„Er war tot, der Tyrann. Ein Titan. Ein Wesen der archaischen Art aus der Unterwelt – furchteinflößend, mit hundert Armen, hundert Köpfen. Und Schnauzbart.“
Den Schatten, den Stalin auf Russland warf, wird das Land nicht mehr los, auch wenn es zwischendurch Licht sieht. Die Menschen sind an die Diktatur gewöhnt, die Mehrheit nimmt sie als gegeben hin, weil ihr Alltag von den Problemen des eigenen Überlebens ausgefüllt ist. Es gibt Rückzugsorte, die Freunde, da, wo vermeintliche Sicherheit herrscht. Ljudmila Ulitzkaja beschreibt in ihrem großen Roman „Das grüne Zelt“ eine solche lebenslange Freundschaft und zugleich ein halbes Jahrhuntert russische Geschichte.
Der spindeldürre Ilja, der zarte Sanja und der rothaarige Jude Micha waren schon in der Schule Außenseiter, das hat sie zusammen geschweißt. Sie haben den Klassen-Tyrannen überlebt und auch den Staatstyrannen hinter sich gelassen. Und jeder von ihnen versucht ein selbst bestimmtes, erfülltes Leben zu führen, wie es der verehrte Literatur-Lehrer Viktor Juljewitsch gut finden würde. Sie sind seine Jünger, die Ljurssy, und als Freunde der russischen Literatur lassen sie sich einführen in die Geheimnisse der großen Dichter.
„Die Literatur ist das Einzige, was dem Menschen hilft, zu überleben, sich mit seiner Zeit zu versöhnen,“ ist der Lehrer überzeugt. Seine Ljyurssy sind voller Ideale und bereit, auf den Flügeln der Fantasie den Alltag zu überwinden. Und doch scheitern alle – an diesem Alltag, der ihnen die Luft abdrückt und an einem Staat, der sie zu seelischen Krüppeln macht.
Ljudmila Ulitzkaja folgt den drei Freunden durch ein Leben voller Enttäuschungen und Entmutigungen – auch in der Liebe. Während das Land „sein eigenes irrwitziges Leben führt“, suchen sie nach ihrem Platz im Leben. Ilja als Fotograf und Untergrundaktivist, Sanja als feinsinniger Lebenskünstler und Micha da, wo ihn die Gesellschaft duldet, wenn er nicht gerade in einem Lager einsitzt. Um diese drei Freunde, ihre Frauen und Freundinnen herum entwirft Ulitzkaja ein großartiges Sittenbild des nachstalinistischen Russlands. Eines Landes, das seinen Bewohnern die Seele stiehlt, indem es sie zu Mitwissern macht.
Ljudmila Ulitzkaja folgt den drei Freunden durch ein Leben voller Enttäuschungen und Entmutigungen – auch in der Liebe. Während das Land „sein eigenes irrwitziges Leben führt“, suchen sie nach ihrem Platz im Leben. Ilja als Fotograf und Untergrundaktivist, Sanja als feinsinniger Lebenskünstler und Micha da, wo ihn die Gesellschaft duldet, wenn er nicht gerade in einem Lager einsitzt. Um diese drei Freunde, ihre Frauen und Freundinnen herum entwirft Ulitzkaja ein großartiges Sittenbild des nachstalinistischen Russlands. Eines Landes, das seinen Bewohnern die Seele stiehlt, indem es sie zu Mitwissern macht.
Wie in dem grünen Zelt, von dem Iljas Witwe Olga vor ihrem Tod träumt, kommt in diesem grandiosen Roman alles zusammen, fast gleichzeitig, die Lebenden und die Toten, die Künstler und die Spitzel, die Emigranten, die Opfer und die Täter, Gegenwart und Vergangenheit. Zeit existiert nicht, es gibt keine lineare Entwicklung. Alles scheint sich im Kreis zu drehen. Auf der einen Seite ist Ilja schon ein alter Mann, von Krankheit gezeichnet. Kurz darauf ist er wieder der junge Draufgänger, den Olga so faszinierend fand. Das Leben ist ein Karrussel. Leicht macht es Ljudmila Ulitzkaja ihren Lesern nicht, sich in diesem ständigen Kreisen zurecht zu finden, aber belohnt sie mit tiefen Einblicken in die russische Geschichte und Mentalität und einer wunderbar poetischen Sprache.
Ljudmila Ulitzkaja: Das grüne Zelt, Hanser, 581 S., 24,90