„Die Zeit vergeht nicht, alles andere vergeht. Die Natur. Die Materie. Die Menschheit. Aber die Zeit nicht. Die Zeit gibt es nicht.“ Peter Taler würde sich wünschen, dass das, was der alte Mann ihm da sagt, stimmt. Dann gäbe es eine Chance, dass Laura noch lebt, dass jener Tag, an dem sie an der Haustür erschossen wurde, gar nicht existiert.
Durch Zufall hat er den Nachbarn von gegenüber näher kennen gelernt, einen Sonderling, der schon vor 20 Jahren seine Frau verloren hat. Taler hat ihn beobachtet, wie er seit Lauras Tod aus purer Langeweile die Menschen seiner Umgebung beobachtet – und dabei gesehen, wie der alte Mann die Pflanzen der Nachbarn ausriss. So kommt er mit Knupp ins Gespräch und wird vom Mitwisser zum Mitverschworenen. Denn Knupp will nichts weniger als die Zeit zurückzudrehen – bis vor den Tod seiner Frau und diesen Tod damit rückgängig machen. Dafür würde er sogar Berge versetzen, wenn es denn sein müsste. Was Knupp für seine fixe Idee schon getan hat, ahnt Taler nicht, als er sich von dem alten Mann und seiner „Die-Zeit-existiert-nicht-Theorie“ anstecken lässt – auch in der Hoffnung mehr über die Hintergründe von Lauras Tod zu erfahren.
Die Überlistung der Zeit wird zu Talers Lebensinhalt, er engagiert einen Regisseur, der dabei helfen soll, alles wieder so herzurichten, wie es vor 20 Jahren ausgesehen hat, damals als Martha Knupp starb ohne die Zeitung mit dem Nachruf auf Roy Black gelesen zu haben. Auch die Zeitung wird beschafft, die ganze Straße wird in die Vergangenheit zurück versetzt. „Dreharbeiten“ lautet das Zauberwort. Dafür lassen sich die Nachbarn ködern. Und Taler zahlt, er zahlt mehr als er je besessen hat, manipuliert Firmengelder. Alles nur für den alten Sonderling, der ihm einen neuen Lebensinhalt geschenkt hat und der ihm zum väterlichen Freund geworden ist? Oder auch für sich selbst? Als der Set stimmt, steigt Taler aus. Er weiß jetzt, was er im Eifer des Gefechts übersehen hatte.
Soweit die – zuweilen etwas langatmige – Geschichte eines Versuchs der Gegenwartsbewältigung durch die Rückkehr in die Vergangenheit. Doch Suter wäre nicht Suter, wenn er nicht noch eins draufsetzen würde. Einen Knalleffekt zum Schluss. Und trotzdem nichts als die logische Konsequenz des Vorausgehenden.
Wenn auch manch ausufernde Beschreibung der Regiearbeiten die Geduld der Leser auf die Probe stellen – Suter hat es wieder mal geschafft zu verblüffen. Mit etwas, das uns Neuzeit-Menschen am meisten fehlt: Zeit.
Info: Martin Suter: Die Zeit, die Zeit, Diogenes, 296 S., 21,90 Euro
Info: Martin Suter: Die Zeit, die Zeit, Diogenes, 296 S., 21,90 Euro