Turm der Erkenntnis: Irma Krauß‘ „Das Wolkenzimmer“

Das Wolkenzimmer
(Buch)
Autor: Irma Krauß
Verlag: cbj
Erschienen am: 2007-08
Seiten: 316
ISBN: 3570132714

Sie ist Erfolge und Auszeichnungen gewöhnt, die Autorin Irma Krauß, geboren in Unterthürheim und zuhause in Buttenwiesen. Dass ihr neuestes Werk, „Das Wolkenzimmer” von der Jury von Zeit und Radio Bremen mit dem Luchs ausgezeichnet wurde, kam deshalb nicht überraschend. Spätestens seit dem Peter-Härtling-Preis für „Arabella oder die Bienenkönigin” und dem „Frau Ava Literaturpreis” für ihre Erzählung "Der Verdiener" gehört die gelernte Grund- und Hauptschullehrerin zu den Schwergewichten der Jugendliteratur.

Vielleicht lag es an ihrer Kindheit, die „arm an Büchern war”, dass Irma Krauß eine so große Leidenschaft für Bücher entwickelt hat. „Schreiben ist alles”, sagte sie einmal in einem Gespräch mit unserer Zeitung. Inzwischen hat sie 54 Bücher (großenteils Jugendromane) geschrieben, viele inspiriert von der Gegend, die der 58-jährigen Heimat ist. Auch „Das Wolkenzimmer” spielt in der Region ­ in Nördlingen. „Der Turm hatte sich in mir festgesetzt”, sagt Irma Krauß. Und doch könnte die Geschichte auch ganz woanders spielen.
Veronika, die mit ihrem Freund nach Italien fahren wollte, strandet in der Provinzstadt. Sie hat sich mit Matti gestritten, alles ist aus und Veronika hat keine Lust mehr zu leben. Sie will sich vom Turm stürzen. Der Türmer rettet sie in letzter Minute. Und damit beginnt eine seltsame Beziehung zwischen der lebensmüden 18-Jährigen und dem 70-jährigen menschenscheuen Mann aus Amerika, der im Turm seine Zuflucht gefunden hat. Beide lassen sich nur zögernd aufeinander ein. Der Turm wird zu ihrer Festung mit seinen dunklen Nischen, den ausgetretenen Stufen, dem hohen Dachstuhl und dem spartanischen Zimmer des Amerikaners. Treppauf, treppab verfolgt Irma Krauß die Gefühlswirren der jungen Frau, die immer noch hofft, mit Matti in ihr altes Leben zurückkehren zu können.
Doch längst hat sich etwas ganz anderes in ihr Bewusstsein geschlichen. Etwas, was hinter dem Schweigen des Türmers liegt. Eine neue Sensibilität. Kommt sie aus den Tiefen des Turmes, der nur stufenweise sein Geheimnis preisgibt? Die Geschichte des kleinen jüdischen Jungen Jascha, dem der frühere Türmer eher unwillig das Leben gerettet hat. Parallelen tun sich auf, die komplizierte Beziehung Veronikas zum Amerikaner spiegelt sich immer mehr im Verhältnis zwischen Jascha und seinem Retter. Auch die beiden brauchten einen langen Atem, um zum gegenseitigen Verständnis zu finden.
Scheinbar mühelos verschränkt Irma Krauß die beiden Geschichten, die des leichtsinnigen Mädchens auf der Flucht vor dem Leben und die des Buben, der verzweifelt hofft, sein Leben retten zu können. Gekonnt wechselt sie die Perspektiven, taucht ein in die düstere Geschichte wie in die dunklen Gänge im Turm. Der Turm ist die Konstante: Seine Enge hilft das Bewusstsein zu erweitern. Seine Welt entrücktheit macht den Sinn des Lebens spürbar.
Dass so eine schwergewichtige Geschichte so leichtfüßig daherkommt, ist harte Arbeit, gesteht Irma Krauß und zitiert einen Tagebucheintrag vom Februar 2006: „1 Ort, 4 Personen. Aber die jeweilige Partnerschaft ist schwer zu entwickeln. Ich verzweifle fast.”
Sie ist nicht verzweifelt, sondern hat sich der Herausforderung gestellt. „Ich bin wie Veronika auf den alten Mann zugegangen, ohne sein Geheimnis zu kennen”, erinnert sich die Autorin. „Ich habe es schreibend entwickelt” ­ – und eine Lektion in Lebensweisheit dazu.
Info: Irma Krauß: Das Wolkenzimmer, cbj, 317 Seiten, 14,95 Euro, ab 12

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