Niedergang einer Bürger-Familie: Peter Hennings „Die Ängstlichen“

Peter Henning, 1959 in Hanau geboren, hat vier Jahre an diesem Familienroman gearbeitet, mit dem er auch seiner Heimatstadt ein – nicht gerade schmeichelhaftes – Denkmal setzt. „Die Brüder-Grimm-Stadt drohte vielmehr an ihrer selbstgemachten Spießbürgerlichkeit langsam und qualvoll zu ersticken“, heißt es etwa im Kapitel „Spannungsgefälle“. Auch der Familie Jansen droht ein ähnliches Schicksal. „Die Ängstlichen“ scheinen dem Zerfall wehrlos ausgeliefert.

Nur Mutter Johanna wähnt sich an der Schwelle zu einem neuen
Lebensabschnitt: Nachdem ihr polnischer Lebensgefährte Janek spurlos
verschwunden ist, hat sie sich in einem Seniorenheim angemeldet. Bei
einem Familienessen will sie ihren Kindern und dem Enkel ihre
Entscheidung mitteilen. Die aber haben genug mit sich selber zu tun:
Tochter Ulrike versucht vergeblich ihre Ehe zu kitten, während ihr Mann
Rainer immer mehr aus dem Ruder läuft. Sohn Helmut, dem Tod grade noch
einmal von der Schippe gesprungen, weiß nichts mit seinem geschenkten
Leben anzufangen und der schizophrene Sohn Konrad hat sich auf den Weg
nach Hause gemacht. Bleibt Enkel Ben, der Teilzeit-Journalist, der
zielstrebig an der Zerstörung seiner Existenz arbeitet. Alle sind sie
an einem Punkt angelangt, der eine Entscheidung fordert, ein Umdenken
vielleicht. Und alle – bis auf Johanna, die Patriarchin – drücken sich
davor und ducken sich lieber in den Schutz der Gewohnheit.
Hennings Familiensaga kennt keinen Gewinner, nur Versager – bis auf das
Schlitzohr Janek vielleicht. Wie die Stadt mit ihrer Ansammlung
architektonischer Scheußlichkeiten so ihre Bürger, kleinkariert,
scheinheilig und lebensuntüchtig. Ein böses Buch.
Schade nur, dass Henning seinen lang erwarteten großen Roman mit einer
Vielzahl von Metaphern beschwert. Da dringen Viren schneller in die
Köpfe ein als Karies in schlecht geputzt Kinderzähne. Da umschließt die
Bettdecke Johannas Körper wie eine luftdichte um sie gebreitete
Fangomasse. Da steigen Groll und Hass in Ulrike auf wie Untote aus
offenen Gräbern in diesen blödsinnigen Horrorfilmen. Alles durchaus
passende Bilder aber in der Häufung doch ermüdend. Da hat der Autor
seine stilistischen Seiltänze etwas übertrieben.
Peter Henning, Die Ängstlichen, Aufbau, 496 S., 22.95 Euro

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