Eine Liebe über die Grenzen: Lukas Hartmanns „Abschied von Sansibar“

„Wie die Zeit vergeht, sich dehnt, wie sie lastet und manchmal verschwindet: das ist eines der Rätsel, die er nicht mehr lösen wird. In jeder Sekunde kann ein ganzes Leben enthalten sein.
Lukas Hartmann hat wieder getan, was er so gut kann wie kaum ein anderer: Geschichte lebendig gemacht. Diesmal hat sich der Schweizer Autor („Bis ans Ende der Meere“, „Räuberleben“) von einer märchenhaften Liebe inspirieren lassen, die in einem Drama endete.  

Aus der Sicht ihrer drei Kinder schreibt Lukas Hartmann über Salme, Prinzessin von Sansibar, die der Liebe wegen zu Emily Ruete wurde, der Frau eines Hamburger Kaufmanns. Sie hat wohl nie ganz Wurzeln geschlagen in der neuen Heimat, für die sie immer eine Exotin blieb. Und noch im hohen Alter, als sein Leben in Sekunden an ihm vorüber zieht, wundert sich ihr Sohn Rudolph Said-Ruete, wie es möglich ist, „einen Menschen so zu lieben, dass man sein altes Leben für ihn wegwirft“. 
Denn das hat Salme getan. Sie hat Sansibar gegen Hamburg eingetauscht, den Palast gegen ein Bürgerhaus, den Islam gegen das Christentum, hat ihre Wurzeln gekappt. Doch das Glück mit dem geliebten Mann, der sie so stolz den Hamburger Bürgerkreisen präsentiert, währt nur kurz: Heinrich Ruete stirbt bei einem Unfall und Emily muss mit drei Kindern und immer weniger Geld zurecht kommen. Die Aussicht auf ein Erbe in Sansibar zerschlägt sich ebenso wie Emilys verzweifelte Hoffnung auf Versöhnung. Die Ex-Prinzessin, wird erst zum Spielball machtpolitischer Interessen, dann zur Almosen-Empfängerin – und ihre Kinder leiden mit ihr. Auch sie oszillieren zwischen den Welten, die zwei Töchter Antonie und Rosalie heiraten national-konservative Männer, der Sohn eine Jüdin aus reichem Haus. 
Vom Orient in den Okzident und mitten hinein in die beiden Weltkriege führt dieser historische Roman, von einer himmelhochjauchzenden Liebe in tiefste Verzweiflung, von ausgelassenen Kinderspielen zur kühlen Abgeklärtheit des Alters. Lukas Hartmann hat viel gelesen und recherchiert, um sich in die Charaktere einzufühlen. Es ist ihm so gut gelungen, dass man dabei zu sein glaubt, wenn Emily in tiefe Depression verfällt, wenn die erwachsenen Kinder über ihrem Grab in Streit geraten oder wenn Rudolph über sein Leben sinniert und Rosalie über die letzten Tage der Mutter schreibt. 
Im Palast von Sansibar in Stone Town gibt es eine Ausstellung über Prinzessin Salme, ihre Gewänder, ihr Leben, ihr Schicksal mit Auszügen aus ihrem Buch, den „Memoiren einer arabischen Prinzessin“. In Hamburg wird das Grab der Familie Ruete auf dem Friedhof von Ohlsdorf weiterhin gepflegt und nun hält auch Lukas Hartmann das Andenken an eine Prinzessin wach, die aus dem Märchenland kam und deren Liebe kein glückliches Ende beschieden war. 
Info: Lukas Hartmann, Abschied von Sansibar, Diogenes, 330 S., 22,90 Euro  

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