Die Schweiz im Zeitalter der Ikonen

Eine Stahl-Glas-Pyramide auf dem kleinen Matterhorn, ein Wolkenkratzer neben der Schatzalm in Davos, eine millardenteure Luxusoase im verschlafenen Andermatt – sieht so die Zukunft der Schweiz aus? Bei der Jahreshauptversammlung der VDRJ wollten die Journalisten genauer wissen, was Tourismus-Professor Thomas Bieger von der Universität St. Gallen mit dem Ausspruch „Man hat wieder Mut“ meinte, mit dem er das Zeitalter der Ikonen einläutete. Geschäftsführer Uwe Krist hatte deshalb eine Runde von Experten aufs Podium gebeten: Geschäftsführer Fiorenzo Fässler von den Swiss Deluxe Hotels, Peter P. Tschirky, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Grand Hotels Bad Ragaz, Urs Eberhard, Leiter Märkte und Mice bei Schweiz Tourismus, Alexander Arafa, Managing Director und Head of Sales Europe der Swiss, Reto Gurtner, Chef der Bergbahnen Flims-Laas-Falera und Präsident der Weiße-Arena-Gruppe sowie Isabel Gherbal, Leiterin Marketing und Vertrieb von City Nightline.

Dass Ikonen nicht eine Erscheinung unserer Tage sind, wusste auch Prof. Bieger. Dass aber auch früher schon von Gigantomanie die Rede war, wenn groß für die Zukunft gebaut wurde, machte Urs Eberhard deutlich. Der Vorwurf hätte einst die Jungfrau-Bahnen genauso getroffen wie die heute schon legendären Grandhotels. Für den Vertreter von Schweiz Tourismus freilich sind andere – unvergängliche – Dinge ebenso wichtig: „Der Sonnenaufgang auf der Rigi war vor 140 Jahren so schön wie heute.“ Ein Sieben-Sterne-Hotel wie das Burj al Arab in Dubai könne man kopieren, „die müssen sich immer wieder neu erfinden“. Da habe es die Schweiz besser: „Wir haben landschaftliche Ikonen wie das Matterhorn, die bleiben“ – sozusagen das Rahmhäubchen auf dem Kuchen Schweiz. Genau solche Rahmhäubchen aber  sorgten dafür, dass die kleine Alpenrepublik in der großen Welt wahrgenommen werde. 
„Wir haben 30 Jahre geschlafen“, räumte Reto Gurtner touristische Defizite ein, die dazu geführt hätten, dass die Schweiz von Österreich und Südtirol überholt worden sei – auch dank massiver staatlicher Unterstützung. In der Wahrnehmung der Touristen gelte die Schweiz immer noch als teuer, obwohl sie  mit dem starken Euro preiswert geworden sei. Sorgen um die Zukunft der Schweiz macht sich der visionäre Bergbahnchef trotzdem nicht: „Geld hat es ohne Ende in der globalisierten Welt.“ Gurtner denkt an die „social climbers“ in den Entwicklungsländern. Indien habe heute schon mehr Studenten als ganz Europa. „Das ist die Elite der Zukunft“ und diese Elite sei die Zukunft der Schweiz, weil sie nach „Echtem“ strebt. Die Schweiz müsse zur Marke werden, forderte Gurtner und prophezeite seiner Heimat dann schon in den nächsten Jahren einen „take off“, zumal sie beim Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit anderen weit voraus sei. Trotzdem würde der Mann aus „rätisch Kongo“, der in den USA studiert hat,  am liebsten jeden Schweizer ein Jahr lang des Landes verweisen, damit er die Schweiz einmal von außen wahrnimmt. Dann würde er auch sehen, wo Fehler gemacht werden. „Tradition heißt, das Feuer weiter tragen und nicht die Asche“, wetterte Gurtner gegen die weit verbreitete Pseudo-Rustikalität. „Wir leben heute auch nicht mehr mit dem Plumpsklo.“ Besser als Lederhosen-Barock sei die originelle Neu-Interpretation. Wichtig ist ihm auch,   die Mobilität intelligenter zu machen. Nicht Geiz, sondern Geist sei geil.
Mit umweltfreundlichen Nachtfahrt-Angeboten glaubt Isabel Gherbal von City Night Line die Bahn da gut aufgestellt. Für Gäste, die „Entschleunigung“ schätzten, gäbe es Deluxe-Abteile mit jedem Komfort: „Wir sehen uns als kleines Hotel auf Rädern.“ Alexander Arafa wollte Gurtners Vorwurf, das Fliegen sei zum Alptraum geworden, so nicht stehen lassen. Die Swiss investiere nicht nur in neue Strecken, sondern auch in neue, bequemere Flugzeuge und das komme bei den Kunden an. 13 Prozent mehr Passagiere habe die Airline in den ersten acht Monaten des Jahres 2007 im Vergleich zum Vorjahr gewinnen können. Und mit den neuen Winter-Routen nach Delhi und Schanghai sieht Arafa eine rosige Swiss-Zukunft.
Die Zukunft sichern wollen auch die Grand Hotels Bad Ragaz mit einer 115- Millionen-Franken-Investition, die unter anderem den Neubau eines Spa-Suiten-Hotels und des Thermalbades beinhaltet. „Man kann nicht mehr nur als ein Hotelanbieter antreten“, ist sich Peter P.Tschirky sicher. Bad Ragaz werde in Zukunft eine sich geschlossene Angebotspalette bieten, um auf dem internationalen Markt konkurrenzfähig zu bleiben. Konkurrenz für die Grand Hotels kommt auch aus Ägypten, wenn Samih Sawiris in Andermatt eine Milliarde Dollar in Luxushotels, Ferienwohnungen, eine Wellnessoase der Superklasse und einen künstlichen See investiert. Dennoch ist Fiorenzo Fässler von den Swiss Deluxe Hotels „nicht unglücklich“ über das visionäre Projekt. „Wir alle ziehen den Hut vor Herrn Sawiris“, sagte der Geschäftsführer, verwies aber gleichzeitig auf Millionen-Investitionen auch der Swiss Deluxe-Partner wie den Grand Hotels Bad Ragaz oder dem Dolder in Zürich, das gerade 40 Millionen Franken verbaut habe.
Dass nicht nur im Luxus-Segment Aufbruchstimmung herrscht, sondern auch im Drei- und Viersternebereich, beruhigt Urs Eberhardt von Schweiz Tourismus. Denn, „wo’s hakt, ist im Dreisterne-Bereich“. Ganz oben bei den Luxus-Hotels und ganz unten bei den Jugendherbergen sei die Schweiz unerreicht. Aber im Mittelfeld fehlten oft die Identität und der Wille zur Veränderung. Das soll sich ändern:  Vier bis acht Milliarden Schweizer Franken sollen in den nächsten Jahren in die Schweizer Hotellerie investieren und Schweiz Tourismus unterstütze die Häuser, die „überlebensfähig sind“. Trotz der zunehmenden Globalisierung im Schweizer Tourismus  – „auch die Russen sind eine Zielgruppe, die man nicht ausklammern kann“ – setzt Eberhardt große Hoffnungen auf den deutschen Markt. „Drei Prozent mehr Deutsche sind viel wichtiger als 50 Prozent mehr Chinesen“, machte er die Relation deutlich. Auch die massive Zuwanderung deutscher Arbeitskräfte in Hotellerie und Gastronomie findet er positiv. „Wir mögen die Deutschen auch als Arbeitskräfte.“     

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