Familienleben – Maria Elisabeth Straubs „Das Geschenk“

Ja, so könnte es auch gewesen sein. Die Jungferngeburt, ein Ausweg. Der Versuch, das Kind der Sünde dem alten Mann unterzuschieben. Der Versuch, am Leben zu bleiben. Maria Elisabeth Straub traut sich was. Ihr Roman „Das Geschenk“ wagt eine Neu-Interpretation der Biblischen Geschichte und lädt dazu ein, die Menschen hinter der Geschichte neu zu entdecken.


Maria, eine junge Frau in Nöten, eine Frau, die ums Überleben kämpft.
Für sich und für ihr ungeborenes Kind, die Frucht einer Vergewaltigung
durch den eigenen Vater, ein Gotteskind trotzdem oder gerade deswegen.
Und Josef, der alte Mann, nimmt das Mädchen auf und sieht großzügig
über die schnelle Geburt hinweg. Und nach dem Mamser, wie die Frau
ihr Kind heimlich nennt, weil illegitime Kinder im Judentum so heißen,
folgen noch andere – Söhne und Töchter, auf die „der Hölzerne“ stolz
sein kann. Denn „der Hölzerne“ ist ihr ungeliebter Ehemann für sie ein
Leben lang geblieben. Ein Rettungsanker ja, aber kein Mann für Gefühle.
Auch kein schöner Mann wie David, der Bruder der widerspenstigen
Deborah, die alles versteht und die so früh sterben muss.

Maria Elisabeth Straub lässt die reife Frau zurückblicken und rollt so
das Familienleben im Nazareth vor 2000 Jahren neu auf. Die strengen
Regeln und festen Rituale, die trotz grausamer Bestrafungen geradezu
dazu einladen, übertreten zu werden. Die Not der Frauen und ihre
Stärke. Die harte Arbeit und das Gottvertrauen. Straub mischt die
Alltagssprache gekonnt mit vertrauten Zitaten aus der Bibel und sie
lässt ihre lebenskluge Maria mit Nachsicht über die seltsamen Marotten
ihres Erstgeborenen urteilen: „Dass er mich kleingläubig genannt hatte,
ausgerechnet mich, ließ Ärger in mir aufwallen, aber ich sagte mir,
daß jedes Kind, egal welchen Alters, seine Mutter wie eine Felswand
benutzt, an der es sein Stöcklein wetzt.“
Als der alte Mann stirbt, fordert er die Wahrheit über den ältesten
Sohn. Doch Maria, eingedenk schlechter Erfahrung mit der eigenen
Mutter, bleibt bei ihrer Aussage „Eine Ente… Viel mehr eine Wolke, ein
Dunst, ein Nebel, ein Geist. Gtts (Schreibweise der Autorin) Geist. Von
ihm ist mein Kind.“ Der Sterbende macht keine Einwände mehr. Und
irgendwie scheint der Mamser Marias Version verinnerlicht zu haben,
denn er ist davon überzeugt, etwas Besonderes zu sein. Nach dem Tod des
Alten wird er weggehen, dahin, wo sein Cousin Johanaan lebt. Und
vielleicht noch weiter. Maria weiß darum, sie lässt ihn mit Trauer im
Herzen gehen und erinnert sich an den Anfang, das kleine Kind: „Mein
kleiner Gtt, mein Leben, vor dir liege auf den Knien, für dich würde
ich mir die Hand abhacken, dir allein gilt mein Trachten und Tun. Dann
wächst dem Kind ein Bart, und die Liebe der Mutter prallt gegen Wände
aus Erz.“

Maria Elisabeth Straub holt in ihrem wunderbaren Buch die „heilige
Familie“ wieder ins Menschenleben zurück. Mit ihrer neuen, höchst
lebendigen Version der alt bekannten Geschichte mag sie manche
verstören, aber ebenso viele auch trösten.

Info: Maria Elisabeth Straub, Das Geschenk, Diogenes, 333 S., 19,90 €

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