Wie Autoren ihre Leser aus den Texten vertreiben

Kaum zu glauben: Da meint der Autor, wie munter und originell sein Einstieg in die große Reportage ist, dabei steigt der Leser schon im ersten Satz aus. Solche alarmierenden Befunde vermittelte Peter Linden in der Touristischen Runde. Der Fachdozent kennt sich aus in der aktuellen Leserforschung und er schockte seine großes Auditorium mit harten Zahlen: Durchschnittlich 50 Prozent der Leser brechen danach ihre Lektüre im ersten Satz ab, weitere 25 Prozent im oder nach dem ersten Absatz. Das heißt drei von vier Lesern gehen in den ersten 20 Sekunden verloren.

Eine relativ neue Methode hat zu den Erkenntnissen geführt: Bei ReaderScan werden die Leser mit einem elektrischen Mini-Scanner ausgerüstet und markieren damit die Stelle, an der sie aus dem Text ausgestiegen sind. Etwa 30 deutschsprachige Regionalzeitungen haben sich mittlerweile der dreiwöchigen ReaderScan-Untersuchung bedient und Leserquoten ermittelt. Am schlimmsten traf es Lokalsport und Feuilleton: 97 Prozent der Leser steigen erst gar nicht ein. Von den Reiseteilen fühlen sich immerhin acht bis zwölf Prozent der Leser angesprochen. Zu wenig, wie Peter Linden meint. Die Gründe seien oft „hausgemacht“.
Die Aufmerksamkeit der Leser in den ersten 20 Sekunden zu erregen ist nicht einfach aber auch keine Kunst. Wichtig ist nach Peter Linden die Wiedererkennungswert, das Vertraute. Deshalb plädiert er für eine eindeutige Überschrift und einen Einstieg „mit starkem, singulärem Element und in deutlich ungewöhnlicher Form“: „In den ersten  20 Sekunden muss der Autor seinem Leser mitteilen, dass es im Vertrauten Neues gibt.“
Habe man die 20-Sekunden-Hürde beim Leser überwunden, ist noch längst nicht alles gewonnen: Auch der Textverlauf kann Leser vertreiben.
 Als Quotenkiller Nummer 1 hat Linden Zitate ausgemacht. Zitateinstiege, davon ist er überzeugt, „schaden fast immer“, weil dem Leser die zitierte Person noch nicht vertraut ist. Ausnahme von der Regel sind Zitate, die mit der Nachricht identisch sind. Auch lange Zitate über zehn Zeilen hinweg öden die Leser an, 25 Prozent steigen spätestens da aus.
Deshalb Lindens Tipp: „Alles, was an Fakten recherchiert wird, ist Fakt. Zitiert werden nur Meinungen und Prognosen“.
Wichtig ist aber auch, dass die Zitate richtig platziert werden: 35 Prozent steigen aus, wenn das nicht der Fall ist. Grund: „Leser denken sich keine Journalisten in die Texte rein.“ In szenischen Absätzen dürften Menschen deshalb nur das sagen, was sie zu einer tatsächlich anwesenden Person gesagt haben können. Man könnte auch durch einen Absatz die Szene beenden und in ein „moderierendes Textstück“ überleiten, zeigt Linden einen Ausweg. Eine dritte Möglichkeit sieht er im „inneren Monolog“ (er weiß, dass…). Grundsätzlich empfiehlt er, Dinge zu zeigen und zu beschreiben und nicht nur über wörtliche Rede mitzuteilen. „Wir müssen viel genauer darauf achten, was wir sehen, hören, reichen, schmecken können,“ fordert der Dozent und appelliert an die Kollegen, mit Zitaten sensibel umzugehen.
Quotenkiller Nummer 2 ist nach Linden die Statik des Textes. Gleich zu Anfang goss er Balsam auf die Journalisten-Seele, als er davon sprach, dass das erzählerische Schreiben einen Aufschwung erlebe. Die Länge eines Textes schrecke den Leser nicht ab, sagte er und: „In 80 Zielen kann ich keine Geschichte erzählen“. Um die Erwartungshaltung der Leser zu illustrieren, gab Linden einen kurzen Exkurs in die Geschichte. Die Reportage sei die Reaktion des Print-Journalisten auf den Film und gleichzeitig mit dem Zoom-Objektiv sei das Feature entstanden (eine komplexe Thematik wird anhand einer Einzelperson verdeutlich, um dann auf das Ganze zu verweisen). Heute kopierten die kürzeren Absätze die Schnitttechnik moderner Filmemacher, was zu einer MTVisierung der Reportagen führe.
Linden riet dazu, zwei Handlungsstränge zu verschneiden, um Spannung zu erzeugen. Er riet zu kürzeren Sätzen, weil Wörter heute ungleich mehr Assoziationen auslösten als früher. Und er warb für den Gebrauch starker Verben als „Schlüssel zum Erfolg“.
Quotenkiller Nummer 3 ist für Linden die Moderation: Fragezeichen schreckten Leser ab ebenso Negationen („Dem Leser zu beschreiben was nicht ist, führt in die Sackgasse.“) und eine chronologische Aufzählung errege Langeweile.
Weil das Fernsehen die Lesegewohnheiten präge, gewinnt laut Linden die Optik immer mehr an Bedeutung. Sie erhöhe das Leserinteresse um 50 Prozent und könne auch den Leser in den Text holen. „Letztlich können wir mit unseren Texten nicht viel besser sein als die Bilder, die ihn illustrieren“, stellte der Dozent klar.
Für die journalistische Praxis forderte Andreas Steidel, der bei Sonntag aktuell den Reiseteil macht, mehr Qualität. Eine Reisegeschichte sei mehr als die etwas andere Form der Werbung. Sie müsse ein Thema haben und dürfe kein Rundumschlag wie im Reiseführer sein. Wichtig seien auch Nutzwert und Verlässlichkeit. Im Grund ginge es darum, den Leser ernst zu nehmen.
Auch für Dr. Bene Benedikt, Chefredakteur der Zeitschrift Alpin, ist die Qualität wichtig. Allerdings stelle er sich immer wieder die Frage, wie man als Magazin auch Schritt halten könne mit der Sprache der Werbung. Das Magazin suche den Einstieg in die Reportage durch die Fotos, dann gehe es darum, „die Geschichte auserzählen zu lassen“.

Info: Peter Linden (Kontakt: www.peterlinden.de) hat seine Erkenntnisse und Tipps in dem Heft  "Quotenkiller Print – besser schreiben" für die Journalisten-Werkstatt des medium magazins veröffentlicht. Zu beziehen über Medienfachverlag Oberauer, Fliederweg 4, A-5301 Salzburg-Eugendorf, Tel. 0043/6225/2700-40, E-Mail: vertrieb@oberauer.com

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