Pu ist ein wenig runder und Christoph Robin ein wenig größer geworden. Aber sonst hat sich kaum etwas geändert im Hundertsechzig-Morgen-Wald, in dem „der beste Bär der Welt“ mit seinen tierischen Freunden vor über 80 Jahren die ersten Abenteuer erlebt hatte: I-Ah ist immer noch melancholisch, Ferkel ängstlich und Tieger ungestüm, Oile hält sich für weise, Kängu gängelt Klein-Ruh und Kaninchen hat einen Ordnungsfimmel.
Doch, etwas ist neu: Die exzentrische Otter-Dame Lotti gesellt sich zu
den Tieren und mischt die Idylle kräftig auf. Und: Ferkel wird
unfreiwillig zum Helden im Kampf gegen – nein nicht einen Heffalump –
gegen die Dürre, die dem Klimawandel geschuldet ist. Die neue Zeit
lässt grüßen in dieser stimmigen Fortsetzung der wunderbar absurden
Pu-Geschichten. Pu-Kenner David Benedictus hat sich, unterstützt von
Zeichner Mark Burgess, daran gemacht, Pu (im Stil seines Schöpfers A.
A. Milne)wieder zum Leben zu erwecken, indem er Christopher Robin
zurückkehren lässt. Es ist eine Rückkehr ohne Happy End. Denn auch diesmal verlässt Christopher Robin seine tierischen Freunde, um in die Schule zurück zu gehen. Allerdings haben sie inzwischen gelernt, auch ohne ihn auszukommen. Sie haben ja einander. Dass Harry Rowohlt, der 1996 die Gesamtübersetzung
der Original-Bücher verantwortete, auch diesmal den Text ins Deutsche
übertragen hat, ist ein Glücksfall. Denn der geniale Sprachartist mit dem Hang zum Schrägen hatte schon immer ein Herz für den Bären „mit wenig Verstand“.
Es war ein Teddybär, den Mrs. Daphne Milne und ihr Mann Alan Alexander
(A.A.) zum 1. Geburtstag ihres Sohnes Christopher Robin gekauft hatten,
der den damals schon erfolgreichen Bühnenautor zu den Pu-Büchern
inspirierte. „Der Bär nistete sich im Kinderzimmer ein und erwachte
nach und nach zum Leben“, schrieb der erwachsene Christopher Robin im
Rückblick. Dieses Leben hat Pu auch hat dem Zeichner E.H. Shephard zu
verdanken, der ihm seine unnachahmliche Form gab. Irgendwann verschwand
der Stoffbär zwar aus dem Leben von Christopher Robin – aber er hatte
seinen Platz in der Literatur. Weil A.A.Milne die Geschichten nicht mit
Blick auf Erfolg auf dem Literaturmarkt geschrieben hatte, sondern aus
seiner Kinderseele heraus und für Kinderherzen. Weil er den Stoff- und den anderen Tieren ein Eigenleben gönnte, eine ganz individuelle Art, wie sie auf die Dinge reagieren. Die Macken der anderen ist das größte Problem dieser tierischen Gemeinschaft. Da macht Lotti, der Neuzugang, keine Ausnahme. Und doch wissen alle, dass sie sich aufeinander verlassen können, wenn es nötig ist, weil sie Freunde sind. Und das ist etwas ganze Großes wie Pu-Kenner Benedictus weiß: "Eines Morgens, als Pu nicht viel machte, das aber ziemlich gut, dachte er, erkönnte seinen alten Freund Christopher Robin besuchen, um zu sehen, ob der irgendwas machte. Falls nicht, könnten sie gemeinsam nichts machen, weil es wenig gibt, was schöner ist, als mit einem Freund nichts zu machen."
Pu, der zum Leben erweckte Teddy-Bär, der "große Dinge über gar nichts denkt", hat viele Nachahmer gefunden. Aber nur Janosch, das ewige Kind mit dem anarchistischen Herzen, hat
mit dem kleinen Tiger und dem kleinen Bär noch ein Stück große Literatur für Kinder (und die Kinder in den Erwachsenen) geschaffen. Andere „Nachkommen“
wie „Felix“, „Paddington“ und wie sie alle heißen, wirken dagegen eher
blass und künstlich. Werbeträger für Merchandising Produkte halt, die
heute Kinderzimmer füllen. Auch um Pu hatte sich übrigens schon früh eine
Vermarktungs-Maschinerie entwickelt, für damalige Zeiten eine
Sensation. Selbst die Queen hatte als Kind ein Pu-Service. Natürlich sprand Disney auf den Erfolgs-Zug auf, Philosophen beschäftigten sich mit Pu, Esoteriker und Psychologen. Es gibt (den Disney) Pu aus Plüsch und auf T-Shirts, eine Pu-der-Bär-Straße (in Polen) und 2006
bekam der „Bär von wenig Verstand“ einen Stern auf dem Hollywood Walk
of Fame, das moderne Signum der „Unsterblichkeit“.
Jetzt also auch noch eine Fortsetzung nach mehr als 80 Jahren. Beim Klassiker "Vom Winde verweht" ist das Unterfangen gescheitert. Doch David Benedictus kennt seinen Pu und lässt ihm seine Eigenheiten wie auch den anderen Tieren. Dass im Hundertsechzig-Morgen-Wald die Zeit nicht ganz stehen geblieben ist, macht den Reiz dieser Wiederauferstehung aus. Und doch: So ein bisschen fehlt dem neuen Buch das ewig-kindliche Staunen, das die ursprünglichen Bücher so reizvoll machte – und so zeitlos. "An jenem verzauberten Ort", heißt es am Schluss von "Pu baut ein Haus", "ganz oben in der Mitte des Waldes wird ein kleiner Junge sein und sein Bär wird bei ihm sein, und die beiden werden spielen"." Mit der Fortsetzung haben die beiden wohl ausgespielt – und das ist schade.
Info: David Benedictus, Rückkehr in den Hundertsechzig-Morgen-Wald,
illustriert von Mark Burgess und übersetzt von Harry Rowohlt, Dressler,
207 S., 14,90 Euro