Abschied von einem alten Bekannte: Henning Mankells „Der Feind im Schatten“

Ein bisschen wehmütig ist einem als Leser schon zumute, wenn man diesen Roman von Henning Mankell zur Hand nimmt. Das liegt nicht am Titel „Der Feind im Schatten“, sondern am Abgang des Protagonisten. Es heißt, Abschied nehmen von einem guten, alten Bekannten, den man über viele, spektakuläre Mordfälle und in ebenso vielen Lebenskrisen begleitet hat. Irgendwie ist einem dabei dieser stets melancholische, manchmal auch mürrische Kommissar ans Herz gewachsen. Nun also Wallanders letzter Fall.

Auch der weist zurück in die Vergangenheit. In die Zeit des kalten
Krieges, noch vor dem Mord an Olof Palme. Und eigentlich ist es gar
nicht Wallanders Fall. Der Kommissar ermittelt ganz privat. Denn es geht
um Hakan von Enke, den künftigen Schwiegervater von Wallanders Tochter
Linda. Augerechnet nach der Geburt von Enkelin Klara stürzt das
Verschwinden des ehemaligen hochrangigen Marine-Offiziers die Familie in
ungeahnte Probleme, zumal Hakan Wallander kurz zuvor von seinen
diffusen Ängsten erzählt hat, die irgendwie mit seiner Vergangenheit zu
tun haben. Und mit der Zeit, als fremde U-Boote sich in schwedischen
Gewässern tummelte und viel von Landesverrat die Rede war. Für den
politisch eher naiven Kommissar zunächst ein Buch mit sieben Siegeln.
Als dann aber auch Hakans Frau Louise vermisst wird, erwacht der
Spürhund in Wallander. Bei seinen Ermittlungen fördert er einiges
zutage, was nicht ins Bild des tadellosen Offiziers-Paares passt und ihn
immer mehr verunsichert.
Viel schlimmer aber als diese Unklarheiten sind die geistigen Ausfälle
mit denen der sonst so scharfsinnige und in seinem Beruf penible
Polizist zu kämpfen hat und die seine Angst vor dem Alter schüren: „Eine
tiefe Unruhe überkam ihn, eine Leere, die sich um ihn ausbreitete. Oder
war sie nicht vielmehr in ihm selbst? Als verwandelte sich sein ganzes
Sein unmerklich in eine Stundenglas, durch das der Sand rieselte.“
590 Seiten quält sich Wallander mit Trugbildern, zweifelt er an der
eigenen Wahrnehmung und an der Verlässlichkeit seines Gedächtnisses.
Dass er das komplizierte Geflecht von Lügen und Intrigen um die von
Enkes doch noch entwirrt, ist wie ein letztes Aufbäumen vor dem Weg ins
Abseits des Alters.
Es ist ein langer Abschied, bei dem die Leser ihren alten Bekannten
begleiten, ein Abschied mit vielen Rückblicken und ebenso vielen
gemeinsamen Erinnerungen. Ein Abschied auch, der den aktuellen Fall fast
zu sehr in den Hintergrund drängt. Mehr als die komplizierten,
politischen Hintergründevon vor 20 Jahren, mehr noch als das Schicksal
von Hakan und Louise interessiert Wallanders persönliche Lebensbilanz.
Die früheren Fälle des schwedischen Kommissars waren spektakulärer,
brutaler auch. Aber dieser letzte Roman nimmt es an Düsternis mit seinen
Vorgängern auf. Henning Mankell stellt alles in Frage, die
Wahrhaftigkeit in der Politik, das Vertrauen innerhalb der Familie und
die Zuverlässigkeit der eigenen Wahrnehmung. Kein Lichtblick nirgends.
Ein echter Mankell.

Henning Mankell, Der Feind im Schatten, Zsolnay, 590 S., 26 Euro 

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