Die Einsicht tut weh: Wir Deutschen sind nicht mehr die großen Eroberer auf der touristischen Landkarte. Andere sind dabei, uns zu überholen. Hurra, die Russen kommen, rufen Touristiker in der Türkei, aber auch bei uns. Andere sehen mit Misstrauen, wie reiche Russen mit dicken Brieftaschen sich im Markt breit machen und die Preise verderben.
„Die Russen kommen“ war auch das Thema der diesjährigen Ammerländer Gespräche. Den Zusatz „… und andere auch“ konnte man bei den lebhaften Diskussionen um die Rolle der russischen Oligarchen in der Reise-Industrie und des russischen Mittelstands im Tourismus fast schon vergessen.
Russlands Milliardäre kaufen sich bei deutschen Touristik-Konzernen ein, sind Miteigentümer bei Fluggesellschaften und bei Werften. Alexej Mordaschow will die Zukunft der TUI mitgestalten, Alexander Lebedew Öger Tours übernehmen. „Wir kommen nicht mit Kalaschnikows, sondern mit Geld“, versuchte Präsident Wladimir Putin besorgte Deutsche zu beruhigen, die der russischen Geldinvasion mit historisch bedingter Ablehnung begegnen. Putins Amtsnachfolger Dmitri Medwedjew verspricht den milliardenschweren Unternehmern laut der Welt dagegen „aktive, aggressive Unterstützung“ bei ihrem Expansionskurs. Das schürt neue Ängste. Die Russen, so der Tenor bei den Gesprächsteilnehmern auf dem Reutberg, waren schon immer gute Schachspieler – und die Deutschen tun sich schwer, sich in ihre Rolle als Mitspieler zu finden.
Immerhin herrschte Einigkeit, dass „die Russen“ nur die Vorhut einer drohenden Umwälzung sind. Schon stehen mit Chinesen und Indern Milliardenvölker in den Startlöchern. Die neuen Touristen werden die touristische Landkarte verändern, sie werden auch im touristischen Angebot ihre Spuren hinterlassen und schon heute müssen deutsche Touristen lernen, dass sie nicht mehr diejenigen sind, die bestimmen, wie eine Destination auszusehen hat. Die deutschen Tourismuskonzerne verlieren ihre Gestaltungshoheit.
Die Angebotsstrukturen, so ein Veranstalter, werden sich nachhaltig verändern. Ebenso die Saisonalität. Wenn aber die Nebensaison wegfalle, würden die Preise langfristig steigen. Auch die Preisverhandlungen mit Hotels, die nicht mehr auf deutsche Urlauber angewiesen sind, um ihre Betten zu füllen, würden schwieriger. Nicht nur das: Wegen Überfüllung geschlossen, werde es künftig immer öfter in den Museen heißen. Individualtouristen hätten dann kaum mehr Chancen, begehrte Ausstellungen zu sehen. Auch die Art der Unterhaltung ändere sich mit den Gästen. Russen etwa lieben es laut und fröhlich. Sie haben Freude am Leben – und zeigen es auch. Und, ganz wichtig für Hoteliers: sie sind gute Kunden, großzügig, terrorresistent und krisenfest. Kein Wunder also, dass die russischen Urlauber gerade dabei sind, in der Türkei die Deutschen von der Spitze zu verdrängen.
Vor 15 Jahren, erinnert sich ein türkischer Hotelier, landeten die ersten Russen-Charter in Antalya – eine Sensation. Heute landen einige 100 Flüge pro Woche aus Russland in der Türkei. Sie bringen über zwei Millionen russische Touristen ins Land. Und anders als vor 15 Jahren, als die Gäste „im Abendkleid und mit großem Make-up zum Frühstück kamen und ihre erste Frage dem Safe galt, in dem sie Taschen voller Bargeld deponierten“, treten die Russen heute Welt erfahrener auf und zahlen immer öfter auch mit Kreditkarte. „Sie frühstücken auch nicht mehr im Abendkleid, sondern haben gelernt, wie man richtig in Urlaub fährt und sich am Zielort verhält“, sagt der Hotelier. Nur: Bei den Deutschen ist diese Veränderung nicht angekommen. Sie fürchten um ihren Status als Stammgäste, haben Sorge, ihre Urlaubsträume mit anderen teilen zu müssen, in den „schönsten Wochen des Jahres“ aus der ersten Reihe verdrängt zu werden. Noch dazu von Menschen, deren Art, Urlaub zu machen, den meisten Deutschen fremd ist.
Die Russen, so versucht ein Kenner von Land und Leuten eine Erklärung, kämen aus einem Land, in dem Urlaub lange Zeit reglementiert war. In den staatlichen Erholungsheimen, tourbasas, war alles inklusive – so wie heute in vielen Pauschal-Urlaubspaketen. Während die Deutschen über Individualreisen in den Urlaub gestartet sind, seien die Russen gleich „in die Arme des Pauschalurlaubs gesprungen“ und hätten dabei die Phase des individuellen Urlaubs mit dem Erkunden von Kultur, Land und Leuten übersprungen. Die meisten hätten noch kaum Auslandserfahrung und die Unsicherheit führe zu einer Art Getto-Verhalten. All das könne sich jedoch ändern, wenn die Entwicklung friedlich bleibt und der russische Mittelstand weiter wächst. Derzeit verfügen rund zwölf Prozent der russischen Bevölkerung über ein Jahreseinkommen von 14 000 Dollar und zählen damit zum Mittelstand. Mit der Wirtschaft (sechs bis sieben Prozent Zuwachsraten jährlich) wächst auch dieser Mittelstand kontinuierlich – und damit die Zahl der Urlauber aus Russland.
Das könnte für das Urlaubsland Deutschland positive Auswirkungen haben. Für Orte wie Baden Baden, Bad Ems oder Bad Kissingen mit einer langen Tradition russischer Gäste, so ein Gesprächsteilnehmer, sei die von vielen Deutschen gefürchtete neue Russen-Invasion Grund zum Jubeln „Hurra, die Russen kommen!“
Ähnlich denkt man derzeit wohl auch in Island, wo ein russischer Großkredit das ganze Land vor dem Ruin retten soll…