Der Ararat ist der heilige Berg der Armenier, aber „er steht auf der falschen Seite“, auf Feindesland – in der Türkei. Am besten zu sehen ist der markante Vulkan, an dem die Arche Noah gestrandet sein soll, vom Kloster Chor Virap aus,das rund eineinhalb Stunden von der Hauptstadt Jerewan entfernt ist. Hier, wo König Trdat III. im Jahr 288 n. Chr. den heiligen Gregor in eine Höhle sperrte und 13 Jahre gefangen hielt, begann die Geschichte des christlichen Armenien. Denn Gregor ließ nicht vom Glauben und bekehrte den ungläubigen König, nachdem er ihn von einer entstellenden Krankheit geheilt hatte. Als erstes Volk in der Geschichte nahmen 301 die Armenier das Christentum als Staatsreligion an.
Armenien ist voll von solchen Legenden. Man muss nicht über eine wacklige Leiter in Gregors feuchtes Kellerverlies hinunter klettern, um die besondere Atmosphäre dieses Ortes zu spüren. Über die Mauern, die das Kloster umgeben, blickt man hinüber zum heiligen Berg und hinunter zum Fluss Arax, dahin, wo die Grenze zwischen Armenien und der Türkei verläuft. Bis heute ist sie geschlossen wie die andere Grenze zum Krisengebiet Berg Karabach.
Etwa drei Millionen Menschen leben in dem kaukasischen Binnenstaat, der nur zum Iran und zu Georgien offene Grenzen hat. Doppelt so viele befinden sich im Ausland wie Charles Aznavour, Cher, André Agassi oder Kirk Kerkorian. Auch von der Villa von Charles Aznavour hoch über der Hauptstadt Jerewan kann man den Ararat sehen.
Für die Armenier ist er ein Symbol, und er erinnert an den Genozid Anfang des letzten Jahrhunderts, dem 1,5 Millionen Armenier zum Opfer fielen, die seit Jahrtausenden in den Ostprovinzen rund um den heiligen Berg lebten. Der von der Türkei bis heute geleugnete Völkermord ist eine schwärende Wunde im Gedächtnis des Landes. Ein Denkmal auf dem Zizernakaberd über Jerewan hält die Erinnerung wach.
Jerewan ist eine der ältesten Städte der Welt und eine junge Stadt. Am Abend, wenn am Platz der Republik die Fontänen nach der Musik tanzen, trifft sich viel Jungvolk auf den Bänken und Mäuerchen um die Springbrunnen, um danach weiterzuziehen in die Kneipen der Stadt. Hier im Herzen Jerewans hat Städteplaner Alexander Tamanjan seine Träume von einer „rosaroten Stadt“ verwirklicht. Die meisten der repräsentativen Gebäude sind aus im Sonnenlicht warm schimmernden roten Tuffstein gebaut.
Sehenswert wie der Platz der Republik ist die Kaskade, ein bis heute unvollendeter Treppenkomplex aus hellem Kalkstein, die hinauf führt zu einer Aussichtsplattform, von der man einen großartigen Überblick über die Stadt hat. Wer allerdings direkt nach unten blickt, sieht immer noch verrostete Kräne und eine verlassene Baugrube.
Jerewan ist auch eine Stadt im Übergang mit schäbigen Platten- und ambitionierten Neubauten. Die einzige Fußgängerzone säumen teure Läden, Springbrunnen plätschern. Vor allem reiche Auslandsarmenier investieren hier, bauen ganze Stadtviertel neu und ziehen Häuser hoch, die kaum ein Armenier bezahlen kann. Bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen von 360 Euro ist das Geld knapp. Chronisch unterbezahlt sind Ärzte und Lehrer. Dennoch ist ein Studium das höchste Ziel der jungen Leute – und das, obwohl die Hochschulen Studiengebühren verlangen.
Ein Leben auf dem Land wie es die Molokanen in Filetovo führen, ist für die Hauptstadt-Jugend unvorstellbar. Hier leben die Menschen wie aus der Zeit gefallen. Ein uralter Traktor rattert über die holprige Dorfstraße, vor den Holzhäusern türmen sich Heuberge, die Bauerngärten stehen in voller Blüte und auf den Feldern klauben ganze Familien Kartoffeln. Frauen in langen Kleidern und mit Kopftüchern verkaufen am Straßenrand Karotten und Kraut, Kartoffeln und Eingewecktes. Andere decken den Tisch für Gäste und servieren Tee aus dem allgegenwärtigen Samovar.
Im 19. Jahrhundert hatte der russische Zar die Anhänger eines spirituellen Christentums nach Armenien geschickt, und bis heute leben sie abgeschottet in einer geschlossenen patriarchalischen Gesellschaft. Es gibt keinen Alkohol und keine Kreuze.
Das will etwas heißen in Armenien, wo die traditionellen Kreuzsteine aus dem 15. und 16. Jahrhundert zu Tausenden zu finden sind. Fein gemeißelt wie steinerne Spitze sind diese Symbole des christlichen Glaubens. Einige der schönsten dieser Kreuzsteine stehen in Edschmiadsin , dem religiösen Zentrum des Landes, auch Unesco Weltkulturerbe.
Die Klosterstadt, wo der Katholikos, das Oberhaupt der armenischen Kirche residiert, gilt als der „Vatikan Armeniens“. Im Park trifft man auf angehende Priester, die ins Gespräch vertieft sind, und Familien, die sich vor den mächtigen Gebäuden fotografieren. In der imposanten Kirche findet gerade eine Liturgie statt, die Gläubigen drängen sich vor dem Hauptaltar.
Im Zeichen des Kreuzes stehen auch die Klöster am Sewansee , einem der höchst gelegenen Süßwasserseen der Welt und dem größten See Transkaukasiens.
Hier mit Blick auf „die blaue Perle“ Armeniens, steht die gar nicht bescheidene Sommerresidenz des armenischen Präsidenten. Auch die Schriftsteller dürfen hier Erholung suchen. Ihr Sommerhaus wurde mit Steinen der dritten Kirche des Klosters gebaut, die von den Kommunisten abgerissen wurde.
Aus einer ganz anderen Zeit als die schönen Kreuzkuppelkirchen stammt eine andere Sehenswürdigkeit: Beim Anblick des Sonnentempels von Garni hoch über der Azat-Schlucht fühlt man sich fast nach Griechenland versetzt.
Der Tempel aus dem ersten Jahrhundert nach Christus wurde Mitte des 20. Jahrhunderts rekonstruiert und ist wohl eine der am meisten fotografierten Sehenswürdigkeiten eben weil er so ganz anders ist. Auch ein Hochzeitspaar ist extra hierher gekommen, um sich in Szene zu setzen.
September 17, 2017
Danke für deine neugierig machenden Zeilen über ein Land, das auf seine Art Geschichte von *aus der Zeit gefallen* bis * ziehen Jugendliche in die Kneipen der Stadt* in sich trägt. Schön, dass es deine Reiseberichte gibt. BFWW.