Reisen in Entwicklungsländer(n) ist schon fast eine Massenbewegung. Knapp acht Millionen Deutsche reisen jährlich in Zielgebiete, die noch nicht westlichen Standards entsprechen. Kann Tourismus in diese Länder unsere Welt verändern helfen oder ist er eher ein Fluch, der vorhandene Ressourcen – auch kultureller Art – zerstört? Die Referenten der Touristischen Runde München hatten so manchmal das Gefühl eines Deja-vu-Erlebnisses. Dreht sich doch die Diskussion um Nachhaltigkeit schon seit Jahren im Kreis.
Armin Vielhaber vom Studienkreis für Tourismus und Entwicklung stellte
die Planlosigkeit touristischer Entwicklung an den Pranger.
„Verbreitete Praxis in den Entwicklungsländern ist, dass sich Tourismus
ereignet.“ Als Beispiel nannte er das Schwellenland Türkei, in dem 3,5 Millionen Deutsche alljährlich Urlaub machen. Die
Tourismusentwicklung habe in den 80er Jahren begonnen, aber erst heute,
2007, rufe man nach einem touristischen Masterplan.
Der Studienkreischef sieht die Chance für nachhaltige Entwicklung in
einer umfassenden Vorausplanung mit Angebots- und Nachfrageanalyse, mit
regionalen und nationalen Entwicklungskonzepten, bei denen auch die
Frage der Arbeitsplatzbeschaffung zu klären sei. Es gäbe also „eine
ganz breite Palette von Dingen, die man eigentlich machen müsste – von
Anfang an“. Unter die vorausschauende Planung fällt laut Vielhaber auch
die Berücksichtigung des demographischen Wandels. „Wer denkt in den
Destinationen jetzt schon darüber nach, wie viele Ältere dann auf der
Matte stehen und was man denen zumuten kann“, fragte er provokant in
die Runde. Verdruss bereitet ihm auch die Tatsache, dass in den
Quellmärkten vor allem im Badetourismus die Ziele in
Entwicklungsländern „als austauschbare Ware angesehen werden“. Hier
entstünde eine Massenbewegung „ohne Sinn und Reflexion“, weil man den
Sinn der Nachhaltigkeit nicht begriffen habe. Dabei, so Vielhaber,
seien auch im Massenbetrieb kleine sinnvolle Schritte möglich. Man
müsse nur wollen. Auch im All-Inclusive-Tourismus gäbe es Begegnungen
und „Begegnung ist der Schlüssel zum Verständnis“. Wer allerdings „null
Bock“ darauf habe – das sind immerhin 60 Prozent – müsse auch nicht
missioniert werden, „er soll bekommen, wofür er bezahlt hat“. Bei der
derzeitigen Preisgestaltung bleibe ohnehin wenig, was man in
Urlaubsinhalte investieren könne, fürchtet der Tourismusforscher und
warnte vor der Gefahr, dass Veranstalter zunehmend zu Händlern werden,
für die Inhalte unwichtig sind.
Unisono wandten sich alle Referenten gegen Schubladendenken. Es gäbe
keine guten und bösen Touristen, keine guten oder bösen Veranstalter.
Auch die Großen schüfen Arbeitsplätze und selbst Shopping-Fahrten
trügen zur Verbesserung der Lebensgrundlagen vor Ort bei. Auf der
anderen Seite seien auch Studienreiseveranstalter kommerzielle
Unternehmen, die Geld verdienen wollen, wenn auch unter
Berücksichtigung der Nachhaltigkeit.
„Wir sind nicht die Guten, ich hoffe aber, dass wir viel Gutes
machen“, stellte Ury Steinweg von Gebeco (der Name steht für
„Gesellschaft für Begegnung und internationale Kooperation“) klar.
Gegenseitiges Verständnis und die Berücksichtigung der
Kulturunterschiede stünden im Mittelpunkt der Gebeco-Reisen.
Reiseleiter sorgten als Dolmetscher dafür, dass kein Babel der
Verständnislosigkeit (wie es der gleichnamige Film eindrücklich in
Szene setzt) entstehe. Schwerpunkte von Gebeco seien deshalb
„inhaltsvolle Reisen jenseits von sun & beach“. Bei der
Produktentwicklung wirkten Mitarbeiter aus über 15 Nationen mit, „die
ihr Verständnis mit einbringen“ und Bescheid wüssten über die
Bedürfnisse der Zielländer. Interkulturelle Kompetenz werde gefördert
und sei bei den Mitarbeitern ein Muss.
Aber auch die Reisenden würden durch breite Informationen in den
Katalogen, durch Vorbereitungstreffen vor der Reise und Info-Literatur
erfahren, „was auf sie zukommt“. Dabei seien die erwünschten
Begegnungen nicht immer auch gewünscht. Steinweg: „Manche Teilnehmer
möchten im Urlaub vor sozialem Elend verschont bleiben“. Gebeco lege
jedoch Wert darauf, dass möglichst viel Geld im Land bleibe durch
Unterbringung der Reisenden in Hotels lokaler Eigentümer und Essen in
kleinen, landestypischen Restaurants. Auch der Besuch von Nationalparks
und Weltkulturerbestätten gehöre zum Programm, weil er Ausbeutung
verhinderte und damit Nachhaltigkeit unterstütze. Manches Kunsthandwerk
wäre ohne Tourismus heute nicht mehr vorhanden, gab der Gebeco-Chef zu
bedenken, deshalb würden von Gebeco-Reisenden auch kleine
Handwerksbetriebe besucht. Dass Tourismus auch Gutes bewirken kann,
stellte Steinweg am Beispiel von China dar, wo viele Kulturgüter die
Zerstörungen der Kulturrevolution nur überdauert hätten, weil sie für
den Devisen bringenden Tourismus wichtig waren.
Klaus Dietsch von Studiosus sieht die Veranstalter in der Pflicht. „Wir
sind einer der Veranstalter, die dafür sorgen, dass sich Tourismus
nicht nur ereignet“, sagte er. „Wir gehen in die Region, in das Lokale
und reden dort mit den Menschen.“ Bei allen Studiosus-Reisen stünden
Begegnungen im Mittelpunkt, letztendlich wolle man ein positives Bild
des Touristen transportieren. Da sei Rücksichtnahme gefragt und
Sensibilität für das Reiseland. Zur Einstimmung bekämen die Kunden
deshalb ein Sympathiemagazin (des Studienkreises), auch „um womöglich
einen Kulturschock zu vermeiden“.
Dass Studiosus viele Projekte rund um die Welt unterstütze, sei „fast
schon Verpflichtung“. (Der Veranstalter engagiert sich beispielsweise
in Favelas, Krankenhäusern, Musikschulen und Naturschutzprojekten).
Dietsch: „Es geht um Geben und Nehmen“. Gutes tun komme auch gut an.
Für die Vorbereitung der Reisen sei der „Dialog der Kulturen“ ebenso
wichtig wie das „Forum der Bereisten“. Hier werde diskutiert, was man
besser machen könne und wo Tourismus wehtue. Die Begegnungen fänden
mehrheitlich in den von Studiosus unterstützten Projekten statt und
dienten dazu, Verständnis auf beiden Seiten zu wecken durch „die
Beendigung der Unwissenheit“. Die Reiseleiter sieht Dietsch dabei als
„Mittler zwischen den Kulturen“.
In die ärmsten Länder dieser Welt schickt Harald Kischlat von „Ärzte
für die dritte Welt“, 1983 gegründet vom Jesuitenpater Dr. Bernhard
Ehlen, seine „Kunden“. Die 30 Mediziner, die alljährlich für die
Organsisation in die Slums reisen, um dort Patienten kostenlos zu
behandeln, wissen meist, was sie vor Ort erwartet. Aber auch sie treibe
neben dem Willen zu helfen eine gehörige Portion Neugierde und
Abenteuerlust in die Ferne, könnten sie doch bei ihren Einsätzen das
Land so intim kennen lernen wie sonst nie. Kischlat warnte davor,
unvorbereitet in ein Entwicklungsland zu reisen. Das gelte nicht nur
für die medizinische Prophylaxe, sondern auch für die Information über
die politische Situation.
Mit Begegnungen vor Ort hat Kischlat so seine eigenen Erfahrungen. „Die
Patienten ziehen sich gut an, bevor sie zu unseren Ärzten gehen.
Manchmal sieht man dasselbe Kleid fünf Mal am Tag, weil die Klamotten
geliehen sind“. Für ihn, so Kischlat, gebe es eine Schamgrenze der
Bereisten bei solchen Begegnungen. Auch die Menschen in den
Entwicklungsländern wollten sich von ihrer besten Seite zeigen ebenso
wie die Länder selbst nicht die Slums vorzeigen wollen. Das sei eine
Frage der Würde.
Zur Nachahmung empfahl Armin Vielhaber schließlich das
„Meet-the-people“-Programm auf Jamaika. Familien de Mittel- und
Oberschicht hätten sich schon vor Jahren bereit gefunden, ab und an mit
Urlaubern auf der Basis gleicher Interessen zusammenzukommen. Für eine
solche Begegnung, die nichts von Zoo oder Zirkus an sich hat, könne man
sich schon zu Hause im Internet anmelden.
Infos im Internet: www.studienkreis.org, www.gebeco.de, www.studiosus.de, www.aerzte3welt.de