Linz09, das war auch ein Experiment. Ein Schweizer als Intendant des Kulturhauptstadtjahres, eine Ausstellung (Hauptstadt des Führers) zu einer geschichtlichen Epoche, die man am liebsten übergangen hätte und ein Projekte-Wettbewerb, bei dem sich die örtliche Kunstszene außen vor fühlte. Wir fragten Martin Heller, (geboren in Basel, Studium der Kunstgeschichte, Ethnologie und Europäischer Volkskunde), seit 2005 Intendant von Linz09 nach seiner Bilanz.
Frage: Sie waren erstmals Intendant einer Kulturhauptstadt – und das vier Jahre lang. Was genau war Ihre Aufgabe?
Heller: Im Grunde war es die Verantwortung für die
Gestaltung und Realisierung des Kulturhauptstadtjahres. Es ging ja
nicht nur um kulturelle Projekte. Ich musste mich auch anderen Fragen
stellen -, wie Linz marketingmäßig dasteht, wie der Tourismus
aufgestellt ist, wie sehr die Stadt ein Gefühl dafür hat, Gastgeberin
zu sein, andere Menschen willkommen zu heißen
Frage: Im Vorfeld gab es einige Probleme mit der Ausrichtung des
Programms. Die Linzer Kunstszene fühlte sich nach der Bewerbung außen
vor. Konnten die Unstimmigkeiten im Lauf des Jahres ausgeräumt werden?
Heller: Das Jahr selbst heilt viele Wunden, weil man
merkt, was gemeint war. Dass
die Unzufriedenheit dennoch nicht völlig ausgeräumt ist, hat wenig mit
der Realität zu tun:. Immerhin war ein Viertel des Budgets der lokalen
Szene vorbehalten. Aber diese Szene hatte Mühe mit dem Wettbewerb
der Ideen, und so. Es gab es halt Reibung, weil wir nicht die üblichen
Gleise fuhren. Alles in allem hat sich jedoch ein gewaltiger Stolz
breit gemacht auf die Stadt. Ssowohl bei vielen, die mit Kultur zu tun
haben, als auch bei der breiten Bevölkerung. Plötzlich war es möglich,
nach außen zu treten und zu sagen: Schaut her: Das ist unsere Stadt!.
Frage: Sie haben den Linzern mit der Ausstellung „Kulturhauptstadt des
Führers“ die Aufarbeitung der Vergangenheit quasi aufoktroiert. Wie war
die Akzeptanz?
Heller: Es war eigentlich insgesamt eine großartige Erfahrung
insgesamt, wie sich dieses Aufgreifen und Herzeigen zeitgeschichtlicher
Themen ausgewirkt hat. Zu Beginn herrschte verständlicherweise
Verunsicherung. Es war zwar immer klar, dass wir über die
NS-Zeit reden werden, nur das Wie trieb viele um. Doch die
Tatsache, dass Linz sich mutig dieser Auseinandersetzung stellte, hat der Stadt Respekt von außen eingebracht. Das
half auch nach innen. Der ganze Bereich Zeitgeschichte wurde so zu
einem organischen Teil des Kulturhauptstadtjahres.
Frage: 2,8 Millionen Menschen kamen im Kulturhauptstadtjahr nach Linz. Sind Sie zufrieden mit der Außenwirkung?
Heller: Das ist eine stolze Zahl. In Wirklichkeit waren es sogar 3,4
Millionen, weil wir mit dem Programm ja
bereits 2007 und 2008 begannen. Die Zahl ist auch deswegen so wertvoll,
weil nicht nur ein paar Highlights großen Zuspruch erfuhren, sondern
auch kleinere, unspektakuläre Formate. Und gerade die Mischung zwischen
großen „Leuchtturm-Projekten“ und eher unscheinbaren Dingen war uns so
wichtig. Ich denke nur dabei an den Keppler-Salon zur Vermittlung von
Wissenschaft, an das Haus der Geschichten oder an die Orgelstationen,
eine ganz einfache Idee, aber mit großer Liebe und
Leidenschaft realisiert, und mit täglichen Gratiskonzerten eine
Bereicherung des Alltags auch für die Menschen vor Ort.
Frage: So richtig günstig war das Ganze nicht. 60 Millionen Euro betrug
das Budget. Davon trug Linz 20 Millionen. Glauben Sie, dass sich die
Investition für die Zukunft auszahlt? Anders gefragt: Wie nachhaltig
ist das Kulturhauptadtjahr für Linz?
Heller: Eine erfolgreiche Kulturhauptstadt erobert
sich einen Platz auf der Landkarte. Das trifft für Linz in noch
stärkerem Maße zu. Linz ist ja keine Stadt mit einer kulturellen
Tradition wie beispielsweise Graz -, es war lange Zeit ein nobody unter
den österreichischen Städten. Viele Menschen kamen 2009 zum ersten Mal
nach Linz und haben entdeckt, dass die Stadt überhaupt nicht den
negativen Klischees entspricht, die noch immer
aus der dreckigen Stahlstadtzeit kursieren. Linz09 hat den Rahmen
geschaffen, der solch eine Auseinandersetzung erst möglich gemacht hat.
Das ist fast nicht zu bezahlen. Und dann bleiben ja auch Bauten wie das neue Schlossmuseum oder das Ars Electronica Center weit über die Zeit
hinaus. Selbst kleinere Projekte werden überleben. Und die
Kunstinstitutionen arbeiten deutlich besser zusammen als früher.
Frage: Welches der über 220 Projekte war Ihr Lieblingsprojekt?
Heller: Dürfen es auch drei sein – stellvertretend für
viele andere? Der (Musik)Circus hat mich schon überrascht; so etwas
Charmantes, Zugängliches, Poetisches – das mochte ich sehr. Ich
mochte auch den Höhenrausch, der über 270 000 Besucher
anzog, ganz überraschend, ein richtiges Aushängeschild. Und ich mochte
die vielen Theate, das vielfältige Programm beim Festival Sonnenbrand –
draußen, an Orten, wo sonst nie Theater war. Das hat der Stadt neue
Perspektiven eröffnet. Es war ja immer mein unser Anliegen, ein
möglichst gutes Programm zu machen und ich wir haben viel, viel Energie
auf die Mischung verwendet.
Frage: Was würden Sie anders machen?
Heller: Ich würde mir wahrscheinlich noch mehr Zeit nehmen im Vorfeld.
Um die Stadt kennenzulernen, um mit den Menschen zu sprechen. Ich würde
noch länger zuwarten, bis wir uns mit dem Programm festlegen – trotz
Druck von außen. Sonst würde ich nicht viel anders machen. Linz hat in
diesem Jahr elf Prozent mehr Übernachtungen., Ddas ist enorm, vor allem
in diesem wirtschaftlich schwierigen Umfeld. Die Kulturhauptstadt hat
die Krise abgefedert. Das ist kaum zu steigern.
Frage: Was raten Sie Ihren Kollegen von Ruhr 2010, um das
Kulturhauptstadtjahr in der ehemaligen Industrieregion zu einem Erfolg
zu machen?
Heller: Raten würde ich nichts. Da sind ja schon alle Weichen gestellt.
Aber ich wünsche meinen Kollegen natürlich, dass es gelingt, eine große Begeisterung nach außen zu tragen. Das Ruhrgebiet hat
so viel zu bieten! Ich wünsche ihnen, dass sie über alle
Rivalitäten der Städte hinweg ein Zeichen für diese Region setzen
können, die harte Zeiten hinter sich hat. Was da entstanden ist, davor
habe ich großen Respekt.