Es gibt viele schöne Inseln auf dieser Welt. Aber nur eine mit diesem magischen Namen, der sogleich Träume wachruft: von Sindbad, dem Seefahrer, von 1001 Nacht – Sansibar. Der nur 4891 Quadratkilometer große Archipel, bestehend aus den Insel Unguya und Pemba, markierte einst das Zentrum der Seefahrer-, Entdecker- und Händlerrouten. Heute liegt die Inselgruppe, ein halbautonomer Teilstaat der Vereinigten Republik Tansania (aus Tanganyika, Sansibar und Azania (griechischer Begriff für die Küste Ostafrikas) eher im Abseits der Touristenströme.
Dabei gibt es viele gute Gründe, Sansibar wieder oder auch neu zu entdecken.1.Geschichtslektion: Helgoland statt Sansibar? Als die legendäre Gewürzinsel irgendwo in Afrika Begehrlichkeiten in ganz Europa weckte, war auch das deutsche Reich dabei. Doch die Briten hatten die besseren Karten. Im Sansibar-Helgoland-Abkommen von 1890 willigten die Deutschen in ein britisches Protektorat über Sansibar ein und erhielten im Tausch neben dem „Caprivi-Zipfel“ (der Verbindung zwischen Deutsch-Südwest und Rhodesien) die Insel Helgoland. Für den Begründer Deutsch-Ostafrikas Carl Peters ein schlechter Handel. Man habe das „wahrscheinlich reichste Königreich Ostafrikas gegen eine Badeinsel in der Nordsee“ eingetauscht, wütete der überzeugte Kolonialist. Sagenumwoben war die Insel zu jener Zeit und ihr Reichtum legendär. Doch es waren nicht die Gewürze, die
Jahrtausende Händler an die Küsten des Archipels gelockt hatten. Längst hatten die Herrscher Sansibars eine weit lukrativere Ware entdeckt: Sklaven. Im 19. Jahrhundert war Sansibar der Welt größter Sklavenmarkt.
Für Hunderttausende, die auf dem afrikanischen Festland zusammen getrieben wurden, war die das grüne Inselreich zum Synonym einer Hölle auf Erden geworden. Zwar wurde die Sklaverei auf Betreiben der Briten 1873 offiziell abgeschafft, aber erst 1911 soll der letzte Sklave auf Sansibar verkauft worden sein. Vor der Kathedrale in Stonetown erinnert
ein Denkmal an jene Zeit, als Menschen nichts als Ware waren, und wer in die alten Sklavenkammern hinuntersteigt, ahnt, mit wie viel Blut, Schweiß und Tränen Sansibars Reichtum einst erkauft wurde. Die Herrscher freilich lebten in Saus und Braus, bauten ihre Paläste, beglückten ihren ausgedehnten Harem und trieben Handel mit der großen weiten Welt. Auch die Habsburger mischten munter mit und so hängen im Sultanpalast Porträts von Kaiser Franz Joseph und seiner Gemahlin Elisabeth (Sisi), ein Geschenk an den Sultan nach einem erfolgreichen Geschäftsabschluss 1897. Man wusste zu leben und baute auf die neuesten Errungenschaften: „Haus der Wunder“ heißt heute der 1883 erbaute Palast, damals das erste Gebäude in Ostafrika mit Elektrizität, Aufzug und Pool. Doch nach dem Tod des Herrschers Sayyid Said 1856, der Sansibar zur Hauptstadt des Sultanats Oman gemacht hatte, begann das Reich zu zerfallen.
Erbfolgestreitigkeiten unter den Nachfolgern führten 1896 zum „kürzesten Krieg der Weltgeschichte“, 500 Soldaten sollen in dem 45-minütigen Blitzkrieg gefallen sein, während die Briten die Festung in Schutt und Asche legten.
2. Freilichtmuseum. Stein gewordene Geschichte ist Stonetown, die Altstadt von Zanzibar Town, heute Weltkulturerbe und ein höchst lebendige Freilichtmuseum: Verwinkelte Gassen, durch die kichernd Mädchen mit weißen Kopftüchern und kleine Jungen mit der Kofia auf dem Kopf huschen. Ein üppiger Markt, auf dem tiefschwarz verhüllte
Musliminnen neben Frauen in farbenfrohen Kangas, den traditionellen Umschlagtüchern, lautstark mit den Händlern um Preise feilschen. Kleine Läden, wo Touristen nach Souvenirs fahnden. Schlanke Minarette neben erdverbundenen Kirchtürmen, pompöse Paläste und viktorianische Häuser, von denen der Verputz bröckelt. Maurische Rundbogen-Fenster und immer wieder kunstvoll geschnitzte Holztüren, die Swaheli Türen, zweiflügelige opulent dekorierte Tore im indischen oder arabischen Stil. 560 solcher Originaltüren soll es in Stonetown bis heute geben, nachdem dem Ausverkauf dieses architektonischen Kleinods von Gesetzes wegen Einhalt geboten wurde. Die Aga-Khan-Stiftung hat sich um den Erhalt mancher Gebäude verdient gemacht, die alte Apotheke etwa neben dem „Livingstone-House“ erstrahlt seit der Renovierung 1995 wieder in altem Glanz und beherbergt heute das Kulturzentrum. Auch das Fünfsterne-Hotel Zanzibar Serena Inn am Strand von Stonetown, das auf Schritt und Tritt den Charme vergangener Zeiten atmet, ist Teil des weitläufigen Aga-Khan-Imperiums. In dem hundertjährigen Haus waren früher auf der einen Seite das Telegrafenamt, auf der anderen Seite chinesische Ärzte untergebracht. Seit 1997 logieren in den stilvoll möblierten Räumen betuchte Touristen. Stilvoll ist auch das Emerson and Green, mit den grünen Dächern ein Wahrzeichen von Stonetown. Hier, wo nach der Abschaffung der Sklaverei, Araber ihre Sklaven gegen klingende Maria-Theresia-Taler eintauschen konnten, haben Emerson und Green zehn Räume so üppig ausgestattet, dass die Gäste sich in 1001 Nacht versetzt fühlen. Im Bi-Kidude-Cafe versinkt man in den dicken Kissen und während man den starken mit Kardamon gewürzten Kaffee schlürft, kann man die Bilder der alten Sängerin bewundern. Trotz ihrer über 90 Jahre wurde sie freilich nie so bekannt wie ein Sänger, der Sansibar schon im zarten Alter von zehn verlassen hat: Faruk Bulsara, besser bekannt als Freddy Mercury. Das Geburtshaus des Queens-Sängers, der 1991 an Aids starb, kennt in Stonetown jedes Kind.
3. Lovestory. So eine bittersüße Liebesgeschichte kann nur das Leben schreiben: Sie war eine Prinzessin aus dem Hause Said, die Tochter einer tscherkessischen Konkubine und wuchs als Sayyida Salme sorglos im Harem auf. Durch ein Fenster, aus dem sie auf die Terrasse des Nachbarhauses sehen konnte, wo die Herren ihre Feste feierten, verliebte sie sich in den Hamburger Kaufmann Heinrich Ruete. Diese heimliche Liebe blieb nicht ohne Folgen und Salme verließ die Insel, um ihrer Familie die Schande zu ersparen. Mit diesem Schritt brach die Prinzessin mit der Familie und mit ihrem Leben als verwöhnte Prinzessin. Sie heiratete Ruete und trat zum christlichen Glauben über. Aus Sayyida Salme wurde Emily Ruete. Doch der Liebe war kein Glück beschieden. Drei Kinder gebar Emily ihrem Mann, dann starb Heinrich Ruete bei einem Unfall und die Witwe war im kalten Hamburg auf sich allein gestellt. Von ihrer Familie auf Sansibar konnte
sie keine Hilfe erwarten, sie galt als Abtrünnige und selbst als sie im öffentlichen Auftrag in die Heimat reiste, blieben ihr die Türen verschlossen. Emily Ruete starb 1924 im hohen Alter von 80 Jahren in Deutschland und hinterließ ihren Kindern die Geschichte ihrer Liebe: Memoiren einer arabischen Prinzessin aus Sansibar, die in den Beschreibungen der unterschiedlichen Lebensumstände auch ein Sittengemälde jener Zeit sind. „Das Wohl meiner Kinder,“ schrieb die Heimatlose, „war mir wichtiger als mein eigenes Glück und unter keinen Umständen nicht einmal den glücklichsten hätte ich ihr seelisches Gleichgewicht aufs Spiel gesetzt.“ Bis zum Tod trug sie schwer an ihrer unerfüllten Sehnsucht nach Sansibar. Im Sultanspalast kann man dieser Liebe in Bildern und Texten nachspüren.
4. Gewürzinsel. Nelken und Zimt, Vanille und Muskat, Ingwer und Kardamon, Pfeffer und Kokosnüsse. Eine Gewürztour auf Sansibar ist ein Genuss für alle Sinne und Abdallah ist ein Führer wie aus einem Werbefilm, jederzeit zu einem weiß-blitzenden Lächeln für die Kamera bereit. Und erst seine Geschichten! Über das Ecstasy von Afrika beispielsweise. Was bei uns ganz profan als Muskatnuss ins Käsefondue oder einen Gemüsegratin gerieben wird, wird in Sansibar als Arznei gegen Bauchweh und Arthritis geschätzt. „Gemischt mit Porridge,“ verrät Abdallah, „hält Muskat die ganze Nacht wach“. Oder das Aphrodisiakum aus der Wurzel – Ingwer, der auch als Fleisch-Weichmacher geschätzt wird.
Oder der „Lippenstiftbaum“, dessen pelzige Frucht blutrote Körner enthält, die mit jedem Lippenstift konkurrieren können. „Unsere Großmütter hatten noch keine Lippenstifte aus Europa,“ sagt Abdallah und schmiert sich rote Striche auf die Wangen wie Kriegsbemalung. Auch wo der Pfeffer wächst, weiß Aballah natürlich. Grüne und rote Beeren zeigt er uns und wir erfahren, dass der schwarze Pfeffer grün und der weiße Pfeffer rot geerntet wird. Zehn Kilo schwer kann die Durian werden, besser bekannt als Stinkfrucht („sie riecht wie die Hölle und schmeckt wie der Himmel“). Während Abdalla noch seine Anekdoten ausbreitet, ist Mustafa schon längst auf die Palme gegangen. Singend jongliert er hoch oben zwischen Himmel und Erde mit Kokosnüssen, ehe er sie herunterwirft – ein perfekter Alleinunterhalter.
5. Schicksalsgemeinschaft. Über die Jahrtausende hinweg haben Winde die arabischen Segelboote in Richtung Sansibar geweht und noch heute werden die Dhaus von Hand gearbeitet wie zu Sindbads Zeiten. Doch die Schiffe stechen nicht mehr in See wie einst, Schnellboote haben sie abgelöst.
Meist segeln die Dhaus malerisch an der Küste entlang, willkommene Fotomotive für Touristen. Aber viele Fischer sind noch immer auf Dhaus unterwegs. Sie bescheren Suleiman in Nungwi an der Nordspitze Sansibars und seinen Kollegen ein sicheres Auskommen. Rund 2000 Dollar kostet so ein handgearbeiteter Segler, in dem ein Monat Arbeit steckt. Die Werkzeuge sind von gestern wie der über eine Spindel betriebene Handbohrer. Solche Arbeit will gelernt sein. Vier bis fünf Jahre, sagt Suleiman, braucht ein geschickter Handwerker, um jeden Handgriff zu beherrschen. Der 43-Jäh rige hat mit 18 angefangen und liebt seinen Beruf, auch wenn in den letzten Jahren immer weniger Dhaus gebraucht werden. Etwa fünf haben im letzten Jahr die Werft von Nungwi verlassen.
In den besten Jahren waren es schon mal doppelt so viele. Von seinen fünf Söhnen, bedauert Suleiman, wird wohl keiner mehr Dhau-Bauer werden.
„Sie haben andere Chancen durch die bessere Schulbildung.“ Und die zwei Töchter? Suleiman schaut etwas ratlos. „Wahrscheinlich werden sie heiraten.“ Wozu also mehr Schule als nötig?
Vielleicht arbeiten sie aber auch im Tourismus, der in den letzten zwei Jahren ordentlich Auftrieb bekommen hat. Neue Hotels erschließen die einsamen, weißen Strände – erst im Dezember hat Kempinski das luxuriöse Zamani Kempinski Resort eröffnet. In den meisten Hotels arbeiten vor allem Sansibaris. Und immer mehr Projekte beteiligen die Menschen vor Ort, beispielsweise im Jozani Nationalpark, wo inzwischen wieder 2500 rote Colubus-Affen leben. Die nur auf Sansibar heimische Affenart war lange Jahre vom Aussterben bedroht, viele der Tiere wurden von Hirten oder Bauern erschlagen oder von Jägern erschossen. Inzwischen haben die Dörfler die Affen als Einnahmequelle entdeckt. Weil sie einen Teil der
Eintrittsgelder bekommen, lassen sie die Affen am Leben. „So sind alle glücklich,“ sagt Nationalpark-Führer Saban, „die Leute hier, die Affen – und die Touristen.“