Messerscharf: Anthony Mc Gowans „Der Tag an dem ich starb“

 Ein Buch wie kochender Stahl, versengend, aufwühlend, brutal. Auch, weil Anthony Mc Gowan in dem Jugendroman „Der Tag an dem ich starb“ so gar nicht die Gegensätze von Gut und Böse bedient und dieser Täter in Wirklichkeit ein Opfer ist. Auch weil viele eigentlich alles richtig gemacht haben: Der Lehrer, die Freunde. Und doch ist die Situation am Ende hoffnungslos.

Pauls Schule wirkt wie der Vorhof zur Hölle. Prügeleien sind an der
Tagesordnung, Mobbing eine Art Disziplinierungsmaßnahme. Paul ist hier
ein Außenseiter, einer, der nirgends dazu gehört – nicht zu den
brutalen Schlägern rund um den Leithammel Roth, nicht zu den Lämmern,
die sich gemeinsam stark fühlen und nicht zu den Freaks, die zu allen
Abstand halten. Paul versucht sich durchzulavieren. Doch dann tappt er
in eine von Roths bösen Fallen und findet sich plötzlich in dessen
Gang. Zwangsweise, denn der Oberschläger versteht sich als „Gott“ und
agiert nach dem Motto „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich“.
Dass er gleichzeitig den Charme der „Freak-Gruppe“ schätzen lernt und
deren charismatischen Kopf, Shane, eine Art Lichtgestalt, macht die
Sache für Paul nicht einfacher. Plötzlich trägt er einen Riesensack
voller Probleme mit sich herum. Aber er weigert sich standhaft, sich
dem Lehrer, der Schlimmes ahnt, anzuvertrauen. Ein unausgesprochener
Ehrenkodex (gepetzt wird nicht) hindert ihn daran. Auch ein nicht ganz
so ernst gemeintes Angebot seines Vaters schlägt er in den Wind. Längst
hat der Vater für ihn seine Vorbild-Funktion verspielt. Auch wegen
Shane und dessen Eltern, die unbewusst Paul mit ihrer großbürgerlichen
Lebensart die eigene Unterlegenheit vor Augen führen. Schon deshalb
will er sich Shane und seinen Freunden erst recht nicht offenbaren.
Es gibt noch ein kurzes Aufatmen, eine kleine harmlose
Liebesgeschichte. Fast scheint es, als wäre alles andere ein böser
Traum, als könnte Paul wieder zurück finden in eine zumindest teilweise
heile Welt. Doch die Hoffnung erweist sich als Sackgasse, Pauls
Euphorie erstickt in einer tiefen Depression.
So kommt alles, wie es kommen musste, zwangsläufig und für die Leser
nur schwer erträglich. Sie werden tief in Pauls Psyche hineingezogen.
Kalt wie Messerstahl dringt die Erkenntnis ins Herz: Paul ist verloren,
obwohl er doch alles getan hat, sich rauszuhalten. Vielleicht genügt
das ja auch nicht. Vielleicht muss man eine Entscheidung treffen, auch
gegen die Angst.
„Der Tag an dem ich starb“ passt in diese Zeit, in der gewalttätige
Jugendliche fast täglich Schlagzeilen machen und Amokläufe an Schulen
die Menschen aus ihrer Selbstgewissheit reißen. Dieser Paul ist ganz
anders als man sich einen Schläger vorstellen würde. Er will niemandem
Böses und wird doch zum Täter, weil die Schule das möglich macht.
Mc Gowan nennt die Dinge beim Namen, weicht nicht aus. Weil er aus der
Sicht Pauls schreibt, in einer Art Zeitlupe, gibt es keine rettende
Distanz. Wer sich auf die Lektüre einlässt, sollte deshalb Lese- und
Lebenserfahrung mitbringen. Am besten wäre der Roman wohl als
Schullektüre geeignet, weil er reichlich Diskussionsstoff liefert und
weil es wichtig ist, über die eigenen Eindrücke zu reden – auch mit
einem Lehrer und ganz ohne petzen.

Info: Anthony Mc Gowan, Der Tag an dem ich starb, Ravensburger Buchverlag, 250 S. , 16,95 Euro  

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