Der Kuckucks-Goi: Howard Jacobsons „Die Finkler-Frage“

Dieser Julian Treslove ist schon ein ziemlich armes Schwein. Mit den Frauen klappt’s ebenso wenig wie mit dem Beruf und mit den beiden Söhnen aus gescheiterten Beziehungen hat er kaum Kontakt. Ja, nicht einmal eine richtige Katastrophe gelingt ihm: „Er war für Katastrophen und Trauer wie geschaffen und doch immer woanders, wenn das Schicksal seinen Lauf nahm.“ Aber einmal war er zur Stelle, wurde mitten auf der Straße ausgeraubt und glaubte zu hören, dass der Räuber, besser die Räuberin, ihn mit „Du Jud“ beschimpft hatte. Und das ändert alles im Leben des 49-Jährigen.

Denn plötzlich glaubt Treslove eine Begründung für sein ständiges
Scheitern gefunden zu haben. Noch wichtiger, er glaubt zu wissen, wohin
er gehört. Wollte er nicht schon lange Jude sein, Teil einer großen Familie? So wie sein
Schulfreund Sam Finkler, der mit pseudophilosophischen Lebenshilfen
reüssiert, oder wie der 91-jährige Libor, dessen Altersweisheit keiner
der beiden anzweifelt. Beide haben zwar vor kurzem ihre Frau verloren,
Libor nach langer glücklicher Partnerschaft, Sam mitten im prallen
Leben. Aber sie haben ein schier unerschütterliches Selbstbewusstsein.
Dazu muss man wohl Jude sein, meint Julian.
Dabei weiß er doch, dass weder Sam noch Libor stolz auf ihr Judentum
sind. Sie können es nur nicht loswerden. Während sich Treslove mit Verve
darauf stürzt, Jude zu lernen, hat Sam eine Initiative namens ASHamed
Jews – beschämte Juden – gegründet, die sich gegen die Politik Israels
richtet und mit dem großen ASH am Anfang auf die Asche der Krematorien
verweist. Glücklich wird er mit dem Verein nicht, auch wenn er
zwischendurch ein Auge auf Tamara Krausz geworfen hat, die den
notorischen Womanizer mit ihrer feministischen Geschichtssicht
verblüfft.
Treslove scheint derweil sein Glück gefunden zu haben – in Libors
Großgroßnichte Hephzibah Weizenbaum (jüdischer kann man nicht heißen),
obwohl sie mit ihrer körperlichen Fülle so gar nicht seinem Frauenideal
entspricht. Das tat schon eher Tyler, Sams verstorbene Frau, mit der
Treslove ein verschämtes Verhältnis hatte. Doch Tyler hatte einen
gravierenden Fehler: Sie war keine Jüdin. Hephzibah dagegen, die gerade
ein jüdisches Museum plant, ist Jüdin durch und durch.Alles könnte also
gut werden, wenn es dieser „Kuckucks-Goi“ nicht wieder vermasseln
würde.
Jacobson reißt in seinem mit dem renommierten Booker-Preis ausgezeichneten tragikomischen Roman über Identitätssuche, Männerfreundschaft, Antisemitismus und Eitelkeit  seinen Personen die Maske vom Gesicht, entlarvt ihre
albernen Rollenspiele, den Tanz ums goldene Kalb der gesellschaftlichen
Anerkennung. Sein Witz ist ätzend, nah an der Karikatur, seine Analyse
gnadenlos. Ein bisschen mehr Stringenz hätte dem manchmal etwas
ausufernden Roman allerdings ganz gut getan. 
Info: Howard Jacobson, Die Finkler-Frage, DVA, 448 S., 22,90 Euro 

Es gibt bisher keine Kommentare.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert