Thomas Michor, Geschäftsführer der örtlichen Tourismus GmbH weiß noch, wie es früher war. Damals, als der Schlagbaum der italienischen Grenze rund 20 Kilometer vor Villach fiel. „Wenn ich meine Freundin nach Tarvisio zum Eisessen ausgeführt habe, war die Grenze immer ein Abenteuer für uns“, erinnert er sich. Heute, im Zeichen des Euro, verlaufen die Besucherströme eher umgekehrt: Die Italiener kommen, um in Villach – mit 58 000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Kärntens – einzukaufen. Und mit dem Beitritt Sloweniens zur EU ist die Region von der Peripherie vollends ins Zentrum des Tourismus gerückt.
Hier im Dreiländereck stoßen nicht nur die drei Länder Österreich, Slowenien und Italien aufeinander, sondern auch drei Kulturkreise, die der Romanen, der Slawen und der Germanen. Auf dem 1516 Meter hohen gleichnamigen Berg kann man locker mit einem Fuß in Österreich und dem anderen in Italien oder Slowenien stehen. Da bietet sich eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit geradezu an. Michor nennt Golf- und Gesundheitstourismus, aber auch Gourmetreisen. Vor allem bei den Spezialitäten, die auf den Tisch der Gaststätten und Restaurants kommen, macht sich das Völkergemisch bemerkbar. Reindling heißt der traditionelle Napfkuchen aus Hefeteig in Kärnten, Pogača nennen ihn die Slowenen. Polenta mögen Italiener wie Slowenen und an Kräutern wird nirgendwo gespart.
Thomas Guggenberger, Küchenchef im Karnerhof und mit zwei Hauben einer der besten Köche der Region, lässt sich bei seinen Kreationen am liebsten von der Natur inspirieren: Bei Kalbsbeuscherl mit Kerbelknöderl oder Bärlauchsuppe mit Tafelspitztascherl kann man sich die Region auf der Zunge zergehen lassen. Der 38-jährige Meisterkoch hält nichts von raffinierten Verfremdungen. „Wir kochen, was das Produkt hergibt“, gibt er die Richtung vor. „Ein bisschen rustikal, ein bisschen regional, ein bisschen fein.“ Seine Küche soll zu einem kulinarischen Spaziergang durch die Landschaft einladen. Dazu nutzt er gerne die Kräuter, die im eigenen Kräutergarten wachsen: Estragon, Basilikum, Minze, Petersilie, Salbei, Rosmarin… Guggenberger pflückt ein Blättchen Liebstöckel und schnuppert daran. „Wunderbar zu Kartoffelsalat“, murmelt er und Hotelier Johann Melcher nickt dazu. Der Patron weiß, welches Kraut für welches Gericht gewachsen ist. Im Karnerhof macht der Chef den Gästen den Salat an – am liebsten mit dem hauseigenen Balsamico-Cuvee, das er höchstpersönlich aus verschiedenen Jahrgängen des Balsamico tradizionale aus Modena mischt. Warum er sich jeden Abend hinstellt und für die Gäste kocht? „Purer Geiz“, sagt der 66-Jährige und lacht. „Wir verwenden so edle Produkte, dass kein Tropfen davon verloren gehen soll.“
Am schönsten lässt sich die kulinarische Dreiländer-Mischung auf der Terrasse über dem Faaker See genießen. Mit Blick auf die Fels-Pyramide des Mittagskogel. Wie der See ist auch der Berg Privateigentum. Multi-Hotelunternehmer und Baulöwe Robert Rogner (Rognerbad Blumau) hat den „wunderschönen erotischen Berg“ (Rogner) vor 25 Jahren vom Prinz zu Liechtenstein erworben und marschiert seither (fast) jeden Sonntag auf den Gipfel, während Gattin Melissa, eine passionierte Jägerin, die Gämsen zählt. Die Liechtensteins waren auch lange Zeit Besitzer des Sees, den sie 1918 an Ludwig Wittgenstein, einen Onkel des berühmten Philosophen verkauften. Inzwischen gehört der See samt der idyllischen Insel und dem nostalgischen Inselhotel darauf einem Wiener Steuerberater. Solche Geschichten gibt es viele rund um den Faaker See.
Wer mit Elke von der „Freizeitfamilie“ einen Ausflug in die Umgebung macht, kann viel dazulernen. Über den Dobratsch etwa, den guten Berg, der im 14. Jahrhundert gar nicht so gut war. Damals begrub ein Erdrutsch 13 Dörfer unter sich. Heute wachsen in der „Schütt“ seltene Pflanzen wie die illyrische Gladiole, Smaragdeidechsen huschen über die sonnenbeschienenen Weg, Hornvipern und Kreuzottern schlängeln sich durchs Gras. Für die Braunbären, die gerne über die Autobahn wechseln, hat man eine eigene Bärenbrücke gebaut. „Zu sehen kriegt man die scheuen Tiere aber kaum“, klärt Elke auf.
Droben auf dem Gipfel des Berges stehen gleich zwei Kapellen. In Maria am Stein, auch deutsche Kapelle genannt und auf 2150 Metern Höhe die höchst gelegene Kirche Europas, findet alljährlich am 15. August ein Gipfelgottesdienst zu Ehren der Muttergottes statt. Der Legende nach ist Maria hier auf einem Stein sitzend einem armen Hirten erschienen und deshalb wurde die Kirche über dem Stein erstellt. Den heiligen Stein freilich sollen die windischen, also slawischen, Besitzer der ersten Kapelle schon Jahre zuvor in die Tiefe gestürzt haben. Jahrzehnte später wurde er angeblich geborgen und zurück in die Kirche gebracht. Ein „Stein des Anstoßes“ für das Zusammenleben zwischen Kärntnern und Slowenen.
Vergessen, vorbei. Heute kommen die Slowenen an den Faaker See und die Kärntner fahren gern über die Grenze zum bilderbuchschönen See von Bled, wo Jugoslawiens Marschall Tito lange Zeit Hof gehalten hat. Die monumentale Villa Bled, in den vierziger Jahren von dem Diktator als „Wochenendhäuschen“ erbaut, beherbergte so illustre Gäste wie den zentralafrikanischen Tyrannen Bokassa und Ceylons Regierungschefin Bandaraneike, den äthiopischen Kaiser Heile Selassie und Indiens Indira Gandhi. Aber auch Willy Brandt schmauchte zwischen den Marmorwänden gerne eine Zigarre. Im Kino, das ein Kirchenmaler mit sozialistischen Helden-Fresken ausmalte, schaute der Hausbesitzer am liebsten John-Wayne-Filme. Janez Fajfar weiß das alles. Nach der Ära Tito war der Geografie-Professor 22 Jahre lang Hoteldirektor in der Vila Bled. „Am Anfang habe ich mich gefühlt wie in einer Gruft“, erinnert sich der 53-Jährige. Doch schon bald war das Hotel mit dem sozialistischen Charme der 50er Jahre Treffpunkt der Prominenz. Prinz Charles war da und Prinz Albert von Monaco, Paul McCartney mit Heather Mills („Sie ist nicht sehr nett und außerdem Veggie“, sagt Fajfar), Jeff Bridges, Paloma Picasso und Monica Lewinsky („Noch vor der Sache mit Clinton“). Vom Cafe im weitläufigen Park haben die Hotelgäste den schönsten Blick auf die Insel im türkisblauen See mit der Marienkirche. Der Ausblick hat seinen Preis. Ein Espresso kostet satte sechs Euro.
Fajfar schaut mit Wohlgefallen auf das Inselchen, das Örtchen Bled, die Burg hoch droben über dem See und vor allem auf die vielen Touristen. Seit eineinhalb Jahren ist der ehemalige Hoteldirektor Bürgermeister von Bled. 5000 Einwohner und 2200 Touristenbetten hat der Ort. Fremdenverkehr ist seit 150 Jahren die wichtigste Einkommensquelle. Damals ließ der Schweizer Naturheilkundler Arnold Rikli 20 Hütten für zivilisationsgeschädigte Gäste bauen. Nackt wie Gott sie schuf, wanderten sie über die Berge, um die von Rikli propagierten Heilkräfte von Sonne, Wasser und Luft zu nutzen. Dass sie auch kein Fleisch essen und keinen Alkohol trinken sollten, gefiel einigen Naturaposteln allerdings weniger und statt in Riklis Badehäusern bezogen sie Quartier bei Bleder Bauern und Bürgern. So wurde Bled berühmt. Die Wiener kamen und die Laibacher (Ljubljana) und bauten sich Villen am See.
Heute ist Bled wieder ein beliebter Touristenort mit „bunter Gästestruktur“ (Fajfar) und Hotels für jeden Geschmack. Fast ebenso berühmt wie die Vila Bled sind die Cremeschnitten, die Istvan Lukaševič 1953 erfunden hat, eine würfelförmige Kalorienbombe aus Blätterteig, Eiercreme und Schlagsahne, die im Hotel Parc stilgerecht serviert wird. Bis zu 2000 dieser Schnitten pro Tag werden hier am Wochenende verputzt. Was hätte wohl der gestrenge Rikli dazu gesagt? Egal, auch der Bürgermeister gibt sich mit Genuss der süßen Verführung hin. Vielleicht wird sie ja auch dem amerikanischen Präsidenten serviert, wenn George Bush auf seiner Abschiedstournee durch Europa am 10. Juli in Bled Station macht.