Nein, ein Fisch möchte ich nicht sein in Phan Thiet. Da können die glasklaren Wellen noch so lockend über den goldenen Sand tänzeln. Die Überlebenschance ist einfach zu gering. Noch geringer als die eines Hundes in Hanoi. Und der ist schon ein armes Schwein, weil sein Fleisch vor allem in der Weihnachtszeit als Delikatesse gilt. Doch den Fischen von Phan Thiet geht’s tagtäglich an den Kragen. Unermüdlich fahren die Fischer in der mondsichelförmigen Bucht hinaus, um das Meer abzufischen. Selbst die kleinsten Fischlein werden in den langen Netzen eingeholt.
Und am frühen Morgen versammeln sich dann Männer und Frauen am Strand und die Netze an Land zu ziehen. So mancher Tourist mischt sich darunter. Für ein Erinnerungsfoto oder weil er das Ganze mit Tauziehen verwechselt. Doch es ist harte Arbeit. An Land wird die lebendige Ausbeute in Körbe und Plastiktüten verteilt. Die silbernen Fischleiber zappeln noch. Abends finden sie sich dann auf der Speisekarte in einem der vielen Restaurants an der Nguyen Dinh Chieu oder in einem der Resorts, die am Strand mit einer Geschwindigkeit emporwachsen wie Pilze aus dem feuchten Waldboden.
Phan Thiet putzt sich als Touristendestination heraus, will es aufnehmen mit dem schon arrivierten Na Thrang. In den letzten 13 Jahren hat sich hier viel getan, weiß Jutta Arnaud. Die gebürtige Augsburgerin hatte mit dem Coco Beach Resort das erste Hotel in der Gegend eröffnet. „Da war noch gar nichts“, erinnert sich die blonde Frau. Seit fünf Jahren allerdings werde überall gebaut und „das ist erst der Anfang“. Als Jutta mit ihrem französischen Mann Daniel nach Phan Thiet kam, war die Straße „grade mal halb so breit, eine Sandpiste voller Schlaglöcher“. Erst seit drei Jahren gibt es keine Stolperstellen mehr auf der Straße über die Halbinsel, die lange im Dornröschenschlaf lag. Seit einem Jahr hält auch der Five Star Express in Phan Thiet.
Jutta Arnaud, mittlerweile Mutter von zwei Kindern, hat das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben. Sie findet es „toll, in einem Land zu sein, das vorwärts drängt statt rückwärts zu schauen“ und genießt „eine Lebensqualität, die in Europa keiner zahlen könnte“. Als sie vor 13 Jahren mit ihrem Mann einen Platz für ein Hotel suchte, „öffnete Vietnam gerade alle Türen“, erinnert sie sich. „Da sah mein bisschen Geld plötzlich nach ganz viel aus.“ Und Phan Thiet war Liebe auf den ersten Blick: „Dieser Strand mit seinen Kokospalmen ist ein Postkartending. Was willst du mehr um ein Strandresort auf zu machen?“ Coco Beach ist heute noch ein „Postkartending“ mit kleinen Häusern im Palmengarten, einem schattigen Pool und einem französischen Restaurant. Aber es ist längst nicht mehr das einzige Resort. „Alle haben kopiert“, sagt Jutta stolz, „und alle haben einen Garten“. Trotzdem ist ihr Resort das ganze Jahr über fast zu hundert Prozent ausgebucht, auch dank der treuen deutschen Gäste.
Doch die Gästestruktur in Phan Thiet ändert sich. Russen kommen – und Chinesen. Auch die alten Erzfeinde sind willkommen. „Die Vietnamesen sammeln mit einem Lächeln das Geld ein“, macht Jutta klar, was Sache ist. „Die Chinesen sind für sie ganz einfach wandelnde Geldbeutel.“ Und Geld treibt auch im kommunistischen Vietnam die Wirtschaft an. Sy, der 23-jährige Kellner im Restaurant ABC gegenüber vom Coco Beach Resort, will daran Teil haben. Englisch spricht der Sohn armer Fischer schon leidlich. Jetzt will er russisch lernen, vielleicht auch noch chinesisch und ein paar Brocken deutsch: „Danke“, „bitte“, „auf Wiedersehen“, „hat es Ihnen geschmeckt?“ Der junge Mann ist wissbegierig und steht extra früh auf, um uns auf einem Ausflug ins Innere der Insel zu begleiten.
Fern von den Baustellen am Strand zeigt die Halbinsel noch ihr ursprüngliches, bäuerliches Gesicht. Grüne Wiesen gesprenkelt mit Ziegen und Rindern, ein Ibis auf einem Ochsen, ein Friedhof mit steinernen Gräbern – und immer wieder fantastische Ausblicke aufs Meer. Eine neue breite Straße durchschneidet die Idylle. Auch hier wird bald gebaut werden.
Fast unwirklich ruht der „weiße See“ unter den schneeweißen Sanddünen, im glatten Spiegel des Wassers stehen die Bäume Kopf. Auf dem Weg zu den Dünen folgt uns ein kleiner Kerl mit einer Art Folie, auf der wir nach dem Aufstieg die Dünen hinunterrauschen. Schlittenfahrt auf Vietnamesisch. 2.50 Euro kassiert der Bub für seine Dienste, eine Menge Geld. Sy schaut verdrossen: „Der Pimpf sollte besser zur Schule gehen“, meint er. Auch im Roten Canyon bieten Kinder-Führer ihre Dienste an. Die bizarren brandroten Erdpyramiden, die ein wenig an den Bryce Canyon in Utah erinnern, fangen die Sonnenhitze ein wie ein Trichter. Sy bahnt uns den Weg durch das Labyrinth schmaler Gänge bis dahin, wo die Aussicht auf den Streifen türkisblauen Meeres am besten ist. Stolz wie einst Polykrates auf seines Daches Zinnen weist der junge Vietnamese auf die Schönheit rundum, als wolle er sagen „Das ist mein Land“.
Auch der „fairy stream“ gehört dazu und der Fluss macht seinem Namen alle Ehre: frisches Wasser perlt über einen sandigen Untergrund. Barfuss waten wir durch eine Märchenlandschaft aus weißen, braunen und schwarzen Erdgebilden, kleinen Canyons und grünen Sträuchern. Schmetterlinge, groß wie kleine Vögel, schaukeln in der Luft; ein von der Natur geschaffenes Tor lenkt den Blick auf höhere Dünen in Blutrot und weiße Ablagerungen in Form von Schiffen oder Feen. Sy führt uns über lehmige Ufer bis zu den Wasserfällen am Ende, eine natürliche Dusche im Grünen. Und endlich darf er auch ein Foto machen. Hierher kommen nur die wenigsten. Die meisten Touristen machen kehrt, wenn es zu glitschig wird. Wie gut, dass wir einen kundigen Führer dabei haben.
Abends essen wir im ABC-Restaurant, Sy bebt vor Stolz, als er uns ein Tablett mit Krabben präsentiert. Die hat er eigens für uns gekauft, in Mui Ne, dem Fischerhafen. Wir wollen den Fischen von Phan Thiet eine kleine Schonfrist gönnen.