Sieben (Auto)Brücken führen über die Donau und verbinden die Stadtteile Pest und Buda. 70 Meter hoch ist (noch) das höchste (normale)Gebäude der ungarischen Metropole. Auf sieben Pfeilern ruht die Margaretenbrücke. 70 Millionen Liter Mineralwasser sprudeln täglich aus Brunnen und Quellen. 700 Säle hat das Parlament. 7000 Bäume bildeten den Grundstock des Nationalparks, dem heutigen Stadtwäldchen. Sieben jurtenförmige Türme krönen die Fischerbastei. Die gigantischen Skulpturen von sieben Königen und sieben Revolutionären wachen auf dem Heldenplatz. 70 000 Autos fahren täglich über die Margaretenbrücke. Zufall? Die Zahl sieben jedenfalls scheint für die Budapester eine Art Mantra zu sein. Stadtführerin Edith, die ihr Deutsch als Kosmetikerin am Tegernsee gelernt hat, weiß auch warum: Sieben Stammesführer waren es, die einst die Ungarn ins Karpatenbecken geführt und damit den Grundstein für den Staat gelegt hatten.
Und die Ungarn eint der Stolz auf ihre Geschichte, sagt Edith. Die grazile Stadtführerin mit dem wippenden Pferdeschwanz hat in Budapest Touristik studiert und kennt sich auch in der Stadt und der Mentalität ihrer Landsleute. Schon 1896 feierten die Ungarn mit Glanz und Gloria ihr Millennium und bauten den monumentalen Heldenplatz, dominiert von einer Säule mit dem Erzengel Gabriel obenauf und den sieben sagenhaften Stammesführern drumherum. Kein geringerer als der Erzengel, so Edith, soll Papst Silvester II. erschienen sein, um ihm zu sagen, dass Stephan/Istvan die Königswürde verdiene. Ungarns erster König wurde im Jahr 1000 gekrönt und 1083 – 45 Jahre nach seinem Tod – zusammen mit seinem Sohn heilig gesprochen.
Wie sehr die Ungarn ihren königlichen Nationalheiligen verehren, ist in der Basilika St. Stephan zu spüren. Für Edith ist es König Stephan – und nicht Christus – der den Hochaltar in dem prachtvoll mit Mosaiken und Gold ausgeschmückten Kirchenraum unter der 96 Meter hohen Kuppel dominiert. Und das größte Heiligtum, das die Basilika beherbergt, ist die „heilige Rechte“, die einbalsamierte rechte Hand des Monarchen. Mönche aus Stuhlweisenburg (Székesfehérvár), der ersten ungarischen Hauptstadt, hätten sie dem königlichen Leichnam abgeschnitten und in ihrem Kloster aufbewahrt, erzählt die junge Frau. Erst nach Fertigstellung der Basilika wurde „die heilige Rechte“ nach Budapest gebracht. 50 Jahre hatte der Bau in Anspruch genommen, 20 Jahre wurde renoviert. Das macht – ja, genau: 70 Jahre. Bei der Renovierung, weiß Edith, sei die Reliquie einer DNS-Analyse unterzogen worden. Auch wenn die Ungarn es nie bezweifelt hätten, jetzt sei es amtlich: es ist die rechte Hand des heiligen Stephan.
Doch so sehr die Ungarn die Tradition hochhalten, die Globalisierung macht auch vor Budapest nicht Halt. „Der Hund bellt und das Geld spricht“, zitiert Edith ironisch ein ungarisches Sprichwort. Ausländische Immobilienfirmen haben Budapest im Visier und wollen hoch hinaus. Höher als die bisher erlaubten 70 Meter. Höher noch als die 96 Meter hohe Kuppel der Basilika und des Parlaments. Eine israelische Firma baue gerade das traditionsreiche Ballettinstitut in ein Hotel um, berichtet Edith. Auch den Palast eines früheren Mineralwasser-Multimillionärs auf der Andrassy 3 habe eine Immobilienfirma „für einen Alibipreis“ gekauft, trotz eines Proteststurms aus der Bevölkerung, die Angst davor hat, dass ihr der Boden unter den Füßen weggekauft werde.
Weltstädtisch gibt sich schon jetzt das Boscolo New York Palace, das nach jahrelangem Umbau vor einem Jahr wieder eröffnet hat – und in Gold und Stuck, pastellfarbenen Deckengemälden und verspiegelter Pracht schwelgt. Das Haus, vor gut 100 Jahren für eine Versicherung konzipiert und bald zum Kaffeehaus umgebaut, war einst Treffpunkt der Dichter, die hier oft die Nacht zum Tage machten. Heute würden sie sich das Cafe New York kaum mehr leisten können. Die Preise sind satt. Die neuen Besitzer von der luxuriösen Boscolo Hotelkette sprechen italienisch. Und das geschichtsträchtige Corinthia Royal Budapest – das Hotel öffnete erstmals 1896 zur Millenniumsausstellung und wurde bis 2002 komplett renoviert und architektonisch herausgeputzt – wird von einer internationalen Hotelkette mit Sitz in Malta gemanagt. Multikulti ist angesagt in Budapest. Und die Budapester üben sich in den Sprachen der Welt wie Edith, die fließend deutsch und englisch spricht und derzeit italienisch büffelt. Oder wie die fliegenden Händler auf der Fischerbastei, die mit vielsprachigem Kauderwelsch bestickte Tischdecken, Marionetten, Kühlschrankmagneten, Matrioschkas und – der neueste Hit – Ledergeldbörsen in Form von Handgranaten feil bieten. Wer spricht heute schon ungarisch?
Die Probleme gab’s früher auch schon. Und die Ungarn waren trotz aller Liebe zur nationalen Tradition dem Fortschritt gegenüber aufgeschlossen, versichert Edith und nennt ein Beispiel: 1896 übergaben die Budapester rechtzeitig zu den Millenniumsfeierlichkeiten die erste, von der Berliner Firma Siemens & Halske erbaute Untergrundbahn des Kontinents dem Verkehr. Ob es wohl an Verständigungsproblemen lag, dass der von vernieteten Eisenträgern zweigeteilte Tunnel die magische Zahl sieben um einen Meter unterschreitet? Edith lacht. Es gibt Fragen, die auch eine versierte Stadtführerin nicht beantworten kann.