Philippinen: Land des Lächelns

Die Braut lächelt. Sie lächelt für den Fotografen und auch noch, als eine Horde von Touristen mit Kameras auf sie zustürmt, um sie abzulichten. „Wir Philippinos liefern Bilder“, sagt Marlyn, die 26-jährige Fremdenführerin, die in Deutschland aufgewachsen ist. „Wir lächeln auch über die Krisen hinweg.“ Auf unserer Reise durch die Philippinen begegnen wir diesem „philippinischen Krisenlächeln“ immer wieder. Eine Geschichte in drei Akten.

Erster Akt: Die Hauptstadt
Die Stadt ist ein Moloch, 626 Quadratkilometer groß, 17 Millionen
Einwohner, eine Wolkenkratzer-Skyline und der größte Slums der Welt.
Die drei Taifune dieses Herbstes haben Hunderte von Menschen in Manila
das Leben gekostet und Tausende obdachlos gemacht. Noch immer schlafen
sie auf der Straße. Wer Glück hat, findet des Nachts Zuflucht im
Rizal-Park, der an den philippinischen Nationalhelden Jose Rizal
erinnert. Die Hinrichtung des Arztes und Autors (1896), der als
Unabhängigkeitskämpfer in die Geschichte der Philippinen einging, wird
in einem monumentalen Relief dramatisch in Szene gesetzt. Das Standbild
Rizals wird rund um die Uhr von vier Soldaten bewacht. Sie drücken
beide Augen zu, wenn nach Einbruch der Dunkelheit die obdachlosen
Familien in den Park strömen. Ein Dach über dem Kopf finden sie hier
auch nicht.
Da sind diejenigen besser dran, die im chinesischen Friedhof ihr
Zuhause haben. Dort, wo die Toten in Marmormausoleen ruhen, oft
luxuriös mit Küche, Bad und Klimaanlage. „Den Toten geht es hier besser
als den meisten Lebenden“, sagt Gerardo de los Reyes bitter. Für den
Philippino mit dem schrägen Haarschnitt und der Designerbrille auf der
Nase ist es nur Recht und billig, dass arme Leute auf dem Friedhof
ihren Lebensunterhalt finden. Wie der junge Jerry, der mit seinem
Großvater Jeremias ganz hinten auf dem Friedhof haust, wo die
Totenhäuser kleiner sind und weniger luxuriös. In einem zerbeulten Topf
auf offenem Feuer köchelt Reis, das Mittagessen der beiden. Dafür, dass
sie hier wohnen dürfen, sorgen sie für Ordnung auf dem Friedhof. Ein
Stückchen weiter waschen zwei alte Frauen Wäsche und nicken freundlich
zum Gruß. In einem der großen Mausoleen poliert eine Großmutter mit
ihrer Enkelin den Grabstein. Sie lebt seit 35 Jahren auf dem Friedhof
und ist hier alt geworden. So wie ihre Mutter vor ihr und irgendwann
einmal wohl auch ihre Enkelin. Auch wenn die Arbeit mit gerade mal 300
Pesos kärglich entlohnt wird, wird sie von Generation zu Generation
weiter vererbt. Wo sonst kann man in Manila so angenehm wohnen?
Die Mieten sind horrend, vor allem Downtown. Oft teilen sich zwei bis
drei Familien eine 60-Quadratmeter-Wohnung. Denn bei einem
Durchschnittsverdienst von 380 bis 420 Pesos am Tag (zwischen 5,50 und
6 Euro) kann man keine großen Sprünge machen. Und trotzdem lächeln die
Menschen. Sie lächeln auf dem Markt, wo gegessen, gequatscht und
nebenbei auch verkauft wird. Auch der Mann, der uns mit einem Baby auf
dem Arm entgegen kommt, lächelt mit kaputten Zähnen. „You want to buy a
baby?“ fragt er – und uns vergeht das Lächeln. Die Philippinen galten
lange Zeit als Mekka für Kinderschänder. Nun hat Präsidentin Gloria
Macapagal-Arroyo
ein Gesetz gegen Kindsmissbrauch unterzeichnet. „Vom
Zufluchtsort für Pädophile“ will der Inselstaat „zum sicheren
Zufluchtsort für Kinder“ werden. Doch gerade in Manila leben
Hunderttausende von der Hand in den Mund, sie haben keine Arbeit, kein
Heim, keine Hoffnung, aber viele Kinder.
Zweiter Akt: Die grüne Insel
Bohol ist grün, grün wie die Hoffnung. Marlyn lebt gerne hier mit ihren
zwei Kindern. „Wir werden nicht reich“, sagt die kleine, rundliche
Philippina mit dem kecken Pferdeschwanz. „Aber wir haben alles, was wir
brauchen. Auf Bohol muss niemand verhungern.“ Am Straßenrand wechseln
teure Villen ab mit kleinen Katen, nicht größer als Garagen. Davor
rupfen Ziegen das sattgrüne Gras. Ein Mann führt seine Kuh spazieren –
eine Szene wie aus einem Märchen. Aber die Zeiten ändern sich auch
hier. Ein neuer Flughafen soll auf dem kleinen Panglao entstehen, die
Straßen werden schon gebaut. In Dauis ist die steinerne Kirche Mariä
Himmelfahrt Zentrum des Ortes. „Familie, Kirche, Hahnenkampf“, sagt
Marlyn, das sei der Sonntag auf Bohol. Und die Kirche ist wichtig: 82
Prozent der Philippinos sind Katholiken. Entsprechend rigide sind die
Gesetze. Es gibt keine Empfängnisverhütung und auch keine Scheidung.
Weil Marlyn sich von ihrem Mann und dem Vater ihrer Kinder getrennt
hat, darf sie nicht mehr im öffentlichen Dienst arbeiten. Ohne ihre
weitläufige Familie wäre sie arm dran. So kann sie beruhigt Touristen
über die Insel führen, weil sie ihre Kinder in guter Obhut weiß.
Die Menschen auf der Insel wollen keine Almosen. Um ihren
Lebensunterhalt zu verdienen, lassen sie sich aber einiges einfallen
und machen selbst Abfall zu Geld. Alte Gummireifen werden zu
Blumentöpfen, Zäunen und Gartenstühlen, Getriebestangen von Lastwagen
zu Messern. Frauen flechten Matten aus Palmblättern, spinnen
Ananasfasern zu Fäden und weben daraus Tischsets und Kissenbezüge oder
auch den traditionellen Barong Tagalog, das festliche Männerhemd. In
den Gärten gedeihen die süßesten Früchte, die Fische im Meer gehören
sowieso allen und die Touristen bringen gutes Geld. Wohl auch deshalb
stellen sich die fünf Jungs in ihren gelben Schuluniformen gleich
feixend in Fotopose, als die ersten mit Kameras behängten Ausländer aus
dem Bus klettern.
Auf Bohol gibt es viel zu fotografieren. Das beliebteste Motiv sind die
Chocolate Hills, 1776 grasbewachsene, rundkuppige Hügel. Weil das Gras
unter der Sonnenglut oft ausgedörrt ist, sind die Hügel außerhalb der
Regenzeit braun wie Schokoküsse. Daher auch der Name. Jetzt runden sie
sich grasgrün bis zum Horizont, so wie vielleicht die Hügel in Tolkiens
Auenland. Fehlen nur noch die Hobbits, um das Bild vollkommen zu
machen. Auf dem Aussichtspunkt lächeln Einheimische und Touristen um
die Wette – für die Fotografen, die diese märchenhafte Landschaft in
einen wahren Fotorausch versetzt.
Erinnern die Chocolate Hills an den Herrn der Ringe, kommt mir ein paar
Kilometer weiter Harry Potter in den Sinn. Wir sind zu Besuch im
Tarsier Sanctuary, einem Schutzgebiet für die kleinsten Affen der Welt,
die Koboldmakaken. Und die sehen mit ihren tennisballgroßen runden
Augen und den spitz zulaufenden Öhrchen aus wie Dobby, Harrys treuer
Freund aus der Schar der Hauselfen. Allerdings sind die scheuen
Tierchen gerade mal so groß wie eine Amsel – und im dichten grünen Laub
kaum zu sehen. Es sei denn, Carlito Pizarras führt die Besucher durch
sein Reich. Der 55-jährige Philippino mit dem lockigen graumelierten
Haar und dem gewinnenden Lächeln ist der Tarsier-Mann von Bohol. Er hat
das Schutzgebiet gegründet, um für die vom Aussterben bedrohten Äffchen
einen sicheren Zufluchtsort zu schaffen. 8,4 Hektar groß ist das ganze
Gelände, in dem 100 Tarsier leben. Nur ein Hektar ist für Besucher
offen. Die zehn Makaken, die hier leben, sind es gewohnt, dass Menschen
durchs Unterholz kriechen, um sie zu fotografieren. Wie braunrote
Pelzbällchen mit winzigen Händen hängen sie in den Zweigen und starren
scheinbar ungerührt auf die Neugierigen. In Wahrheit schlafen sie mit
offenen Augen. Tarsier sind nachtaktiv. Das weiß selbst Prinz Charles,
dem Carlito vor Jahren seinen „Ziehsohn“ vorgeführt hat. Weil das fünf
Tage alte Tarsierbaby von der Mutter verlassen wurde, hat er es
aufgezogen und wird von ihm bis heute als „Vater“ betrachtet. „Charlie“
ist mittlerweile zehn Jahre alt. Und nachts fällt er gerne mit seinen
Gefährten seinem MenschenvaterC in den Rücken.
Dritter Akt: Die Urlauber-Insel
„Alles was man machen will, kann man in Boracay tun“, sagt Marisette
(39), unsere mütterliche Reisebegleiterin, der selbst bei einem aufziehenden Taifun das Lächeln nicht vergeht. Sie hat Recht: Restaurant
reiht sich am berühmten White Beach an die Disco, Kneipen wechseln mit
Läden. Es gibt ein Hobbit House, wo Kleinwüchsige bedienen, einen
mongolischen Grill, Heidiland Deli und natürlich Starbucks und Mac
Donald. Es gibt Flipflops in allen Farben und Formen, es gibt
Geschnitztes und Gesticktes, Gewebtes und Geflochtenes, billige
T-Shirts, glitzernden Schmuck, Tattoos und Piercings, Massagehütten und
eine Dentalklinik. Überall dröhnt Musik. Man schlendert von einem Ort
zum anderen, trinkt da mal ein Bier und dort einen Cocktail. Oder man
liegt am weißen Sandstrand und schaut hinaus aufs smaragdfarbene Meer,
in dem fröhliche Kinder plantschen. Am Horizont stehen bunte Segel wie
große Vögel. Am Abend taucht die Sonne das Wasser in flüssiges Gold und
wenn die Dämmerung über Borocay fällt wie ein Theatervorhang, beginnt
das Nachtstück, in dem wie überall in Asien die leichten Mädchen ihren
Auftritt haben. Knapp gekleidet umgarnen sie die jungen und alten
Männer und lächeln auch dann noch, wenn sie wie Ungeziefer verscheucht
werden.
Auch Marlon lächelt. Der fesche Bootsmann mit dem dichten schwarzen
Mozartzopf, ist der Türöffner in eine andere Welt. Marlon kennt die
schönsten Tauch- und Schnorchelgründe von Boracay. Er ist nicht der
einzige. Wie große Krabben liegen die anderen Auslegerboote schon am
Ende von Crocodile Island, das im türkisgrünen Meer ruht wie ein
schlafendes Riesenkrokodil. Wir sind nicht die ersten, die eintauchen
in eine andere Welt und doch ist jeder für sich ein Entdecker. Das
Wasser ist so durchsichtig, dass man bis tief hinein sieht in die
Korallenwälder. Natürlich finden wir Nemo und viele andere Fischchen
mehr: neonbunte und sonnengelbe, himmelblaue und gestreifte, winzig
kleine und armlange. Dazu kornblumenblaue Seesterne, fliederfarbene
Anemonen und pastellfarbene Korallen. Alles zum Greifen nah, ein
Wunderland. Marlon lächelt befriedigt, als wir wieder an Bord gehen –
und wir, ein Häufchen tropfnasser, glücklicher Touristen, lächeln
zurück. 

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