Dies ist ein Kriminalroman, der ganz anders tickt. Von Anfang an wissen die Leser Bescheid. Sie wissen damit mehr als der Polizeipräsident und auch mehr als die kluge türkische Staatsanwältin mit dem schicken Kopftuch, die in diesem Fall ermittelt. Der Fall: Ein junger Türke, von den Polizisten abschätzig „Arab“ genannt, wurde angefahren und schwer verletzt. Von Bullen in Zivil munkelt die Szene und macht mobil. Beweise gibt es keine.
Dafür hat Diller gesorgt, einer der Bullen, die in dem Auto gesessen haben, das der Drogendealer mit einem Baseballschläger bedroht hat. Sein Kollege Kessel hat den Kerl nach einem verpatzten Deal einfach über den Haufen gefahren. Damit hat Diller ein Problem. Denn erstens ist Kessel ein alter Freund, den er nicht ans Messer liefern will. Und zweitens, will er, Diller, seine bürgerliche Existenz mit Familie und einem Haus in Münchens besserer Gegend nicht aufs Spiel setzen. Was bleibt ihm übrig als die Spuren zu verwischen?
Kessel ist sowieso alles egal. Er ist drogensüchtig und eigentlich immer nur dann zu gebrauchen, wenn er sich einen Schuss gesetzt hat. Dass Diller ihn deckt, ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Und obwohl er weiß, dass er in großen Schwierigkeiten steckt, kann er nicht auf Drogennachschub verzichten. So wird er – nicht ganz freiwillig – zum Werkzeug von Verschwörern, die auf der Münchner Sicherheitskonferenz einen Mord planen. Ihr Mann wurde von der Polizei geschnappt, nun schnappen sie sich den Polizisten, indem sie sein Opfer und damit den möglichen Zeugen aus dem Weg räumen. Trotz höchster Sicherheitsstufe und auffallender Polizeipräsenz gelingt der Mord. Es sieht so aus, als wäre Kessel raus aus dem Schlamassel und Diller könnte sein bürgerliches Leben weiter leben. Als würde sich Verbrechen lohnen.
Doch da gibt es noch einen Stachel in Dillers Leben. Sein Sohn Luis ist von der Privatschule geflogen, in die ihn die Eltern unter größeren finanziellen Opfern geschickt haben, um seine Zukunft zu sichern. Eine Art Hogwarts für Betuchte. Für Diller bricht eine Welt zusammen: „Während er versuchte, ein Feuer auszutreten, brachen anderswo zwei neue aus.“ Am Ende kann er auch dieses Feuer austreten, denn die Schule, in der er das Heil für Luis gesehen hat, entpuppt sich als autoritäre Kaderschmiede, die kritische Geister nicht zulässt. Keine heile, sondern eine scheinheilige Welt, womöglich nicht besser als die der vernachlässigten Kids in den Problembezirken. Die Familie rückt wieder enger zusammen, verschanzt sich gegen die feindliche Außenwelt. Und Kessel? Der macht einen Entzug und kommt nach ein paar Monaten scheinbar gut erholt zurück. Bereit zu neuen Taten.
Ende gut, alles gut? Oswalds Charaktere stehen auf schwankendem Boden, ihr Werte-Fundament ist brüchig geworden. Diller stellt Freundschaft und Familie über das Gesetz. Für Kessel aber gibt es ohnehin kein Gesetz mehr. Sein höchstes Gut ist das eigene Leben, auch wenn er dafür anderes Leben auslöschen muss. Als Rechtsanwalt kennt Oswald solche Konflikte, die Verunsicherung in einer Welt ohne Werte. Er kennt auch München und liefert ein Bild der Stadt, das vielen Klischees zuwider läuft, aber die Innenwelten der Protagonisten widerspiegelt. Auf der einen Seite das gutbürgerliche München mit seinen Villen und schön renovierten Fassaden, auf der anderen Seite die Viertel der Migranten, in denen Oswald Krawalle ansiedelt, wie man sie aus London und Paris oder auch aus Berlin kennt. Dieses München leuchtet nicht – es schwelt.
Info: Georg M. Oswald, Unter Feinden, Piper, 245 S., 18,99 Euro