Eric hat ein ganzes Jahr mit seiner Tochter verbracht, als seine Frau Laura wieder eine Arbeit gefunden hatte. Damals war Meadow drei, sie hat mit ihm lesen gelernt und erfahren, wie wichtig Phantasie im Leben ist. Jetzt ist das Mädchen sechs und ihrem Vater droht ein Besuchsverbot.
Da wirft Eric alle Skrupel über Bord, packt seine Tochter ins Auto und fährt mit ihr ins Blaue. Was anfangs wie ein harmloser Ausflug aussieht, wird bald zur Flucht, und in seiner Angst, Meadow zu verlieren, lässt sich Eric zu ziemlich unbedachten Entscheidungen hinreißen. Am Ende holt die Realität den Flüchtigen ein. Auf die Vorwürfe der Polizisten schweigt er, erst im Gefängnis schreibt er sich seine Not von der Seele – in einem Brief an Laura. In diesem Brief gesteht er auch ein, dass er eigentlich ein anderer ist. Nicht der All-American-Boy Eric Kennedy, den sie geheiratet hat. Sondern der Deutsche Erik Schroder, der mit seinem Vater aus der ummauerten DDR geflohen war. Er schreibt davon, wie schwer er sich in den ersten Jahren in den USA getan hatte und dass die erdachte Identität ihm dabei geholfen hat, Fuß zu fassen. Er berichtet von Deutschland, der deutschen Teilung und der väterlichen Flucht – ohne die Mutter. Und er schreibt über seine große Liebe zu Meadow, dem kleinen klugen Mädchen mit der Brille, für das seine Existenz riskierte – weil er wieder mal weggelaufen ist.
Amity Gaiges Ich-Erzähler ist mit seiner gebrochenen Biographie nicht unbedingt ein Sympathieträger und doch wächst er in seiner Unbeholfenheit den Lesern ans Herz. Das ist die große Kunst der Autorin, die in ihrem Buch ungewöhnliche Parallelen herstellt: Zwischen der deutschen Teilung und der Trennung von Eric von Laura. Zwischen der Flucht von Vater und Sohn über die deutsch-deutsche Grenze und Erics Flucht mit Meadow. Zwischen Erics Mutterlosigkeit und Meadows drohender Vaterlosigkeit. Ein ungewöhnliches, lesenswertes Buch.
Info: Amity Gaige, Schroders Schweigen, Hanser, 314 S., 19,90 Euro