Wen machen sportliche Großevents glücklich?

Im nächsten Jahr werden in Vancouver die olympischen Winterspiele stattfinden. Kritiker sehen die Stadt vor einem Debakel olympischen Ausmaßes. Zehntausende von Bäumen wurden gefällt, Berge gesprengt, um die Olympischen Anlagen zu errichten oder zu erreichen. Auch die Sicherheit geht ins Geld. Teile der First Nations, der kanadischen Indianer, sind fest entschlossen, die Spiele zu stören, weil sie ihrer Meinung nach auf „gestohlenem Land“ stattfinden. Über eine Milliarde beträgt das Budget des olympischen Komitees. Doch wem nützen solche sportlichen Großevents? In der touristischen Runde wurde das Thema kontrovers diskutiert.

Eher nüchtern beurteilt Jens Brösel, bei Dertour Bereichsleiter für
Städte- und Eventreisen, die Situation für den Veranstalter, der seit
Melbourne 1952 Partner des deutschen Olympischen Sportbundes ist: „Die
Sommerspiele machen uns viel Freude, die Winterspiele nicht ganz so
viel.“ Das liegt auch daran, dass bei den aktuellen Winterspielen
Städte die Nase vorn haben. Seit Lillehammer, so Brösel, habe es keine
„richtigen olympischen Winterspiele“ mehr gegeben. Und die Bewerbung
von München für 2018 passe in die Serie Salt Lake City, Turin,
Vancouver mit langen Wegen zu den Sportstätten. Auch die Anforderungen
und damit die Preise hätten sich gravierend geändert, gibt der
Touristiker zu bedenken. In Mexiko (Sommerspiele 1968) sei die Welt
noch in Ordnung gewesen. Heute müsse man Sorge haben, dass das
Sportliche vom Kommerz erdrückt werde und der echte Fan sich die
Anwesenheit bei solchen Großereignissen gar nicht mehr leisten könne.
Als Veranstalter könne man bei solchen Großevents viel Geld verdienen,
aber auch viel Geld verlieren, macht Brösel klar. Die Karten kosteten
nicht von ungefähr Millionensummen: „Die olympischen Ringe sind nicht
umsonst.“
St. Moritz greift zwar nicht nach den fünf Ringen, bewirbt sich aber
für die Ski WM 2015. Hugo Wetzel, Präsident der Tourismusorganisation
Engadin St. Moritz
, gibt sich deshalb optimistisch. 95 Prozent der für
die Ski-Weltmeisterschaften von 2003 erstellten Infrastruktur würden
für den Tourismus genützt, erklärt er. Und dass bei einer Investition
von 100 Millionen Schweizer Franken, wovon St. Moritz 20 Prozent
getragen habe, 90 Prozent der Anlagen für die neue WM
„wiederverwendbar“ seien. Neu geplant sei ein Kongresszentrum. Dafür
würden öffentliche Gelder erwartet zur Standortförderung. Schon wegen
solcher Fördergelder, die den Ort voranbrächten, machten sportliche
Großevents Sinn, meint Wetzel.
Ähnlich sieht das Stefan Huber, Geschäftsführer der Erdinger Arena, für
Oberstdorf, das sich für die Nordische Ski-WM 2015 bewirbt. Huber
betont Oberstdorfs lange Tradition als Sport-Destination und verweist
auf die fast 85 Jahre alte Schattenbergschanze. Die
Vierschanzen-Tournee zählte 2008 zu den Top 20 bei den
Sportübertragungen der öffentlich-rechtlichen Sender und trage den Ruf
Oberstdorfs als Sport-Destination in die Wohnzimmer. Für sportliche
Großanlässe würden bestehende Anlagen modernisiert und erweitert. Für
die Nordische Ski-WM habe man 23 Millionen Euro in die Infrastruktur
investiert. Die Kommune selbst beteiligte sich mit 1,75 Millionen Euro
– knapp 7,5 Prozent – an den Investitionen. Mit dem neuen
Langlaufstadium und der Skisprunganlage habe man sowohl beste
Voraussetzungen für die Wettkämpfe geschaffen, aber auch für die
spätere touristische Nutzung. Trotz dieser positiven Einschätzung räumt
Huber ein, dass eine Refinanzierung in kurzer Zeit nur schwer möglich
ist und die Investitionen langfristig gesehen werden müssten. Der
Allgäuer ist sich aber sicher: „Diese Sportveranstaltungen steigern die
Attraktivität der Destination, machen sie bekannt und dienen dem
Tourismus.“
Davon ist auch Peter Nagel überzeugt, Tourismusdirektor in
Garmisch-Partenkirchen, wo die Alpine Ski-Weltmeisterschaft 2011
stattfinden wird. Er sieht den Leistungssport als „Büchsenöffner“, der
(über Zuschüsse) Dinge ermöglicht, die sonst nicht finanzierbar wären.
Allerdings hat Garmisch-Partenkirchen große Probleme mit dem Anschluss an den
Schienen- und den Autoverkehr, die wohl nicht innerhalb von zwei Jahren
zu lösen sein werden. Zwei Straßentunnel (Wank- und Kramer-Tunnel) zur
Entzerrung sind zwar in Planung, aber: „Ich glaube erst dran, wenn der
erste Spatenstich getan ist“. Großveranstaltungen müssten
zwischenzeitlich über Shuttle-Systeme gelöst werden. Und was das Ziel
angeht, die erste CO²-neutrale Großveranstaltung über die Bühne zu
bringen, gäbe es noch einiges zu lernen. „Der Wille ist da“, versichert
Nagel. Man denke auch an eine klimaneutrale Urlaubspauschale wie sie etwa
Arosa anbiete.
Wasser in den Wein der Tourismus-´und Sport-Direktoren gießt Professor
Dr. Thomas Bausch
von der Fakultät für Tourismus an der Hochschule
München. Der Wirtschaftswissenschaftler hat den Nutzen sportlicher
Großinvestitionen für den lokalen Tourismus untersucht – mit wenig
erfreulichen Ergebnissen. „Es ist nicht so, dass sich nach der
Übertragung von Neujahrsspringen die Gästezahlen erhöht haben“, stellt
er klar. Schuld an der Stagnation trage  auch die Hotellerie in
Garmisch, die nicht dem erwarteten Standard entspreche. Außerdem
bemängelt Bausch das fehlende schlüssige Marketing –Konzept. Man
bewerbe den Markt der Lohas (Lifestyle of health and sustainability)
sowohl in Oberstdorf als auch in Garmisch-Partenkirchen, habe aber kein
Produkt für sie. „Lohas wollen nicht von der Schanze springen“,
formuliert der Wissenschaftler die Diskrepanz. Andere Orte wie etwa
Sölden seien da schlauer. Sie zeigten Ende Oktober mit dem ersten
Skirennen, dass man auf dem Gletscher schon Skifahren kann.
Ein Ski-Weltcup im Februar sei dagegen kontraproduktiv, ein bisschen
„wie Winterschlussverkauf“. Bei der Gelegenheit präsentiere man
„Menschen, die von Sonne und Wärme träumen, dass man bei uns in den
Bergen noch wunderbar frieren kann“. Kein Wunder, ätzt Bausch, dass die
Beliebtheit der Alpen in den letzten Jahren gesunken sei. Denn: „Wir
kommunizieren antizyklisch ein Produkt, das es gar nicht gibt.“ Einen
Rat hat er auch parat: Statt viel Geld in Großveranstaltungen zu
stecken und über Jahrzehnte die Schuldenlast abzutragen, sollte man
lieber sinnvoll in die Infrastruktur investieren. Um beispielsweise die
Ausgaben für die Ski-WM wieder hereinzubekommen müssten sich in
Garmisch die Übernachtungszahlen vervierfachen: „Da führt kein Weg
hin.“
Zu der Bewerbung von München für die Winterspiele 2018 will Bausch
keine Aussage treffen schon wegen „der nebulösen Vorstellung“ der
bayerischen Landeshauptstadt. Die Milliardenausgaben seien allerdings
noch das geringste Problem. „Die Frage ist doch, überlebt
Garmisch-Partenkirchen die olympischen Winterspiele?“ Darüber müssten
die Bürger diskutieren. Aber bisher laufe alles „eher merkwürdig“ mit
partieller Information und das sei einer Demokratie nicht würdig.
Für Professor Dr. Alfred Bauer vom Studiengang Tourismus der Hochschule Kempten
stellt sich grundsätzlich die Frage nach der Nachhaltigkeit von
Sportevents. Sicher sei der häufig von den Veranstaltern ins Feld
geführte Bekanntheitsgrad, den Sportevents schaffen, wichtig, „um
überhaupt im Kopf der Touristen anzukommen.“ Viel wichtiger ist jedoch
nach seiner Ansicht die transportierte Botschaft, die letztendlich zum
tatsächlichen Besuch einer Region führen soll. Im Vorgriff auf die
nordische Ski-WM habe es eine Umfrage gegeben, nach der immerhin 50
Prozent der Befragten Oberstdorf mit Sport assoziierten. Nach der WM
bejahten 45 Prozent die Frage, ob die Sportberichte über die WM ihr
Interesse an der Ferienregion Allgäu geweckt hätten. Die feste Absicht
ins Allgäu zu reisen äußerten drei Millionen Touristen. „Wo bleibet die
Gäscht?“ hätten Vermieter nach der Präsentation der Ergebnisse gefragt,
erzählt der Professor. Eine Antwort darauf versuche die Hochschule
Kempten
über eine Gästebefragung zu finden. Für drei Viertel der
befragten Gäste steigern die Bilder über die Sportveranstaltungen die
Attraktivität der Ferienregion, 16 Prozent der letztjährigen
Wintergäste gaben an, dass die Übertragungen im Fernsehen Einfluss auf
ihre Urlaubsentscheidung für Oberstdorf gehabt hätten. „Ein nicht
uninteressanter Wert“ wie Bauer findet.
„Großveranstaltungen müssen den Tourismus nicht voranbringen“, meint
dagegen Prof. Bausch. Als Skigebiet sei beispielsweise
Garmisch-Partenkirchen mit seinen 42 Pistenkilometern „niemals
wettbewerbsfähig“. „Man muss auch mal ehrlich zu sich sein“, fordert
er, „Wir werden nicht den sieben Tage Ski fahrenden Gast nach Garmisch
bringen. Der kennt am dritten Tag jedes Eichhörnchen auswendig.“ Bausch
hält es für weit besser, den Ort als Naherholungs-Skigebiet zu
vermarkten.
Für den Garmischer Tourismusdirektor ist das keine Alternative.
Immerhin habe Garmisch-Partenkirchen bis vor sechs Jahren von den
Olympischen Spielen 1936 gezehrt. Der Slogan „Der Olympiaort unter der
Zugspitze
“ sei Legende gewesen. 1978 habe man dann für die Alpinen
Skiweltmeisterschaften all das gebaut, „von dem wir heute noch leben.“
Damit habe sich Garmisch-Partenkirchen auch als Kongressstandort
etabliert und 1,3 Millionen Übernachtungen jährlich generiert. „Das ist
für mich nachhaltig.“
Eine Sportveranstaltung, meint Stefan Huber, helfe natürlich nicht
allein, 365 Tage im Jahr die Betten zu füllen. Aber sie ist eine
zusätzliche Marketing-Maßnahme für den Tourismus. Oberstdorf habe in
den letzten Jahrzehnten davon profitiert, dass man 1950 die
Entscheidung fürs Skispringen getroffen habe. 2,4 Millionen
Übernachtungen im Jahr seien nicht zu verachten. Und die 23 Millionen,
von denen die Gemeinde 1,75 Millionen getragen hat, wurden zum Großteil
dafür investiert, „Maßnahmen zu schultern, die ohnehin in den
Trainings- und Wettkampfzentren anstanden“. Das sei schon anders als in
Orten, in denen alles komplett neu gebaut werden müsse.
Ähnlich sieht es Hugo Wetzel von St. Moritz. Langfristig, gibt er zu
bedenken, profitierten die Orte auch von dem Wissen, das solche
Großevents vermittelten. St. Moritz jedenfalls habe am meisten in den
Jahren zwischen 1974 und 2003 gelitten, als nichts investiert wurde,
weil eben keine Großveranstaltungen stattfanden. „Es bleibt immer was
hängen von solchen Events“, räumt Touristikfachmann Jens Brösel ein.
Aber dazu müsse man vorher und hinterher etwas tun.
„Es geht auch ohne Großveranstaltungen“, widerspricht Professor Bausch
und nennt als Beispiel Oberstaufen, das sich konsequent als
Schrothkurort vermarktet. Das Gegenteil sieht er im thüringischen
Oberhof – „ein gruseliger Ort“. Die Loipen dort seien viel zu
anstrengend für den Normalverbraucher. Und die Loipen in Oberammergau,
die für die Olympischen Winterspiele 2018 in München geplant sind? Für
Bausch eine komplette Fehlinvestition. „Da wird kein Reiseveranstalter
nachfragen, weil kein Produkt da ist“. Die Mammutausgaben und die
Gigantomanie der Verbände sorgen dafür, dass Jens Brösel für die
olympische Zukunft eher schwarz sieht: „Es ist zu befürchten, dass
München am 6. Juli 2011 die Nase vorn hat, wenn entschieden wird, wer
2018 die Olympischen Winterspiele bekommt.“ Die Zeche zahlen werde auch
da wieder die Gemeinschaft, befürchtet Bausch.

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