Autor: Bodo Kirchhoff
Verlag: Frankfurter Verlagsanstalt Erschienen: August 2006 |
„Wie kann man einem die Welt erklären, der nicht einmal fernsieht“, fragt sich „die kleine Garbo“ und trifft damit ins Zentrum des Unterschieds zwischen sich und ihrem Entführer. Dieser Giacomo, also Jakob, Hoederer ist ein vom Glück Verlassener oder besser ein vom Unglück Verfolgter, dem selbst der Selbstmord nicht gelingen will. Bei ihm verwandelt er sich in einen Mord. Macht zwei Morde auf Hoederers Konto, denn bei einem dilettantischen Bankraub hat ein Querschläger eine alte Frau tödlich getroffen. Und nun das: Im Fluchtauto sitzt ein zwölfjähriges Mädchen mit Engelsflügeln, ein Superstar, fast so bekannt wie einstmals die große Garbo. Malu heißt das Mädchen und Lorca, der Hund, den sie fest am Halsband hält.
Und diese Malu verwundert die Tatsache, dass ihr Entführer sie nicht
kennt, fast mehr als sie der Tod ihres geschätzten Chauffeurs entsetzt.
Herr Weiß war es, der Hoederer am Selbstmord hindern wollte und den
beim Handgemenge die tödliche Kugel traf. Glücksmarie und Jakob im Pech
auf engstem Raum eingeschlossen, zwei gegen die ganze Welt. Bodo
Kirchhoff nutzt diese Notgemeinschaft mit gewohnt schriftstellerischer
Fertigkeit als literarischen Topos. Er gibt ihm Gelegenheit, die beiden
unterschiedlichen Menschen miteinander in Beziehung zu setzen. Den
philosophierenden 68er Hoederer, dem sein politisches Engagement
frühzeitig die Karriere versaut hat und dessen Pechsträhne anscheinend
unendlich ist. Und die verwöhnte Göre aus reichem Haus, die schon früh
an den Geschmack von Luxus gewöhnt wurde und dafür auch gerne mit dem
Verlust normaler Kindheitserlebnisse bezahlt. Bis jetzt jedenfalls.
Denn dieser abgerissene Killer, der da auf dem Platz des toten
Chauffeurs sitzt, öffnet ihr die Augen für Dinge, die jenseits von Geld
und Glamour liegen. Während die beiden bei klirrender Kälte durch den
vereisten Wald fahren, in dem nur das Geheul der Wölfe zu hören ist,
kommen der Mann, das Mädchen (und der Hund) einander näher. Malu öffnet
Hoederer die Türen zu einer Welt, die ihm bis zu diesem Tag fremd war,
der Welt der Medien und der Quoten, in der Erfolg alles ist und
Misserfolg eine Todsünde. Und der Mann, der zwar ein Mörder aber doch
ganz nett ist, zeigt dem Mädchen, dass es noch mehr gibt als Film und
Fernsehen – die Welt der Literatur und der Musik.
Fast finden sie eine
gemeinsame Ebene, diese beiden. Auf der Flucht vor den Eltern, der
Regisseurin, der Polizei. In diesem Wald, in dem die Wölfe heulen, und
in dem Lorca, der Hund, den Geschmack der Freiheit geleckt hat. Und
Hoederer, der ewige Rebell, träumt sich schon in bürgerliche Idyllen,
während er seiner Geisel die Grundbegriffe der Mathematik näher bringt.
Dass dann alles anders ausgeht, dafür sorgt der Staat, der keinen
Mörder ungestraft davon kommen lassen will, auch keinen unschuldigen.
Und Lorca sorgt dafür, dass Malu ganz allein ihren Weg gehen muss –
sie aber weiß schon, wohin.
Der Romancier Bodo Kirchhoff hat wieder einmal alle überrascht.
Natürlich ist auch dieses Buch Liebesroman, nicht so universal wie
„Infanta“, nicht so ichbezogen wie „Parlando“, auch keine tragische
Aufarbeitung von Liebe und Verlust wie in „Wo das Meer beginnt“. Nein,
dies ist auch eine Art literarischer Thriller, hochspannend zeitweise,
manchmal auch langatmig. Kirchhoff hat viel hineingepackt in sein neues
Buch, allen voran Mystisches und Märchenhaftes, Anspielungen auf die
Medienwelt und die 68er. Doch das philosophierende Parlando und die
Abwesenheit jeglicher Erotik degradieren die beiden Hauptpersonen zu
bloßen Prototypen, wie man sie aus den Märchen kennt. Die Schöne und
das Biest, vielleicht. Schade, aus dem Stoff hätte ein Literat vom
Format Kirchhoffs noch etwas mehr machen können.
Info: Bodo Kirchhoff, Die kleine Garbo, 287 S., 19,90 €