Der Kerl sitzt ordentlich da, die Beine übereinander geschlagen, die Zeitung neben sich, als ob er sie lesen wollte. Nur ist der Typ kopflos, das heißt, er hat keinen Kopf mehr… Der Beamte rennt zurück ins Polizeipräsidium, die Bullen stürzen auf den Platz, die Kriminalpolizei kommt, und in der Zeitung finden sie einen Zettel, auf dem steht: Das Arschgesicht haben wir behalten.”
In Sizilien kann man leicht den Kopf verlieren, sogar wenn man aus Stein ist wie Ferdinand II. Die Statue des ungeliebten Bourbonen weist kopflos ins Herz von Catania. Der steinerne Kopf hat schon längst keine Gesichtszüge mehr, seit er von den Catanesen als Fußball missbraucht wurde. Der Kopf, der zu Füßen der Garibaldi-Statue auf der Via Etna gefunden wurde, war aus Fleisch und Blut. Der dazu gehörende Körper wurde nie gefunden. Aber Ottavio Cappellani, der Autor des Mafia-Romans „Wer ist Lou Sciortino?” ist sicher: „Derjenige, dem die Message galt, hat sie wohl verstanden.”
Für Touristen wie du und ich sind solche Messages ein Buch mit sieben Siegeln. Mit dem Buch Cappellanis in der Hand siehst du Catania mit anderen Augen.
Setz‘ dich in ein Straßencafé an der Via Etnea, jener Straße, die „die Stadt senkrecht von oben nach unten” teilt: „ein Peitschenhieb, der geradewegs zum Vulkan führt”. Bestell dir einen Nero d’Avola oder ein Cassata, lehn‘ dich zurück und schau sie dir an, die Catanesen: alte spindeldürre Männer und fleischige Mammas, junge Lackaffen im dunklen Anzug und mit verspiegelter Sonnenbrille, bildschöne, selbstbewusste Mädchen mit bauchfreien Tops und abweisender Miene, saturierte Businessmen mit den Insignien ihrer Wichtigkeit und aufgeputzte Klatschweiber. Du findest sie alle in dem Buch und die meisten Tatorte auch.
Geh‘ die Scala Alessi hoch, die Treppe aus schwarzen Lavasteinen, wo die Underground-Kneipe Nievski auf Fahnen und Postern das Hohe Lied des Kommunismus singt. Oben landest du im Barock, dem Kloster der Capinera. Hier ist sie die „Brücke der Verliebten”, „eine Brücke die keine ist, sondern eine Schleuse, ein Gang, der in der Luft hängt, auf den man nicht einmal rauf darf”. Trotzdem allnächtlich geben sich hier die Liebespaare ein Stelldichein. In den Kirchen drumherum haben sich alle Engel und Heiligen Siziliens versammelt. Unter ihren nachsichtigen Augen beten sogar Mörder den Rosenkranz.
Dich interessiert weltlicher Flitter mehr als barocke Üppigkeit? Dann ist die Via Alessandro Manzoni ein Muss. In den Auslagen der kleinen Läden stapelt sich Spitze und Seide, Glanz und Glitter. Winzige Brautkleider für Babys, pastellfarbene Roben für Brautjungfern, Fliegen und Smokinghemden hier gibt’s das Outfit für den feierlichen Anlass. An der Ecke siehst du eine merkwürdige Symbiose von Kneipe und Kirche. Das Jugendstilhaus ist das erste illegal erbaute Haus in Catania. Es entstand auf anrüchigem Grund, an Stelle einer öffentlichen Toilette.
Catania ist vielschichtig, eine alte Stadt, die auf einer noch älteren steht. Das Amphitheater im Zentrum erinnert an die römische Stadt, die an den Folgen eines Vulkanausbruchs untergegangen ist.
Höchst lebendig ist die Stadt rund um die Via Pacini, wo Tag für Tag die Marktleute ihre Waren ausbreiten. Halte deine Tasche fest, wenn du dich durch die Stände drängst, auf denen pralle Paprikas sich zu Pyramiden stapeln, das Grün von frischem Salat mit dem von Basilikum wetteifert und signalrote Tomaten zum Reinbeißen verlocken. Ein Dreirad knattert durch die engen Gassen, Siziliens Lieblingsverkehrsmittel, von oben bis unten mit Reiterszenen bemalt. Fischverkäufer preisen mit sich überschlagender Stimme den letzten Fang an, dicke Mammas feilschen um ein paar Euros.
Mitten im Ohren betäubenden Geschrei hält ein Händler stoisch die Stellung. Im Schaufenster liegen Messer, die sich nicht nur zum Gemüseschneiden eignen. Im dämmrigen Innern kannst du Bügelbretter und Putzmittel ausmachen, Glühbirnen und Zahnpasta. Ein Laden wie der von Zio Mimmo „weniger als zwei Meter breit und etwas mehr als zwei Meter lang. Schon bei mehr als einem Kunden kommt man wegen der vielen Regale nicht mehr durch”. Du lässt dir die Vorteile der verschiedenen Messer zeigen und denkst mit Schaudern an Pippino, der sie so wirkungsvoll einzusetzen wusste. In einer Vitrine ein paar Ecken weiter siehst du einen vergilbten Zeitungsausschnitt und du erkennst: Es gibt ihn wirklich, den Waffenhändler, der Pumpguns verkauft und am liebsten lyrische Opern hört. Du bummelst ein bisschen auf der Via Etnea, bewunderst den Elefantenbrunnen und das traditionsreiche Siculorum Gymnasium, wirfst einen Blick in den Dom und auf den Bellini-Brunnen.
Es ist heiß in Catania, zwischen den Häusern aus schwarzen Lavasteinen staut sich die Hitze. Zeit für eine Erfrischung, am besten auf der Piazza Vittorio Emanuelle. Der schöne Jugendstilkiosk ist ein beliebter Treffpunkt. Lass dir ein „seltz” machen, die Mischung aus Zitronensaft und Salzwasser weckt die Lebensgeister. Nimm‘ dir noch ein paar Marzipan-Teilchen aus der Bar Savia (Vorbild für Scala Marzipan) mit und gönn‘ dir eine Auszeit im paradiesischen Bellini-Park. Zwei Polizisten patrouillieren hoch zu Ross. Du kannst dich sicher fühlen, auf die „schwarze Stadt” schauen, ein bisschen in deinem Buch lesen und über Catania nachdenken.
„In meinem Buch ist nichts surreal,” hat Cappellani gesagt. „Alles ist Wirklichkeit.” Du hast einen Ausschnitt dieser Wirklichkeit gesehen, aber du ahnst auch, dass es daneben eine andere Wirklichkeit gibt. Diese Stadt hat viele Seiten Capellanis Catania ist eine davon.