Country Roads: Unterwegs auf dem Blue Ridge Parkway

Almost heaven, West Virginia,
Blue Ridge Mountains, Shenadoah River.

John Denvers Country Roads kennt jeder, der schon mal in einem Bierzelt war. Der Refrain des Songs „Country roads, take me home“ eignet sich bestens zum Mitgröhlen. Dabei besingt der amerikanische Barde nicht nur die Landstraßen, die ihn nach Hause bringen, sondern auch die Landschaft um die Blue Ridge Mountains und den Shennadoah Fluss, der in den Appalachen entspringt. Der Blue Ridge Parkway ist eine dieser Country Roads – und mit Sicherheit die schönste.
Die Panoramastraße verbindet den Shenandoah Nationalpark in Virginia über die Blue Ridge Montains mit den Great Smoky Mountains in North Carolina. 755 aussichtsreiche Kilometer, immer auf der Höhe, entlang dem Hauptkamm der Appalachen. Im Herbst feiert der Blue Ridge Parkway Jubiläum. Dann wird die von vorausschauenden Männern geplante Touristikstraße 75 Jahre alt. Wir sind vorausgereist auf den Spuren des JohnDenver-Songs.

Life is old there, older than the trees;
Younger than the mountains, growing like a breeze.

Die Berge der Appalachen sind älter als die Alpen. Aber die Geschichte,
von der dieses kleine Museumsdorf bei Boone erzählt, ist noch jung –
verglichen mit der Europas. Daniel Boone, das war in den 70ern ein
Fernsehheld. Und diesen Helden, von dem das  Universitätsstädtchen in
North Carolina seinen Namen hat, gab es wirklich. Der amerikanische
Abenteurer wurde 1734 in einer Blockhütte in Birdsboro/Pennsylvania
geboren und machte sich einen Namen als Fährtenleser, Jäger und Pionier.
Als einer der ersten Weißen wagte sich der Vater von zehn Kindern in
die Wildnis der Blue Ridge Mountains, wurde zwei Mal von Indianern
gekidnappt und bahnte den Siedlern den Weg nach Kentucky. Das
Freilicht-Spektakel „Horn in the West“ feiert in diesem Jahr zum 59. Mal
Boones Pioniertat.
Daniel Boone höchstpersönlich (dargestellt von dem Historiker Brian
Fannon
) kann man im Museumsdorf Hickory Homestead treffen. Der
45-Jährige mit prächtigem Vollbart und wallendem Lockenhaar unter dem
Hut versetzt sich gern in alte Zeiten ebenso wie der Gründer dieses
Freilichtmuseums, David Davis, der über ein paar Ecken mit Boones Frau
Rebecca verwandt ist und im wahren Leben sein Geld als Bauunternehmer
verdient. 54 ist er, klein und drahtig „wie Daniel Boone war“ (sagt er).
David trägt die Kleidung eines Jägers, mit Gewehr und Messer, die Haare
hat er zu einem Zopf gebunden. Irgendwie wirkt er, als gehöre er
hierher in eines dieser alten Blockhäuser, wo ein Raum zum Kochen,
Arbeiten und Schlafen genügte – und zum Kinderkriegen. Zehn Kinder waren
keine Seltenheit. Es waren harte Zeiten. Doch damals, meint David, war
ein Mann noch ein echter Mann: „Ich wäre in meinem Element gewesen.“ Das
war wohl auch der alte Daniel Boone, auch wenn er, so David, nicht der
große Indianerfreund war, als den Hollywood ihn gefeiert hat. Viel eher
sei er ein „silver-tongued devil“ gewesen, ein doppelzüngiger Teufel,
der die gutgläubigen Indianer um den Finger gewickelt hat.

Country roads, take me home to the place I belong 
West Virgina, Mountain Mama

Die Mutter der Berge ist hier ein Großvater, der Grandfather Mountain.
Sein Profil mit der großen Nase beherrscht die Gegend. Noch bis vor zwei
Jahren war der Berg im Privatbesitz. Dann starb der Eigentümer, Hugh
Morton
, ein Schotte, und Grandfather Mountain wurde in eine Stiftung
überführt. Der Gipfel des 1818 Meter hohen Berges ist ein großer
Freizeitpark mit einem kleinen Museum, einem Zoo und der höchsten
Hängebrücke der Vereinigten Staaten, der Mile High Swinging Bridge. Die
üppigen Eintrittsgelder fließen in die Stiftung, die es sich zur Aufgabe
gemacht hat, die Umwelt zu bewahren. Wie der Gründer. Hugh Morton
machte lange Zeit den Erbauern des Blue Ridge Parkway einen Strich durch
die Rechnung, weil er keine Sprengungen am Berg duldete. Erst 1989, 80
Jahre nach dem ersten Spatenstich und 54 Jahre nach Beginn der ersten
Straßenarbeiten konnte die letzte Lücke mit einem den sanften Rundungen
des Berges folgenden Viadukt geschlossen werden.
„Wir sind hier oben eine große Familie“, schwärmt Katie (27). Die junge
Frau mit dem braunen Pferdeschwanz ist seit vier Jahren
„Familienmitglied“, sie hat Ökologie studiert und kennt sich aus mit den
73 seltenen Tier- und Pflanzenarten, die auf dem Berg heimisch sind –
seit 1992 ist Grandfather Mountain Biosphären-Reservat. Viele Pflanzen-
und Tierarten sind trotz aller Bemühungen vom Aussterben bedroht. Die
Bergpuma
s, sagt Katie, „gibt es nur mehr bei uns im Zoo“, auch wenn sich
Geschichten von Puma-Überfällen auf Kühe oder gar auf Menschen
hartnäckig halten. Die ungezähmte Natur ist ein Mythos im Land der
Pioniere – und manchmal wird sie ihrem Ruf gerecht. Ein mächtiger Sturm
zaust die rosaroten Azaleen am Straßenrand, schüttelt die Baumkronen,
rüttelt an den Autotüren und bringt die Hängebrücke zum Klingen.
Aussteigen unmöglich. Es regnet Blütenblätter. Der Blick durchs
Autofenster schweift in eine schier grenzenlose Weite

All my memories gather ‚round her 
Miner’s lady, stranger to blue water 

In West Virginia herrschte lange Zeit Bergbau brutal, Berge wurden
einfach weggesprengt, um Kohle zu fördern. Bis weit in die Blue Ridge
Mountains
sind die Verheerungen dieses Gipfelbergbaus zu sehen. Und die
Auswirkungen des sauren Regens machen auch vor der höchsten Erhebung der
Appalachen, dem Mount Mitchell, nicht Halt. Zwischen hochgewachsenen
Balsamtannen recken gespenstische Baumskelette ihre kahlen Äste in den
Himmel. Zu Tausenden säumen sie die Straße, die sich in Serpentinen bis
fast zum Gipfel windet und den gepflasterten Weg zur Aussichtsplattform,
die so auch für Rollstuhlfahrer erreichbar ist. Ein sterbender Wald. Im
kleinen Museum ist das ebenso Thema wie die Vermessung des Berges durch
den Namensgeber Dr. Mitchell. Vom höchsten Punkt auf 2037 Metern Höhe
blickt man bis zum Horizont auf wogende blaue Berge.
Die blauen Wasser fließen in den Tälern, Wasserfälle rauschen über
Felsbrocken, Bäche schlängeln sich durch blühende Büsche und Tunnel aus
dunklem Grün. Kein Lastwagen weit und breit, kein Dorf, keine Industrie.
Der Blue Ridge Parkway ist eine Touristenroute, den Autos vorbehalten,
den Motorrädern und den Rädern. Die Landschaft zieht vorbei wie auf
einer Filmleinwand: ein Haus inmitten von manikürten Christbäumen, ein
tiefer Einschnitt, ein Wald, ein Fluss, dann wieder Berge in Wellen. Die
Natur hat ihren Blütenteppich ausgerollt. Blau, violett und gelb blühen
die Rhododendren im Garten von Little Switzerland. In der Bar des einem
Schweizer Chalet nachempfundenen Hotels spielen sie John Denvers
Country Roads.

Dark and dusty, painted on the sky. 
Misty taste of moonshine, teardrop in my eye.

Die Sonne hat sich hinter dicke schwarze Wolken geflüchtet, dichte
Nebelschwaben wabern um die Great Smoky Mountains und machen dem Namen
alle Ehre. Aus dem Grauschleier schält sich ein weißes Haus, das
Gerichtsgebäude von Silver. In der Hauptstraße wirbt ein Schild für die
Heinzelmännchen Brauerei. Brauer Dieter Kuhn ist ein Bär von einem Mann
mit schwarzem Haar und schwarzem Bart. Geboren wurde er 1956 in der
alten Stauferstadt Heidelsheim; über Chicago, wo er der gelernte
Krankenpfleger das Brauen lernte, kam er nach Silver. Weil es da nur
„Zeugs wie Budweiser“ gab, begann er sein eigenes Bier zu brauen – mit
Erfolg. „Bier machen, Bier verkaufen, Bier trinken“, das ist gut, brummt
der 54-Jährige zufrieden, während er aus Heinzelmännchen „Weiße Gnome
Hefeweizen“ zapft, das fast so gut schmeckt wie weiß-blaues Weißbier.
„Von unserem Bier“, sagt Dieters Frau Sharya, „bekommt niemand einen
Kater“. 500 Fässer Bier braut der deutsche Einwanderer pro Jahr, etwa
1892 Liter – Helles, Dunkles, Pils und Weißbier. Hin und wieder nimmt er
sich eine Auszeit, um die Gegend zu erkunden: Zehn Tage hat er
gebraucht, um mit dem Rad den Blue Ridge Parkway zu fahren, „eine
fantastische Reise in die Geschichte North Carolinas“.
Auch Asheville gehört zu dieser Geschichte, und Biltmore Estate, das Ende
des 19. Jahrhunderts im Stil eines Schlosses erbaute „Wohnhaus“ von
George Washington Vanderbilt II. – ein Monument des Größenwahns mit 43
Bädern, bis heute das größte private Anwesen der USA. Asheville selbst
ist ein hübsches Städtchen mit Art-Deco-Häusern und einer imposanten
Backstein-Basilika. Hier fühlen sich betuchte Bürger ebenso zuhause wie
grüne Alternative, Exzentriker und Althippies. Doch selbst hier ist
Bruder Christopher nicht zu übersehen, über und über mit Buttons
behängt, rotblonde Dreadlocks unter dem Käppi, blonde Bartflusen.
„Deutsch”, fragt er und lächelt milde. Vier Jahre seiner Kindheit,
erzählt er dann, habe er in Bitburg verbracht, „eine schöne Zeit“. Von
der Gegenwart hält er nichts. „Betet“, sagt der selbst ernannte Bruder
und wischt eine Träne aus dem blauen Auge, „die Welt ist auf dem
Irrweg.“

Country roads, take me home to the place I belong,
West Virginia, Mountain Mama.
Take me home Country Roads.

Der dicke Nebel hat alles verschluckt, die Berge, die Täler die Straße.
Die Fahrt wird zum Blindflug. Nur das Ziel ist sicher: Cherokee, das
Zentrum des gleichnamigen Reservats der Eastern Band of Cherokee, wie
sich die Ureinwohner North Carolinas nennen. Der erste Blick auf die
Kleinstadt wird von einem Hochhausneubau verstellt, zum neuen Kasino
entsteht ein neues Hotel. Hier verdienen die Cherokee Geld, das sie in
die Pflege ihrer Traditionen und in ein sehenswertes Museum über ihre
Geschichte investieren. Vom „trail of tears“ erzählt es, dem „Pfad der
Tränen“, der das Volk hierher führte. Vom Schöpfungsmythos der Cherokee,
ihren Märchen und ihrer Sprache Sequoyah, die nach dem Erfinder des
Schriftsystems, George Gist,  benannt wurde, der wegen seines Hinkens
als Seguoyah (Schweinefuß) gehänselt wurde.
Lynn – dunkle lange Haare, dunkle Augen, breites Gesicht – ist Cherokee
wie die 8000 Einwohner des Orts. Ihr Urururgroßvater kam auf dem „trail
of tears
“ hierher. Weil sein Vater Mitglied eines anderen Stammes, der
Keetoowah Band of Cherokee Indians in Oklahoma, ist, darf ihr
13-jähriger Sohn zwar in Cherokee wohnen, aber kein Land besitzen. Die
Gesetze sind streng in Cherokee. Die überlebenden Ureinwohner wollen
bewahren, was ihre Vorfahren ihnen hinterlassen haben. Sie sind
heimgekehrt an den Ort, wohin sie gehören. Mit dem ersten Geld aus dem
Casino kauften sie 1996 ein Stück Land zurück: Kituwak, das Zentrum.
Hier wo weit und breit nur Wiesen und Äcker zu sehen sind, sagt Lynn,
siedelten die Cherokee erstmals, womöglich vor 12 000 Jahren. Es war
„heiliges Land“, auf dem die Nachkommen lebten, der Ort war ein
Friedensdorf, wo Flüchtige Unterschlupf fanden – bis 1840. Dann wurde
alles dem Erdboden gleich gemacht. Nur ein kaum sichtbarer Hügel, ein
Mound, zeugt noch von der Geschichte. Und manchmal kommt beim Pflügen
die Vergangenheit ans Tageslicht, Tonscherben etwa, bleiche Knochen. Es
war der Fund eines Schädels, der verhinderte, dass dieses Stück Land in
einen profitbringenden Golfplatz umgewandelt wurde. „Das Land rettete
sich selbst“, ist Lynn überzeugt.

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