Am Ende waren sich alle einig: Pilgern hat Zukunft. Immerhin ein Viertel unserer Landsleute, die noch nie eine Pilgerreise unternommen haben, könnten sich vorstellen, auf Wallfahrt zu gehen. Ein „Bedürfnis nach Einkehr, Spiritualität und Besinnung“ hat Bischöfin Margot Käßmann registriert und Deutschlands Komiker Nummer 1, Hape Kerkeling, ist mit seinem Buch "Ich bin dann mal weg" über seine Erlebnisse auf dem Camino de Santiago immer noch die Nummer 1 auf der Sachbuch-Bestsellerliste. Ist pilgern wirklich in oder verbirgt sich hinter dem Trend nur eine andere Art zu wandern? Darüber diskutierten Experten im Rahmen der Touristischen Runde München.
Von den Mühen des Weges kann Thomas Müller, Bürgermeister von Oberstdorf, aus eigener Erfahrung berichten. Werde die Nordische Ski WM 2005 in Oberstdorf ein Erfolg, hatte Müller leichtsinnig versprochen, werde er nach Santiago de Compostela pilgern. Zusammen mit zwei Freunden erfüllte der Bürgermeister Ende April sein Gelübde: „Ich war dann auch mal weg“ – und das 28 Tage. Dabei, so erzählt er, habe er alle Phasen einer Wallfahrt durchlebt: Schmerzen ohne Ende am Anfang, psychische Belastung und Zweifel am Sinn der Pilgerreise und zum Schluss „fast rauschartige Zustände und das Gefühl, alles ginge fast von selbst“. 150 Kilometer vor dem Ziel ereilte ihn die Nachricht eines Bürgerbegehrens, doch nach 600 Kilometern Pilgerweg entschied sich der Bürgermeister für den Weiterweg und darüber ist er heute noch froh: „Bei so mancher Gemeinderatssitzung rufe ich mir das Erlebnis Jakobsweg in Erinnerung. Da relativiert sich einiges.“
Bernhard Meyer, Geschäftsführer des „christlich geerdeten Reiseveranstalters“ Bayerisches Pilgerbüro kann Müllers Erfahrungen weitgehend teilen. Allerdings könne nicht jeder vier Wochen unterwegs sein. Deshalb bietet das Pilgerbüro den Weg auch in Etappen an und – seit neuestem – auch light (für Menschen mit Handicap, ältere und schwächere Pilger). Aller Kritik zum Trotz verteidigt Meyer die unterschiedlichen Arten zu pilgern: „Ich trenne nicht in gute oder schlechte Pilger.“ Jede Art von Wallfahrt wappne gegen die Reizüberflutung des Alltags, verhelfe zur Wahrnehmung innerer Bilder und sei eine Auszeit für die Seele, betont er. Deshalb biete das Pilgerbüro auch geistliche Begleitung an. Die – meist theologisch geschulten – Reiseleiter könnten den Menschen als Wegweiser in oft schwierigen Lebenssituationen dienen. Angebote wie gemeinsames Beten oder Schweigen sowie Gottesdienste könnten dabei helfen, seien aber kein Muss.
Für Herbert Bauer, als Tourismusdirektor des bayerischen Wallfahrtsortes Altötting mit Pilgern vertraut, ist das Gemeinschaftserlebnis bei Wallfahrten wichtig. Allein über die Pfingstfeiertage hatten sich 60 000 Fußpilger in Altötting versammelt. Bauer räumt ein, dass die Region auch von Papst Benedikt profitiere. 18 Prozent mehr Besucher könne Altötting seither verzeichnen und fast 20 Prozent aller Besucher kämen aus dem Ausland „Für uns ist die Wahl von Josef Ratzinger zum neuen Papst ein Grund zur Begeisterung, weil er einer von uns ist“, machte der Tourismusdirektor die Verbundenheit mit dem Oberhaupt der katholischen Kirche klar. Dieses Wir-Gefühl könnten die Besucher auch auf dem neu angelegten Benediktweg erleben, der auf 258 Kilometern durch das Land führt, in dem der Papst seine Kindheit und Jugend verbracht hat.
„Ein Weg ist ein Weg. Es sind die Menschen, die ihn zum Pilgerweg machen“, ist Hermann Gigler überzeugt. Der Steiermärker ist verantwortlich für das Projekt „Auf den Spuren der Pilger und Wallfahrer“ in dem österreichischen Bundesland und darüber hinaus. Das Projekt soll alte Wallfahrtswege neu beleben und auch mit modernen Inhalten füllen. Sportliche Herausforderung oder Zeit für sich haben sind für Gigler ebenso wichtige Motive wie spirituelle Suche oder ein Gelübde. „Die Menschen wollen vielleicht einfach spüren, ob etwas passiert.“ Auch auf den Wegen in der Steiermark sollen die Wandernden einander begegnen. „Letztendlich“, glaubt Gigler, kann man die Erfahrung, die viele auf dem Camino machen, überall machen.“ Das Zentrum des ganzen Projekts ist die Wallfahrtskirche Mariazell, die in diesem Jahr 850 Jahre alt wird. Zum Jubiläum im September hat sich auch Papst Benedikt angesagt, für Gigler ein Grund mehr, die Projekt-Zukunft optimistisch zu sehen.
Eher noch am Anfang der Entwicklung zum Wallfahrtsort steht Kaufbeuren mit der heiligen Crescentia. 1900 wurde die Nonne selig und 2001 heilig gesprochen. „Ab da bekam Kaufbeuren eine neue Qualität als Pilgerziel“, so Rainer Hesse, Geschäftsführer des Verkehrsvereins Kaufbeuren. Dass die Heilige noch eher regionale Bedeutung habe, soll sich bald ändern. Denn als erste deutsche Heilige des dritten Jahrtausends und als Generaloberin des Franziskanerklosters habe Crescentia dem modernen Menschen viel zu sagen, ist Hesse überzeugt. „Sie war eine eindrucksvolle Führungsgestalt.“ Neben dem seit einigen Jahren existierenden Crescentia-Pilgerweg (80 km) sollen eine didaktisch aufbereitete Gedenkstätte im Kloster, der kürzlich eröffnete Klosterladen und die neu eingerichtete Weberwohnung (Crescentia stammte aus einer Weberfamilie mit acht Kindern) interessierte Pilger anlocken. In einem Nebentrakt des Klosters soll zudem „Klosterleben auf Zeit“ erlebbar sein. Hesse ist zuversichtlich, mit einer guten Infrastruktur mehr Menschen begeistern zu können. „Wir sehen eine Chance in diesem Bereich.“ Es funktioniere allerdings nur, wenn „kirchliche und klösterliche Strukturen mitmachen“.
Pilgerbüro-Geschäftsführer Meyer macht ihm in der Hinsicht Mut. Die Kirche, die früher Pilgerreisen eher ablehnend gegenüberstand, sehe Wallfahrten immer mehr als Chance zur Seelsorge. „Ein Tourist beginnt einen Weg ohne Ziel, ein Wallfahrer aber braucht ein Ziel“, ist Meyer sicher. Wichtig sei deshalb das Angebot am Ende: „Wallfahrtsorte sind geistige Zentren, in denen man die Weltkirche hautnah erleben kann.“
Nicht nur kirchlich sieht es Oberstdorfs pilgernder Bürgermeister, der die Erfahrung der Gelassenheit lobt, die ihm 28 Tage auf dem Camino vermittelt habe. Eine Wallfahrt gebe es im übrigen in Oberstdorf auch: sieben Stunden von der Lorettokapelle über den Allgäuer Hauptkamm ins österreichische Holzgau. Die Tradition aus dem 17. Jahrhundert sei vor zwölf Jahren wieder belebt worden – und habe über die Grenze hinweg Freundschaften geschaffen.