liebeszauber verwenden lassen und Gewächse, die Schwangerschaften verhindern. Ireda kennt sie alle, das hat sie von ihrer Großmutter gelernt.
Mit einer Machete bahnt sie sich und den Touristen einen Weg durch den dichten Dschungel mit den gewaltigen Baumriesen. Sonnenlicht tropft durch das dichte Blätterdach, beleuchtet hier eine grellrote Blütenkrone, dort einen Termitenbau. Es ist eine seltsam lebendige Welt, auch wenn kaum größere Tiere zu sehen sind, eine Welt, die sich ständig erneuert, die uralt ist und doch frühlingsfrisch. Die Cofan haben sich ins Herz des Regenwalds zurückgezogen, um so weiterzuleben wie ihre Ahnen, in Harmonie mit der Natur. So wie es der alte Atanasi ihnen erzählte.
Man kann sie verstehen. Wenn die Jungle Discovery ins Abendrot fährt, wirkt die Welt wie verzaubert. Hellrot schillernde Aras fliegen schimpfend auf, grellgelbe Kaziken schwingen sich von Ast zu Ast, auf einer Baumspitze sonnt sich ein Tukan im letzten Sonnenlicht. Zwischen all dem Grün flattert himmelsblau ein Morpho Schmetterling. Bei der abendlichen Ausfahrt mit dem Kanu auf dem Sabalo steht der Wald im nachtschwarzen Wasserspiegel Kopf, kahle Baumriesen liegen im Fluss wie Skelette und über allem schwebt das melancholische Pfeifen des Tinamu. Dann stimmen die Zikaden ihr nächtliches Konzert an, der Chor der Frösche fällt ein und am Himmel steht ein Sternenheer.
Und doch ist auch diese Welt schon lange nicht mehr heil. Die Gier nach dem schwarzen Gold, dem Erdöl, hat Ecuador verändert. Wie sehr, wurde schon auf dem Weg zur Jungle Discovery sichtbar. Am Horizont wabern Gasfackeln, rostige Pipelines begleiten die Straße, die schnurgerade durch die Landschaft schneidet. Frauen waschen am Fluss unter dem Leitungsgewirr ihre Wäsche und hängen sie über die Rohre. Neben der Straße gesichtslose Dörfer und vor allem ödes Land. „Eine Straße ist das Schlimmste, was einem tropischen Regenwald passieren kann“, sagt Franziska und zeigt in deutlichen Bildern die Umweltverschmutzung durch lecke Pipelines und unkontrolliertes Formationswasser. Zwar garantiert die neue Verfassung seit Ende September jedem Ecuadorianer das Recht, in einer Umgebung ohne Umweltverschmutzung zu leben, aber die Wirklichkeit sieht längst anders aus.
Als Texaco 1992 nach 20 Jahren Ölausbeutung Ecuador verließ, blieben 700 Auffangbecken mit giftigem Schlamm, Öl und Formationswasser zurück, insgesamt 19 Milliarden Gallonen (etwa 3,8 Liter) Abfälle wurden vergraben. 16,5 Millionen Gallonen Rohöl wurden in Flüsse, Sümpfe und Bäche gepumpt – eineinhalb mal soviel wie die Exxon Valdez in Südalaska verlor. „Texaco holte sich das beste aus dem Land und ließ uns seinen Dreck zurück“, sagt Dr. Mario Melo, ein in Sachen Umwelt und Menschenrechte aktiver Anwalt, der die 16-Milliarden-Dollar-Klage gegen Chevron-Texaco unterstützt, die 2003 von fünf indigenen Gruppen und 80 Gemeinden erhoben wurde. David gegen Goliath. Chevron-Texaco will mit einem Handelsembargo gegen Ecuador ein Urteil verhindern.
In Pacuya geht das Leben trotzdem seinen gewohnten Gang. Einige der Männer sind vom Fest zurück, die Frauen haben Verkaufsstände mit Ketten, Armbändern und Taschen aus Palmfasern aufgebaut und der Stammesälteste hat sich in Schale geworfen. Eine Federkrone schmückt Atanasis Kopf, um seinen Hals hat er Ketten geschlungen mit einer Reihe von Stoßzähnen, die Lutscherstiele in Ohren und Nase sind einem Federschmuck gewichen. Stolz wirkt er und gelassen stellt er sich den Fotografen. Gerade so als würde er Hof halten.
Sein Sohn John erklärt derweil, was dem Alten am Herzen liegt: Der Kampf gegen die Ölgesellschaften, die mit dem Regenwald auch die Lebensgrundlage der Cofan vernichten. Da nehmen die Dörfler lieber die Touristen in Kauf. Die bringen auch Geld und gehen wieder, ohne verbrannte Erde zu hinterlassen.