Selbst Petrus hatte ein Einsehen und schickte immer nur dann Regenschauer, wenn die Ausflügler der Touristischen Runde unter schützenden Dächern waren. Plattgedrückte Nasen gab es gleich nach Ingolstadt, als der ICE auf die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke fuhr und für ein paar Augenblicke Tempo 300 erreichte. Denn die Rundenmitglieder saßen dabei in der ersten Reihe, hatten also freien Blick aufs Cockpit und den Fahrer.
In Nürnberg hatte Museumsdirektor Dr. Jürgen Franzke seinen
Urlaubsantritt um ein paar Stunden verschoben, um der Runde sein Museum
zu präsentieren und Missverständnisse zu beseitigen. „Nein, wir sind
nicht abgebrannt,“ stellte er gleich zu Anfang klar. Gebrannt habe
„nur“ der Lokschuppen, in Mitleidenschaft gezogen seien 20 Loks. Aber
das Museum selbst war nicht tangiert. Als königlich-bayerisches
Verkehrsmuseum 1899 gegründet, sei das Museum eines der ältesten
Technikmuseen in Deutschland, erklärte Franzke stolz. Der Bau, der
heute das Museum beherbergt, wurde nach dem Ersten Weltkrieg realisiert
– nach Vorkriegsplänen – und 1925 eröffnet. Seit 1985 gehört auch ein
Freigelände dazu mit einer 1000-Quadratmeter-Halle, in der acht bis
zehn Originalfahrzeuge stehen. Haus und Ausstellungen würden seit zehn
Jahren überarbeitet, betonte der Museumsdirektor, ehe er die Gruppe zu
einer Reise durch zwei Jahrhunderte Eisenbahngeschichte einlud: Von den
Anfängen in England (der Kohlewagen von 1829 aus dem Eisenbahnmuseum in
York .ist das älteste originale Eisenbahnfahrzeug der Welt außerhalb
Großbritanniens) über die Güterwagen des Industriezeitalters, die
Trennung der Bahnen während der deutschen Teilung bis zur
Wiedervereinigung spannt sich der Bogen. Auch der Missbrauch der Bahn
für die Deportationen im Dritten Reich wird nicht ausgeklammert.
Besonderes Interesse fanden der Prunkzug des bayerischen Märchenkönigs,
der preußisch-schlichte Bismarckwagen und natürlich der Adler, der 1835
von Nürnberg nach Fürth fuhr. Dass diese Woche der viergleisige Ausbau
dieser Traditionsstrecke beginnt, machte den Blick in die Geschichte
umso interessanter. Eindrucksvoll demonstrieren Tafeln, auf denen die
Strecken aufleuchten, den Aufbau des deutschlandweiten Eisenbahnnetzes,
das heute rund 39 000 Kilometer umfasst und jährlich allein für die
Instandhaltung zwei Milliarden Euro verschlingt. 31 000 Züge rauschen
täglich durchs Netz, für das der Ausbau der (seit 150 Jahren geplanten)
Achse Nürnberg- München über Ingolstadt einen „Quantensprung“ bedeute.
Über die neuesten Entwicklungen konnte sich die Runde in den
Sonderausstellungen zur Neubaustrecke und zur Bahnstadt Berlin (mit dem
neuen Hauptbahnhof) überzeugen.
Nach dem Rundgang waren die Tische gedeckt und bei einem leckeren
Imbiss und angeregten Gesprächen ließ sich der Regenguss, der draußen
niederging, aussitzen. Zurück in Ingolstadt wurde die Runde von Tanja
Lehner von Ingolstadt-Tourismus Marketing in Empfang genommen.
Stadtführerin Marieluise Wagner hatte im Nu die volle Aufmerksamkeit,
denn ihre Anekdoten und Beschreibungen machten Stadtgeschichte
lebendig. So beim blauen Haus, heute Synagoge, früher Sitz der
Illuminati, dem von Prof. Weishaupt in Ingolstadt gegründeten
Intellektuellen-Geheimbund, wo Wagner von der geschichtsträchtigen
Ingolstädter Universität erzählte: 1472 gegründet, war die Hohe Schule
die erste Bayerische Landesuniversität. Oder beim Canisiuskonvikt, wo
sie auf Mary Shelleys fantastischen Roman Frankenstein verwies. Denn
Shelley lässt Victor Frankenstein in Ingolstadt sein namenloses
Geschöpf formen und ihm Leben einhauchen. Ein paar Schritte weiter geht
es um Tilly, den großen Feldherrn des Dreißigjährigen Krieges, der
nach einer schweren Verletzung in der Festung Ingolstadt starb. Sein
Erzfeind Gustav Adolf habe ihn bis in die Stadt verfolgt, als beherzte
Ingolstädter ihm das Pferd unterm Hintern wegschossen. Der
Schwedenkönig floh, sein Pferd, der Schwedenschimmel, ist heute im
Stadtmuseum zu sehen. Auch die Asamkirche Maria de Victoria ist
Marieluise Wagner mehr als nur die übliche Eloge wert. In der
Schatzkammer weist sie auf „die wertvollste Monstranz der Welt“ hin,
eine 18 Kilogramm schwere Augsburger Goldschmiedearbeit, welche die
Seeschlacht bei Lepanto feiert. Und zum grandiosen Deckengemälde von
Cosmas Damian Asam weiß sie ebenso Einzelheiten wie zur Baugeschichte
und Ausstattung des wehrhaften Münsters, das ein Jahrhundert Bauzeit
benötigte. Die Universitätskirche Zur Schönen unserer Lieben Frau ist
eine der größten spätgotischen Hallenkirchen und der kunstvolle
Hochaltar verweist auf das akademische Leben des damaligen Ingolstadt.
Denn die Bildtafeln auf der Rückseite des Wandelaltars zeigen den
Disput der Hl. Katharina mit 50 Philosophen, unter denen berühmte
Professoren und Gönner der Hohen Schule zu erkennen sind (u.a. auch
Leonhard Fuchs, der Vater der Fuchsie, aus Wemding). Die Zeit drängte
und so blieb nur ein Verweis auf Marieluise Fleißer, die lange Zeit
eher ungeliebte Tochter der Stadt und die Dokumentationsstätte zu ihrem
Leben und Werk, und ein Blick auf das Neue Schloss, den Herzogkasten
und die bayerische Landesfestung. Auch vom Klenzepark, seit der
Landesgartenausstellung geliebte grüne Lunge der Stadt, bleiben nur
ein paar Eindrücke. Im KIK übersteht die Runde bei Kaffee und Kuchen
einen erneuten Wolkenbruch und in der äußerst reizvollen
piccolino-Ausstellung rundet sich der Ausflug. Denn die teils witzigen,
teils spritzigen Kleinwagen, zu denen Tobias Hoffmann alle Details
kennt, erzählen ebenso ein Stück Verkehrsgeschichte wie das DB-Museum.