Buchmesse Frankfurt: Gastland Türkei

Die Türkei ist Gastland der diesjährigen Buchmesse. Grund genug, sich mit dem Land zu befassen, das uns einerseits durch die türkischen Mitbürger und durch die Türkei-Touristen nahe ist, andererseits immer noch befremdlich exotisch erscheint. Drei unterschiedliche Formen der Annäherung bieten die Türkischen Volksmärchen, die CD Türkei hören und Cem Özdemirs Buch über sein Heimatland. 

Märchenhafte Annäherung
„Es war einmal, und doch war es keinmal. In uralter Zeit, da lag das Sieb im Stroh, da war alles Lüge, was wahr war und wahr, was Lüge war.“ So beginnt das Märchen „Die drei Orangen-Peris“ in dem dtv-Bänchen Türkische Volksmärchen, der rechtzeitig zur Buchmesse herauskam. Ist doch die Türkei dieses Jahr Gastland in Frankfurt. Und wie kann man sich einem Land und seinen Menschen besser nähern als über die Volksmärchen? Diesen Zauber-Geschichten, die aus dem Volk kamen und fürs Volk erzählt wurden.
Die meisten dieser Märchen, die im Kern und in vielen Motiven auch an die Grimmschen Hausmärchen erinnern, stammen aus Anatolien, aus der Ecke, in der vor Jahrhunderten Völkerschaften, Religionen, Sprachen und Kulturen aufeinander prallten und sich vermischten. Diese kulturelle Vielfalt spiegelt sich in den – mündlich überlieferten – Volksmärchen, die von der arabischen, der persischen und auch der indischen Tradition ebenso inspiriert sind wie von der klassischen Antike.
Wie in einem Schüttelbecher werden Motive, Charaktere und Stoffe immer wieder neu gemischt. So entsteht eine Vielzahl ähnlicher Geschichten, die sich um den reichen Padischah ebenso ranken wie um arme Holzfäller oder Bauern, um tapfere Prinzen und schöne Prinzessinnen ebenso wie um kluge Frauen und törichte Männer, um Zauberwesen, Drachen und Menschen fressende Riesen, um Derwische, fliegende Teppiche und magische Zahlen. Typisch für den Verlauf sind die letzten Sätze der „Geschichte vom Smaragdphönix“: „So fand ein glückliches Ende, was mit Schrecken begann und über leidvolle und verworrene Wege führte.“
Verworren sind die Wege der Märchenhelden meistens, aber das happy end  für die Guten ist ebenso sicher wie die Strafe für die Bösewichte. Und weil es Volksmärchen sind, kann auch eine arme Maid Sultanin werden – wenn sie es denn klug anstellt.       
Info: Türkische Volksmärchen, dtv, 286 S., 9,90 Euro, ISBN 978-3-423-13699-0

Türkische Geschichte fürs Ohr
Die Türkei  ist für viele noch schwer zugänglich, ein Kosmos für sich, halb europäisch, halb asiatisch. Da ändern auch die Reisen nach Antalya oder Marmaris nichts ebenso wenig wie die vielen „Gastarbeiter“, die inzwischen in Deutschland sesshaft geworden sind. Dass die Türkei Mitglied der Europäischen Union werden will, stößt nicht nur bei denen auf Widerstand, die das Land unter Führung des eher fundamentalistisch orientierten AKP-Politikers Erdogan als Bollwerk des Islam betrachten.
Doch was ist die Türkei wirklich? Ist sie ein moderner europäischer Staat, der seinen Bürgern alle demokratischen Freiheitsrechte einräumt? Oder ist sie auf dem Weg in eine islamische Republik? Die CD „Türkei hören“ aus dem kleinen, viel gelobten Silberfuchs Verlag gibt keine Antwort auf diese Fragen, aber sie führt die Hörer tief in die Geschichte des Landes, das erst unter den Seldschuken eine eigene staatliche Identität erwarb, die unter den eher liberal gesinnten Osmanen eine Blütezeit erlebte. Die türkische Republik unter Kemal Atatürk schließlich hat bis heute Spuren hinterlassen. Atatürk öffnete sein Land westlichen Einflüssen, schnitt aber auch mit der Einführung der lateinischen Schrift die türkische Kultur von ihren arabischen Wurzeln ab und ging hart gegen alle Gegner vor. Auch der Nationaldichter Nazim Hikmet musste das Land verlassen.
Heute noch ist die Meinungsfreiheit in der Türkei eine Frage der Definition. Selbst Orhan Pamuk, Literatur-Nobelpreisträger 2006, musste sich einer Anklage wegen „Beleidigung des Türkentums“ stellen. Das Hörbuch zeigt Widersprüche auf, es lädt aber auch dazu ein, unvoreingenommen Musik und Literatur der Türkei kennen zu lernen. Autor und Türkei-Kenner Martin Greve und Schauspieler Ercan Durmaz nehmen bei dieser spannend inszenierten Zeitreise die Hörer an der Hand. Die CD bietet 80 Minuten geballte Information, musikalisch untermalt und mit vielen Zwischentönen. Das aufwändig gestaltete Booklet liefert die Jahreszahlen und Bilder dazu. Schade nur, dass bei der Fülle der geschichtlichen Fakten die Gegenwart ziemlich kurz kommt.    
Info: Türkei hören, Silberfuchs Verlag, 1 CD plus Booklet, 24 Euro, ISBN 978-3-940665-01-0

Cem Özdemir als Türöffner für sein Heimatland
Keine fertigen Antworten will der türkisch stämmige Grünen-Politiker Cem Özdemir in dem Buch „Die Türkei: Politik, Religion, Kultur“ geben, aber sensible Themen ansprechen, informieren. Ein Türöffner soll das Buch sein für ein Land, das selbst den vielen deutschen Touristen, die alljährlich in der Türkei Urlaub machen kaum vertraut ist.
Özdemir will vertraut machen mit der anderen Kultur.
Dazu gehören auch ein Abriss zur Situation der türkischen Migranten in Deutschland und ein kurzer Blick in die Geschichte des Landes samt den Widersprüchen zwischen „offizieller und die tatsächlicher“. Denn ohne sie ist nicht verständlich, wie die Türkei sich heute definiert: über das Türkentum und den sunnitischen Islam. Patriarchale Strukturen und der abstruse Ehrenkodex gehören nicht dazu.
Warum es trotz den Demokratisierungsbestrebungen immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen kommt, zur Diskriminierung von Minderheiten, erklärt Özdemir auch mit der Einschränkung der Meinungsfreiheit in der Türkei und dem immer noch mangelhaften Bildungssystem.
Fast am Ende geht der Grünen-Politiker dann auch noch mit dem Massentourismus in der Türkei ins Gericht, dank dessen die Strände mit Bettenburgen zugestellt sind. Natürlich fordert auch Özdemir eine Umkehr zu einem umweltfreundlichen Tourismus, von dem auch Kleinbetriebe profitieren könnten. Ganz zum Schluss gibt es noch ein paar Geschichten zum Schmunzeln, Geschichten über Missverständnisse zwischen den Kulturen und die Fallstricke der türkischen Sprache. 254 Seiten intensiver Begegnung sollten manches schiefe Bild über die Türkei, das sich bei uns festgesetzt hat, zurecht rücken. 
Cem Özdemir, Die Türkei. Politik, Religion, Kultur. Beltz & Gelberg, 256 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-407-75343-4         

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