Manchmal brauchen Touristen Etiketten, um Städte oder Sehenswürdigkeiten überhaupt wahrzunehmen. Deshalb war der Run auf den Titel Weltwunder bei einer eher fragwürdigen Internet-Abstimmung auch groß. Auch mit Weltkulturerbe würden gerne noch mehr Städte werben und für den jährlich wechselnden Titel Kulturhauptstadt stehen die Bewerber Schlange. Doch was bringen solche Etiketten wirklich? Die Touristische Runde wollte es genauer wissen und hatte Touristiker eingeladen, die Erfahrung mit solchen Kulturtiteln haben.
Klemens Unger, Kulturreferent von Regensburg, das im Juli Weltkulturerbe wurde, sprach denn auch gleich einen Nachteil der Anerkennung an. Gesetze und Verordnungen müssten noch genauer eingehalten und künftige Pläne nicht nur mit dem Freistaat sondern auch mit der Unesco und Icomos (International Council of Monuments and Sites) abgesprochen werden. Das verlange viel Diplomatie, räumte Unger ein. Er verhehlte auch nicht sein Verständnis für Dresden, das mit seiner Waldschlösschenbrücke bei der Unesco aneckte. Die Anerkennung als Welterbestätte müsse auch zukunftsichernd sein, gab er zu bedenken. Auch die Steinerne Brücke in Regensburg sei marode. Zwar stünden zwölf Millionen Euro für die Sanierung zur Verfügung, aber auch dann könne man die Brücke nicht für den Busverkehr freigeben. „Wir müssen uns etwas einfallen lassen, wie wir die Busse vom Norden ins historische Zentrum bringen“, brachte Unger das Dilemma auf den Punkt. Er denkt daran, internationale Experten an einen Tisch zu bringen, bevor man mit Plänen an die Öffentlichkeit geht. Grundsätzlich sieht der Kulturreferent die Anerkennung als Weltkulturerbe positiv. Er rechnet mit mehr Internationalisierung und Profilierung und sieht als Langzeiteffekt einen wachsenden Bekanntheitsgrad und ein neues Qualitätsbewusstsein.
Ganz so positiv wertet Dieter Hardt-Stremayr, Geschäftsführer von Graz-Tourismus Etiketten wie Weltkulturerbe und Kulturhauptstadt nicht. Icomos habe dem Weltkulturerbe Graz viel Schweiß gekostet, sagte er und machte klar: „Wir vertragen keine Käseglocke über der Stadt.“ Dass man sehr viel Geld dafür ausgeben musste, „ein altes hässliches Blechdach durch eine moderne Dachkonstruktion“ zu ersetzen, ärgert ihn so, dass er sich vorstellen könnte, auch auf den Titel Weltkulturerbe zu verzichten. Davon, dass Graz 2003 Kulturhauptstadt war, sei vor allem Architektur geblieben so das Kulturhaus „friendly alien“, die Stadthalle und das Literaturhaus. Anlässlich des Kulturhauptstadtjahrs hätte die Politik Entscheidungen getroffen, die sie jahrelang vor sich her geschoben hatten. Immerhin ein positiver Effekt. Sonst ist das Etikett Kulturhauptstadt für Hardt-Stremayr „ein Titel ohne Wert“, de Jahr für Jahr neu erarbeitet werden müsse. Ab 1. Januar des folgenden Jahres sei man dann „ehemalige Kulturhauptstadt und die Karawane zieht weiter“.
Zum Beispiel nach Linz, das 2009 zusammen mit dem litauischen Vilnius den Titel tragen wird. Georg Steiner, Tourismusdirektor der Stadt, ist optimistisch, dass Linz nachhaltig von dem Kulturhauptstadtjahr profitieren werde. Die Stadt an der Donau, die erst 1938 mit der Kriegsindustrie aufblühte und in der Adolf Hitler zur Schule ging, habe lange schwer an dieser geschichtlichen Bürde getragen, erklärte Steiner. Nach dem erfolgreichen Strukturwandel in den 60er Jahren allerdings zeige sich Linz als authentische, moderne und zukunftsorientierte Stadt. „Oberösterreich ist das Bayern Österreichs, nur ein bisserl erfolgreicher“, warb Steiner für die Donau-Region, die nicht nur schuldenfrei sei, sondern auch Geld auf der hohen Kante habe. Geld, das auch in die ehrgeizigen Kulturhauptstadt-Projekte fließt. 250 Millionen Euro wurden in Kulturbauten investiert, 60 Millionen stehen noch für Projekte im Kulturhauptstadtjahr zur Verfügung. Schon jetzt denkt Steiner an eine Vernetzung mit der zweiten Kulturhauptstadt, Vilnius. Angedacht sind gemeinsame Ausstellungsprojekte und Kooperationen im Internet und auf der Berliner Tourismusbörse. Auch mit Essen, der Kulturhauptstadt 2010, wurden schon Kontakte geknüpft. „So eine Art Pingpong-Spiel zwischen den Kulturstädten“, umschrieb Steiner die Aktivitäten. Auch sie sollen letztlich dazu dienen, „ein neues Linz-Bild in die Köpfe zu bringen.“
Darum braucht sich Leonardo Campanelli vom italienischen Fremdenverkehrsamt nicht zu sorgen. „Dass das Kolosseum Weltkulturerbe geworden ist, hat uns gefreut. Aber es hat das Leben der Römer nicht verändert“, stellte er klar. Schon jetzt besuchten über vier Millionen Touristen jährlich das Kolosseum, viel mehr dürften es nicht werden.
Auch Neuschwanstein hat reichlich Touristen. Dennoch wäre es gerne Weltwunder geworden, gab Dr. Wolfram Schottler von Füssen Tourismus unumwunden zu. Füssen sei schon stolz darauf, in dem Internet-Ranking gleichzeitig mit Rom und Delhi genannt worden zu sein. Für Schottler verkörpert Neuschwanstein als der Ort, wo Ludwig II. vielleicht seine glücklichsten Momente erlebte, „die romantische Seele Bayerns“. Und mit dem Thema Romantik punktet das Märchenschloss vor allem auch im internationalen Markt. Die Hälfte der 1,9 Millionen Übernachtungen, die die 15 000-Einwohner-Stadt verzeichne, komme aus dem Ausland. Schottler würde das Schloss auch gerne als Weltkulturerbe sehen. „Aber der Antrag konnte wegen des Mangels an Kooperationswilligkeit der Allgäuer nicht eingereicht werden“, skizzierte er seine Probleme. Die Allgäuer würden nicht einsehen, dass ihnen der Titel Vorteile bringen könnte.
Dieter Lohneis, der bei Studiosus den Kultimer (einen schmalen Prospekt für Kurzreisen mit Kultur) verantwortet, gab dem störrischen Bergvolk indirekt Recht. Für den Kulturtourismus seien solche Titel zwar Anregung, aber keine Erfolgsgarantie. Es sei beileibe kein Trend, dass sich Kulturhauptstädte gut verkaufen. Dass sich in diesem Jahr das rumänische Sibiu/Hermannstadt vom Titel profitiere, läge eher daran, dass viele das Kulturhauptstadtjahr zum Anlass nähmen, einmal nach Rumänien zu reisen. „Man muss heutzutage kreativ sein“, gab Lohneis die Marschroute vor. Die Kunden verlangten nach mehr als nur einem Titel. Wichtig seien Events wie Konzerte, Ausstellungen, Messen. Auf der einen Seite Anna Netrebko und die Impressionisten in Berlin, auf der anderen Seite Reisen für Ornithologen und Gourmets, der Kultimer berücksichtige alle Arten von Neigungen und damit habe er auch Erfolg.
Fazit: Kultur-Etiketten sind nur ein Teil des touristischen Marketings und da vor allem auf dem internationalen Markt wichtig. Aber die Reise-Entscheidung wird auch durch andere Ereignisse beeinflusst wie die Papst-Wahl, die das kleine Markl auf die Wunschliste vieler Touristen katapultierte.