Wahrheit? Eine Frage der Interpretation: Elanor Dymotts „Bevor sie mich liebte“

Sie haben sich in Oxford kennen und lieben gelernt: Alexander und Rachel. Und ausgerechnet in Oxford bei einem Ehemaligentreffen wird Rachel ermordet. Für Alexander bricht eine Welt zusammen. Der verwaiste Ehemann sucht nach Erklärungen: Wie konnte es geschehen, dass seine Frau praktisch vor seinen Augen erschlagen wurde? Von wem? Was hat er übersehen?

Ein halbes Jahr später kommt er auf Einladung seines Mentors, des emeritierten Literaturprofessors Harry, bei dem auch Rachel studiert hat, zurück nach Oxford. Harry, den Alexander nur als integeren Wissenschaftler erfahren hat, konfrontiert ihn mit seiner Version der Ereignisse – und die lässt Rachel in einem ganz neuen Licht erscheinen. Alexander merkt, dass er seine Frau eigentlich nicht gekannt hat, zumindest wusste er nichts von Rachels Vorleben und ihren etwas merkwürdigen Vorlieben. Die neuen – schmerzhaften – Erkenntnisse zwingen ihn auch zu einer Neu-Bewertung des Mordes, nicht aber zu einer Neubewertung seiner Liebe.
Er muss erkennen, dass seine Sicht der Ereignisse nur eine der möglichen Versionen ist ebenso wie Harrys Version nur einen Teil der Wahrheit beinhaltet. Und was wusste Evie, Rachels seltsam ungerührte Tante? Welche Rolle spielte Anthony, Rachels Studienfreund? Schließlich: War Cissy, die dritte im Bunde von Harrys Lyrikstudenten, wirklich in den USA, als der Mord geschah? Den Tathergang muss sich Alexander aus vielen Puzzleteilen zusammenstellen. Und selbst dann, als er endlich weiß, wer der Mörder ist, kann er die Schuldfrage nicht wirklich beantworten.
Elanor Dymotts erstaunlicher Romanerstling ist mehr als ein Krimi, mehr auch als ein Psychothriller. Die Juristin und Gerichtsreporterin zeigt in „Bevor sie mich liebte“ auch, wie subjektiv unsere Wahrnehmung ist und dass es nie auch nur eine Wahrheit gibt. Es ist immer eine Frage der Interpretation. 
Info: Elanor Dymott, Bevor sie mich liebte, Kein und Aber, 510 S., 22,90 Euro

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