Aschewolke und kein Ende: Tourismusbranche zwischen Hoffen und Bangen

Eyafjallajökull – der Zungenbrecher ist in aller Munde. Im April hatte der Ausbruch des bislang weitgehend unbekannten isländischen Vulkans fast den gesamten europäischen Luftverkehr rund eine Woche lahm gelegt. Die Schließung von Hunderten von Flughäfen hatte ein beispielloses Chaos ausgelöst, mehr als acht Millionen Reisende waren auf den Flughäfen sitzen geblieben, die Airlines fuhren Milliardenverluste ein und die Reisebranche musste Einbußen in Millionenhöhe hinnehmen, weil gebuchte Reisen abgesagt werden und Reisende, die in den Urlaubsländern festsaßen, versorgt werden mussten. Und niemand weiß, wie es weitergeht. Die Unkalkulierbarkeit dieser Aschewolke ist die eigentliche Bedrohung, räumten die Referenten der Touristischen Runde ein. „Wie verwundbar ist der Tourismus?“ war das Thema des spannenden Abends.

Während der Aprilsperrung habe der Flughafen München pro Tag vier
Millionen Euro verloren, klagt Achim Bues, Pressesprecher des Flughafens
München: Landeentgelte und Abstellgebühren. Hinzu kam der fehlende
Konsum der Passagiere, gähnende Leere in den Läden, den Restaurants und
den Parkhäusern. 540 000 Passagiere waren von den Ausfällen betroffen,
5900 Stars und Landungen konnten nicht stattfinden. „Das war schon
dramatisch“, sagt Bues. Es gab Feldbetten für Passagiere im Transit und
solche, für die kein Hotelzimmer mehr frei war. Im öffentlichen Bereich
des Terminal 2 sollten Zelte wenigstens einen Hauch von Privatsphäre
vermitteln. Dann, als man schon sicher war, alles überstanden zu haben,
kam am 10. Mai, einem Sonntag, völlig überraschend eine erneute Sperrung
am Nachmittag –ohne jede Möglichkeit, die Passagiere frühzeitig zu
informieren. Für den Flughafen, der nach einem harten Winter und dem
Streik der Lufthansa-Piloten gerade wieder in die Gänge kam, eine
bittere Zeit. „Wir planen ja auch eine dritte Start- und Landebahn und
da gehen solche Rückschläge an die Substanz“, so der Flughafensprecher.
Noch dazu wisse niemand, wie es weiter geht. „Bis heute Nacht kann ich
vielleicht Entwarnung geben. Aber es gibt keine längere Vorlaufzeiten.“
Schon wegen der Unsicherheiten würden Reisepläne umgeworfen. Bues: „Uns
entgeht da viel.“
Gerade in der Krise hat allerdings die schon längst tot gesagte
Pauschalreise
ihre Existenzberechtigung bewiesen. Die Pauschalreisegäste
fielen in ein Sicherheitsnetz. „Wir können in bedrohlichen Situationen
nicht dem Gast den Reisevertrag vor die Füße werfen“, begründet Ulrich
Heuer
, Leiter des Krisen und Sicherheitsmanagements bei der TUI, die
Entscheidung des Marktführers, die Reiseverträge nicht wegen „höherer
Gewalt
“ zu kündigen. Heuer spricht von „riesigen Herausforderungen“, vor
die der Vulkan die Branche gestellt habe. „Aber man hat ja Strukturen
und ist auf Krisen vorbreitet, wenn auch nicht auf diesen Fall, der in
seinem Ausmaß alle Vorstellungen gesprengt hat.“ Es gebe aber Leitlinien „an denen wir unser Handeln ausrichten und die uns Orientierung geben."   Trotzdem sei Kreativität gefragt, der Mut zur Entscheidung. In Hannover habe man zum Beispiel kurzerhand – zusätzlich zur Flugleitzentrale – eine Busverkehrszentrale eingerichtet, um heimkehrwillige Gäste auf dem Landweg zurückzubringen. 

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Keine einfache Sache: „Manche
Omnibusunternehmen verlangten Mondpreise.“ Wichtig sind, so der Manager,
Strategien für morgen. Bedrohungen habe es für die Branche immer schon
gegeben, allerdings schrumpften offensichtlich die Zeitabstände, „und
das geht an die Nerven“. In den Katalogen bemühe man sich um
größtmögliche Transparenz, weise auf voraussehbare Gefahren wie Erdbeben
oder Hurrikan hin. Aber „das allgemeine Lebensrisiko können wir den
Kunden nicht abnehmen.
Ein großes Lob zollt Peter Höbel von Crisadvice der Branche. Airlines,
Flughäfen und die Reiseveranstalter hätten „sensationell gut“ reagiert –
auch wegen der selbst lernenden Systeme. Verglichen mit der
„Schockstarre“ nach den Anschlägen des 11. September habe die Branche
ihre Hausaufgaben gemacht. Auch die Reisenden selbst, so Höbel, hätten
sich vernünftig verhalten und keine übertriebenen Forderungen gestellt.
Anders   die politisch Handelnden, die „Vernunft vermissen ließen“. Ihre
Aktionen seien infolge von Partikular- und Länderinteressen von
Hilflosigkeit gekennzeichnet gewesen. „Die Aussage, der Vulkanausbruch
hat uns kalt erwischt, kann ich nicht akzeptieren“, rügt der versierte
Berater in Krisensituationen. „Wir wissen genau, dass immer eine Krise
stattfinden kann, müssen mit Naturkatastrophen rechnen und das nach den
neusten Daten zunehmend.“ Höbel rügt die „unvorstellbare Trägheit der
Apparate und „das nicht hinnehmbare Kommunikationsdesaster". Zwar sei
die Ungewissheit ein großes Problem. Aber: „Ein guter Krisenplan muss
auch das berücksichtigen.“
Für Asger Schubert, Pressesprecher von BARIG (Board of Airlines resident
in Germany), war die Situation nach dem Vulkanausbruch jedoch nicht
vorhersehbar. Deshalb habe es auch keine Szenarien zur Prävention
gegegeben. Sprechen könne man nur über „Auswirkungs-Szenarien“, etwa wie
eine Airline wieder in den operativen Betrieb kommt, wenn der Luftraum
nach einer längeren Schließung geöffnet wird. Schubert fordert
politische Entscheidungen, die Planungssicherheit geben und eine
angemessene staatliche Beteiligung an den finanziellen Folgelasten der
Luftraum-Sperrung. „Sieben Tage Flugausfall können einer Airline das
Genick brechen.“ Als Kompensationsmöglichkeiten nennt er die
Verschiebung des Emissionsrechtehandels oder auch eine Beteiligung an
den Luftsicherheitskosten. Die Airlines selbst, so Schubert, könnten
keine Risiko-Vorsorge tragen. Aufschläge bei Tickets seien angesichts
des Verdrängungs-Wettbewerbs nicht möglich. Nachbesserungsbedarf sieht
der Luftfahrtexperte auch bei der europäischen Fluggastrechteverordnung,
die den Passagieren die Wahl lässt zwischen Ersatzbeförderung und
Erstattung des Ticketpreises. Wähle der Gast die Ersatzbeförderung müsse
die Airline auch noch den Aufenthalt bezahlen. Das sei auf die Dauer
nicht finanzierbar.
Für den Reiserechtsexperten Prof. Dr. Ronald Schmid  ist
die Frage der Kostenverteilung nicht ganz so einfach zu beantworten.
Natürlich habe die Branche ein Kosten-Problem, an dem sie aber nicht
unschuldig sei. Denn auch Krisengebiete werden touristisch vermarktet.
„Touristische Unternehmen wie Reisende haben sich an Gefahren gewöhnt
und leben nach der Devise: es wird schon gutgehen.“
Hinsichtlich der Rechte von Flugreisenden Rechte müsse man
differenzieren: „Der Pauschalreisetourist muss Mehrkosten wie
Hotelunterkunft selbst tragen, wenn der Veranstalter den Vertrag wegen
höherer Gewalt kündigt. Dann werden nur die höheren Ruckflugkosten
geteilt“, sagt Schmid. Werde der Vertrag nicht gekündigt, sei der
Veranstalter aber in der Pflicht, sich um den Passagier zu kümmern.
Allerdings, so der Jurist, sei noch ungeklärt, ob diese Kosten
weitergegeben werden können. „Da hat es der Individualtourist einfacher.
Er hat Anspruch auf eine Ersatzbeförderung und damit auch auf
Übernachtung, wenn er mit einem EU-Carrier Richtung Europa oder innerhalb
Europas fliegen will.“ Auch Schmid fand das Verhalten der meisten
Tourismusunternehmen vorbildlich. Sie hätten Verantwortung übernommen
und die Vorteile einer Pauschalreise ins rechte Licht gerückt. Anders
als etwa Ryan Air, die gestrandete Passagiere sich selbst überließ. „So
verärgert man die Leute und muss sich nicht wundern, wenn sie ihre
verbrieften Rechte vor Gericht ziehen.“ Immerhin kenne inzwischen auch
„der letzte Passagier“ seine Rechte.
Bei der Frage einer Kompensation für die Luftfahrtunternehmen gibt der
Rechtsexperte zu bedenken, dass es wohl nicht auf deutscher Ebene
diskutiert werden könne; das müsse auf europäischer Ebene geklärt
werden. „Klar ist: Irgendjemand muss die Kosten tragen. Aber sicher
nicht der Steuerzahler.“ Schmid schlägt einen „Fonds (Topf)“ vor, aus
dem auftauchende finanzielle Belastungen bezahlt werden könnten, eine
Art Risiko-Groschen, der in den Flugpreis einkalkuliert werden und so
den Passagieren in Rechnung gestellt werden könne.
Kritisch betrachtet Schmid den Umgang speziell der Luftfahrtunternehmen
mit der Aschewolle. „Dass eine Airline nicht begeistert ist, wenn sie
nicht fliegen kann, verstehe ich.“ Aber man dürfe die Gefahren, die von
einer Aschewolke drohen, nicht schönreden. Der viel gescholtene
Verkehrsminister Ramsauer habe den Mut gehabt, Maßnahmen durchzuziehen,
die juristisch richtig waren. Bei der Gefahrenabwehr gelte zu Recht der
eherne Grundsatz: „Im Zweifel für die Sicherheit“ – zumal die deutsche
Luftfahrt immer wieder auf ihre hohen Sicherheitsstandards verweise. Das
müsse gerade auch dann gelten, wenn keine Grenzwerte vorliegen und die
Gefahr deswegen gar nicht richtig bewertet werden könne. „Wer hätte denn
die Haftung übernommen, wenn ein Flieger runtergefallen wäre?“ fragt
der Reiserechtler provokativ in die Runde und gibt sich selbst die
Antwort: „Wahrscheinlich keiner.“ Bedenklich findet Schmid die
Lufthansa
-Aktion, bei Überführungsflügen eigene Messungen zu
veranstalten, „schockierend“ den Umgang mit dem Sicherheitspiloten, der
im Nachhinein Kritik geübt hat und prompt seines Amtes enthoben wurde.
Das sei ein kein Umgang mit dem Thema Sicherheit im Luftverkehr, denn
schließlich könne der Sicherheitspilot nicht eine Marionette des
Vorstandes sein.
Dass ausgerechnet Island derzeit als Reiseziel sicher zu sein scheint,
bestätigte Peter Mario Kubsch, Geschäftsführer von Studiosus. Er hat
sich vor kurzem vor Ort umgesehen und ist voller Bewunderung für die
Insel und ihre Bewohner. „Die Isländer sind ein cleveres Völkchen. Sie
sind mit ihrer Bank- und Wirtschaftskrise phänomenal umgegangen und
haben selbst aus dem Vulkanausbruch noch Kapital geschlagen.“ Zwar habe
auch der Flughafen von Reykjavik „hin und wieder zumachen“ müssen, aber
der Vorstand von Icelandair habe einfach den Hub nach Glasgow verlagert.
Trotzdem, räumt der Studiosus-Chef ein, sei er unsicher, wie die Lage
in 14 Tagen aussieht. .Diese Verunsicherung sei schlecht für die
Branche. Da helfe nur gründliche Information. Und die könnten nicht nur
die Politiker liefern, sondern beispielsweise auch die
Triebwerkhersteller: „Wie viel Asche verträgt denn ein Triebwerk?“
Kubsch verweist auch auf das Vulcanic Ash Advisory Center, das
Fünf-Tage-Prognosen erstellt. „Das hat sich für die ersten zwei, drei
Tage als relativ zuverlässig erwiesen.“ Der Studienreise-Veranstalter
warnt davor, einfach zuzuwarten. „Es ist viel möglich, was man vorher
nicht gedacht hat“, hat er erfahren. Die Rückfahrt von Istanbul mit dem
Bus könne auch ein Erlebnis sein. Studiosus arbeite deshalb schon jetzt
an Anreise-Alternativen mit Bus, Bahn oder Fähre. „Wir wollen
Vernünftiges anbieten für eine eventuelle nächste Schließung. Der
Eyafjallajökull
ist ja kein 14-Tage-Phänomen. “ Doch die Branche sei es
gewohnt zu improvisieren. „Wir lecken die Wunden und weiter geht’s – bis
zur nächsten Krise.“
Im Gegensatz zu der TUI hat Studiosus die Reiseverträge gekündigt. „Wir
wussten nicht, wie lange die Situation anhält.“ Angesichts der
finanziellen Belastung ist diese Lösung für Kubsch der sauberste Weg.
„Wir haben die Kunden natürlich nicht allein gelassen, sondern intensiv
durch unsere Reiseleiter vor Ort betreut und Übernachtungen und
Rückreise organisiert.“
„Die Politik muss ein einheitliches Vorgehen festlegen“, fordert
Flughafensprecher Achim Bues, aber die Luftsicherheit müsse die
geforderten Grenzwerte festlegen. Allein könne die Politik das Problem
nicht lösen. Für Bues birgt die Aschewolke aber auch eine Chance. Die,
dass die Menschen erkennen, wie wichtig der uneingeschränkte Flugverkehr
in unserer globalen Welt ist. „Es blieben ja nicht nur Touristen am
Boden, Lebensmittel verdarben, die Autozulieferer saßen auf dem
Trockenen, Blumen verwelkten und Konferenzen mussten abgesagt werden.“
„Wir als Veranstalter wissen nicht, wie groß das Risiko ist, durch eine Aschewolke zu fliegen“, gibt TUI-Mann Heuer zu. Auch die Carrier hätten die Situation unterschiedlich gehandhabt was dazu führte, dass die einen am Boden blieben während die anderen abhoben. „Wir brauchen eine einheitliche Basis, auf deren Grundlage Entscheidungen fallen." Mehr Sicherheit erhofft sich auch Jurist Schmid von neuen
Grenzwerten. Peter Höbel setzt auf ein neues Institut, das Klima und
Klimaauswirkungen beobachtet und Einschätzungen anbieten soll. Denn noch
fehlen seiner Meinung nach die Entscheidungsgrundlagen. Für Ulrich
Heuer
geht das Problem tiefer: „Ist die Grundlage der Daten, auf der wir
Entscheidungen treffen, richtig?“ fragt er und erinnert an die
Pandemie-Stufe 6, die von der WHO wegen der Schweinegrippe ausgerufen
und bis heute nicht revidiert wurde.
Für Peter Höbel ist vieles eine Frage der Kommunikation. Er zeigt sich
erfreut darüber, dass sich die Tourismusbranche von „der Schönrederei“
verabschiedet habe und neuerdings die Risiken benennt. Auch die
Reisenden müssten umdenken, fordert Asger Schubert, und sich von der
Kasko-Mentalität“ verabschieden. „Man kann nicht sicher und berechenbar
reisen im Vertrauen darauf, dass jemand anderes das Risiko trägt.“
Die Schlagzeilen dieser Woche sind nicht dazu angetan, die Reisenden in
Sicherheit zu wiegen: In Thailand droht ein Bürgerkrieg, vor den Küsten
Louisianas breitet sich der Ölteppich trotz aller Bemühungen rapide aus, Polen versinkt im Hochwasser, 
in Griechenland trüben Generalstreiks die Reiselust und in Spanien
droht wegen geplanter Streikmaßnahmen der Verkehrsinfarkt. Wird Reisen
zum Vabanque-Spiel? Für den Studiosus-Chef ist vor allem die immer
wieder angesprochene Unkalkulierbarkeit „verheerend“. „Wir müssen in
eine Situation kommen, dass wir den Kunden Sicherheit bieten können“,
mahnt er.

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