Mauritius: Die Welt im Kleinen

Der Mann trägt weiß. Und damit fällt er hier nicht einmal auf. Denn auf dem Hotelgelände laufen viele in dem weißen Baumwollanzug herum, den das Shanti Ananda seinen Gästen zur Verfügung stellt. Mit den Kleidern sollen sie auch den Stress des Alltags ablegen. Dr. Anuviyan kommt aus Indien wie viele Einwohner von Mauritius. Der
Schüler von Swami Parthasarathy  -der Guru beruft sich auf die uralte Vedanta-Philosophie -, ist überzeugt davon, dass sich „Leben lernen
lässt wie ein Musikinstrument“.

Im abgeschiedenen Shanti Ananda-Resort
an der Südküste von Mauritius gibt der Doktor Interessierten Lektionen
darüber, wie sie ihr Leben besser in den Griff bekommen. Gleichmut
predigt er, Augenmaß – auch Verzicht. Und das in einem Luxus-Resort, in
dem es den Gästen an nichts mangelt. „Die Menschen, die hierher kommen,
sind sehr reich“, sagt der indische Lebensphilosoph. „Aber sie sind oft
auch sehr negativ, haben an nichts mehr Freude. Und hier werden sie
alle zu braven Jungen Und Mädchen.“ Zumindest äußerlich. In der Kurta,
einer Art Pyjama aus Hose und Kaftan, sind alle gleich, ob Manager,
Filmstar oder Sekretärin. Allerdings müssen sie sich erst einmal den
Luxus des Hotels leisten können. Wer sich die Villa mit eigenem Pool
und Garten für 750 Euro pro Nacht gönnen will, muss es draußen in der
Welt schon ziemlich weit gebracht haben. Immerhin ist das Frühstück im
Preis inbegriffen.
„Das Leben ist ein langer Fluss von Erfahrungen“, hat Dr. Anuviyan
gesagt. Diese Erfahrung gehört zu den schönen: Abhyanga – eine Art
Synchronmassage. Meggie, die Zarte,  und Nilan, die Robuste, spielen
auf dem ihnen anvertrauten Körper wie auf einem Musikinstrument und
bringen ihn zum Vibrieren. Nach Dampfbad und Peeling fühlt sich der
Gast wie neu geboren. Solche Spa-Erlebnisse sollen das Versprechen
einlösen, das der Name Shanti Ananda beinhaltet: Friede und
Glückseligkeit.
Dafür bildet die Insel Mauritius die (fast) perfekte Kulisse. Hier
leben Menschen aller Rassen und Religionen friedlich nebeneinander;
Hindu-Tempel stehen neben Moscheen und christlichen Kirchen. „Hier wird
niemand ausgegrenzt“, sagt Mark Rohr. Der 44-jährige Graphikdesigner
lebt seit sieben Jahren auf der Insel. Gekommen ist er als Tourist –
per Zufall, weil er einen günstigen Flug im Internet gefunden hatte.
Der Globetrotter wollte sich auch mal auf der Insel der Luxusresorts
umschauen, selbst wenn er sich nur Bed & Breakfast leisten konnte.
Am Strand sprach ihn Corinna, eine junge Mauritianerin, an. Mark blieb
einen Monat, besuchte eine kreolische Hochzeit und verlobte sich mit
der bildschönen Kreolin. Fünf Mal kam er wieder – beim fünften Mal mit
Sack und Pack.
Heute führen Corinna und er ein Gästehaus in La Gaulette, das Mark mit
sehr viel Liebe zum Detail und indischen Schnitzereien ausgestattet
hat. Doch die Zeit davor war hart. Mit der Machete hat er das
Grundstück freigeschlagen. Lange fünfeinhalb Jahre gab es kein
Einkommen, nichts. „Wir haben jede einzelne Rupie in das Haus
gesteckt“, erinnert sich Mark. „Nicht einmal Kaffee konnten wir uns
leisten.“ Jetzt genießt der deutsche Einwanderer und ehemalige
Weltenbummler die Freiheit, auch mal wieder reisen zu können: „Heute
leb‘ ich, vorher habe ich nur geschuftet“, sagt er und streicht Sohn
Julien (3 ½) über die dunklen Locken. Töchterchen Eliane (5 ½) spitzelt
neugierig um die Ecke. Dass er ausgerechnet nach Mauritius kam, damals
vor sieben Jahren, musste wohl so sein, ist Mark überzeugt. Die Exotik
stecke ihm im Blut: der Opa kam aus Delhi. Und Mauritius ist die ideale
Insel für Leute wie ihn. „Man kann den Menschen hier sehr nahe kommen“,
schwärmt der Neu-Mauritianer.
Englisch sollte man schon können, besser noch Französisch. Dann kommt man schnell ins Gespräch – mit der Wirtin im Restaurant, dem Arbeiter in den Salzminen, der Verkäuferin, dem Straßenhändler, den Kindern. Vor allem am Wochenende, wenn die ganze Insel sich in einen riesigen Picknickplatz verwandelt. Dann herrscht Belagerungszustand an Stränden und Aussichtspunkten im Inselinneren. Großfamilien haben ihren halben Hausrat angekarrt, andere machen Brotzeit aus dem Kofferraum und lassen auch ein paar räudige Katzen daran teilhaben. Fröhliches Stimmengewirr liegt in der Luft, die Menschen genießen, was ihre Insel ihnen bietet, die Welt im Kleinen.
Sieben Farben hat die Erde bei Chamarel, eigentlich ist es ein Braun in allen Schattierungen von Ocker bis Lila. Aus einer Ecke tönt Edith Piafs „Non, je ne regrette rien“, Pärchen wandern eng umschlungen den Rundweg entlang. Am Aussichtspunkt gegenüber dem Wasserfall, der sich über einen sichelförmigen Felsabbruch ergießt und dessen Gischt einen flüchtigen Regenbogen zaubert, ist dann Fototermin. Ernst schauen die meisten, mit großen Augen die Kinder, wie früher beim Fotografen. Ein Augenblick wird eingefangen, gerinnt schon jetzt zur Erinnerung.
Fototermin auch am Grand Bassin. Hindu-Tempel, grellfarbige Götterfiguren, Opferschreine: An diesem Kratersee, wo eine gigantische Statue des Gottes Shiva, über die gewaltige Auffahrtsallee wacht, über die am Maha Shivaratree, der Nacht Shivas Hunderttausende von Gläubigen ziehen, fühlt man sich nach Indien versetzt. Frauen in farbenfrohen Saris und Priester im traditionellen Dhoti bringen in den Tempeln ihre Gaben dar und versenken nach der Weihe die Opferschalen im See – die Fische warten schon darauf. Den Hindus ist der See heilig. Ganga Talao nennen sie ihn. Denn der Legende nach hat Gott Shiva bei einem Aufenthalt auf Mauritius Wasser aus dem Ganges, den er auf dem Kopf trug, in dem Kraterloch verschüttet – so entstand Grand Bassin, das spirituelle Zentrum der Hindus.
Welch ein Gegensatz zur quirligen Inselhauptstadt Port Louis, die mit ihrer modernen Waterfront fast europäisch anmutet. Die Altstadt happenweise Geschichte bewahrt: Chinatown mit den pagodenartigen Häusern, die mehr oder weniger dem Verfall preisgegeben sind, das Postmuseum mit der berühmtesten Briefmarke der Welt, der Zentralmarkt. Es regnet, als wäre die Stadt unter einen Wasserfall geraten, die Händler haben ihre Schätze unter Plastikplanen vergraben. Doch dann lugt die Sonne zwischen den dunklen Wolken hervor und wie von Zauberhand tauchen Sonnenbrillen und Unterhosen, Teddybären und T-Shirts aus der Versenkung auf. Durch die engen Gassen drängen sich Massen von Menschen, mit Mofas, Fährrädern und zu Fuß. Bettler halten die Hand auf, Händler preisen ihre Waren an, Kinder kreischen. Autos hupen und auf den Bürgersteigen ist kein Durchkommen, weil Händler und Passanten sich gegenseitig den Platz streitig machen. Doch alle sind freundlich, reden gerne und erzählen aus ihrem Leben und von ihrer Insel. Mauritius ist weit weg vom Weltgeschehen. Die Menschen sind mit wenig zufrieden. Zwischen 4000 und 8000 Rupien liegt der durchschnittliche Monatsverdienst, das sind grade mal 100 bis 400 Euro.
Das soll nicht immer so bleiben. In Cyber City an der Autobahn M1 baut die Insel an ihrer Zukunft. HSBC und Barclay Price Waterhouse sind schon da, Four Points by Sheraton und eine IT-Akademie. Gläserne Bürotürme wachsen in den Himmel, Kräne signalisieren, dass hier noch viel geplant ist. Die Kantine ist in einem Bauwagen untergebracht und umlagert von jungen Männern in dunklen Anzügen und jungen Frauen im Business-Kostüm. Modernste Technologie soll für Mauritius, das Jahrhunderte lang vom Zuckerrohr-Anbau lebte, ein neues Standbein werden. Im Internet wird für den Standort als „outsourcing destination with a difference“ geworben, als ideales Ziel für ausgelagerte Arbeitsplätze also. Unter den afrikanischen Wirtschaften hat sich die multikulturelle Insel als Musterschüler erwiesen – auch dank des Tourismus aus aller Welt.
Doch die Weltwirtschaftskrise zeigt auch im abgelegenen Mauritius Wirkung. Den teuren Hotels fehlen die finanziell potenten Gäste. Für sie hat Four Seasons auf der Halbinsel Anahita ein von der Außenwelt hermetisch abgeriegeltes irdisches Paradies geschaffen mit eigenen, fast menschenleeren Stränden und tiefblauen Lagunen, mit sattgrünen Wiesen und einem perfekten Golfplatz, mit Kinderhaus und großzügigen Villen, in denen die Gäste ungestört ihre Zweisamkeit genießen können. 123 weiträumige Villen und Residenzen wollen auch jetzt mit Leben gefüllt werden. Supersonderangebote wie drei Freinächte bei der Buchung von vier Übernachtungen in einer Garden Pool Villa sollen zögerliche Kunden überzeugen. Auch das Premium-Resort One & Only lockt mit Freinächten und anderen Specials. Ende letzten Jahres bekam man sogar den Flug mit Air Mauritius gratis, wenn man eine Woche Luxusurlaub auf Mauritius buchte. Doch während sich in vielen Luxusresorts Butler und Bademeister langweilen, künden Baustellen auf der ganzen Insel, vorwiegend entlang der Küste, von immer neuen Bauvorhaben. Zuviel des Guten ist auch Zuviel, hatte Dr. Anuviyan gesagt – weil es Überdruss erzeugt. Vielleicht sollten die Hotelplaner von Mauritius zu ihm in die Schule gehen.  

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