Utah: Wandern und Skifahren in ein und demselben urlaub

Die Skistiefel habe ich eingepackt für diese Reise, die Wanderstiefel habe ich zuhause gelassen. Ein grober Fehler. Denn bei dieser Tour im Zion National Park hätte ich sie dringend gebraucht. Bloß, wer denkt schon daran, dass man mitten im Winter in den Bergen Utahs auch wandern kann? Angels Landing heißt unser Ziel. Landeplatz der Engel klingt gut. Und die betonierten Serpentinen entlang der roten Felskolosse sind bequem zu gehen. Immer wieder tun sich neue Ausblicke auf in eine urtümliche Landschaft mit schraffierten Felsen, bizarren Nadeln, Naturhöhlen und verkrüppelten Bäumen, die sich in ein Stückchen Erde krallen. Auf kahlen Ästen turnen Backenhörnchen. 

So unbeschwert wäre ich auch gerne. Doch hier oben gibt es keine betonierten Wege mehr, nur einen schmalen, ausgesetzten Pfad, hin und wieder mit einer Kette gesichert. „Die spinnen, die Amis“, schimpft ein Stuttgarter, „sonst geht ihnen Sicherheit über alles und hier gibt’s nicht mal ein Seil zum Festhalten.“ Vorsichtig tastet er sich über den schmalen Grat voran. Tief unter uns sind die wenigen Fahrzeuge zu Spielzeugautos geschrumpft, bilderbuchschön schlängelt sich der türkisblaue Fluss durch die roten Felsen. Es ist eine Landschaft, die demütig macht. 
Dazu muss man nicht einmal auf schwindelerregenden Pfaden wandeln, die archaische Schönheit dieser Felsformationen kann man auch auf einfachen Spaziergängen erleben. Im Snow Canyon beispielsweise. Nein, hier liegt kein Schnee. Es sind auch nicht die weißen Berge, die so auffallend mit den roten Felsen kontrastieren, die dem Canyon seinen Namen gaben. Er heißt ganz banal wie der erste Siedler, der hier Land aufkaufte. Der Weg mäandert durch eine uralte Landschaft, in der nur noch die Dinosaurier fehlen. Unter den seltsamen Felsformationen mache ich mal ein Krokodil, dann eine Sphinx oder einen Hai aus. Die Erosion hat die merkwürdigsten Skulpturen geschaffen. Schrundige Felsen, von grünem, samtweichem Moos überzogen, säumen den Weg durch den roten Sand, dazwischen graugrünes Buschwerk, durch das ein Hase springt. Stille. Am Horizont türmen sich dunkle Wolken auf. Die letzten Sonnenstrahlen tauchen die Landschaft in ein dramatisches Licht. Hier zwischen den schroffen Felsen haben Robert Redford und Paul Newman Szenen von „Butch Cassidy and the Sundance Kid“ gedreht. 
Das danach benannte Filmfestival findet alljährlich in Park City statt. Robert Redford, dem das nahe gelegene und vielfach ausgezeichnete Sundance Resort gehört, hat es zum internationalen Erfolg geführt. Zusammen mit Sydney Pollack, der die Idee hatte, das Filmfest in den Januar zu verlegen. Denn dann ist das 8500-Seelen-Städtchen Park City ein Wintersport-Dorado, dem „Hollywood die Türen einrennt“ (Pollack). Und das nicht erst seit 2002, als die Olympischen Winterspiele von Salt Lake City die Berge von Park City und Deer Valley weltbekannt machten. 
Bei jedem Schwung staubt es. Puderleicht ist der Schnee. Die Skier schrammen nicht über Eisplatten, sondern gleiten dahin wie auf Sahne und vermitteln mir das trügerische Gefühl, ich könnte richtig gut Ski fahren. Das ändert sich schnell, als ich mich in eine „double-black-diamond“- Piste wage, eine rabenschwarze Abfahrt. Steil ist sie und voller Buckel, halb so hoch wie ich. Wie gut, dass man hier überall ausweichen kann auf leichtere Pisten. Dafür ist gesorgt, auf diesen durchgeplanten Skibergen. Skifahren in Amerika ist immer noch etwas Besonderes und Skifahren in Utah ein echtes Erlebnis.
Treasure Mountain Resort hieß Park City früher einmal. Denn die Wasatch Mountains bargen tatsächlich einen Schatz: Jahrzehnte lang förderten die Bergleute Gold, Silber und Blei aus ihren Tiefen und bescherten der abgeschiedenen Gegend einen – kurzlebigen – Boom, der ein paar Leute richtig reich machte. Als der Bergbau gegen Mitte des 20. Jahrhunderts unrentabel wurde, verarmte Park City und drohte, zur Geisterstadt zu verkommen. Doch dann entdeckten findige Manager der United Park City Mines Company eine neue Goldmine – den Wintersport. Das war 1963. Kurzerhand wandelten sie den Tunnel der alten Spiro Mine zum Untergrund-Skilift um. Ein Minenzug brachte die Skifahrer drei Meilen weit in den Berg hinein, von wo aus sie ein alter Minenaufzug an die Oberfläche beförderte. In 600 Metern Höhe stiegen sie dann gleich ins Skigebiet ein. Heute endet dort der Thaynes Sessellift. Und kaum jemand ahnt, dass sich unter diesen perfekt gestylten Skibergen ein riesiges Tunnelsystem ausbreitet, so groß wie das der New Yorker U-Bahn. Nur wer die Augen offen hält, kann hie und da noch Spuren des Bergbaus entdecken: verrostete Förderräder etwa oder verfallene Hütten am Rand der Skipiste.
Es sollte auch noch weitere 20 Jahre dauern, bis Park City zu dem wurde, was es heute ist. 1971 verkaufte die Minengesellschaft das Resort an Edgar Stern, der Aspen entwickelt und auch in Utah hochfliegende Pläne hatte. Er scheiterte an den Hypotheken. 1975 kaufte Nicholas Badami das Resort. Aber erst als sein Sohn Craig 1985 den Weltcup nach Park City brachte, war das Städtchen als Ski-Ort etabliert. Dem Bilderbuch-Örtchen merkt man an, dass es von Minenbesitzern gegründet wurde – und nicht von asketischen Mormonen. Es gibt drei Mikro-Brauereien, eine Whisky-Destillerie und das Egyptian Theater, in dem beim alljährlichen Sundance Film Festival internationale Independent-Filme über die Leinwand flimmern. 
Mein „Oxygen Level“ ist bei den rasanten Abfahrten in Deer Valley ziemlich belastet. Schließlich bin ich kein Bode Miller. Und Judy, unser Guide, heizt nur so die Pisten hinunter nach dem Motto „Ausruhen können wir im Lift“. Die burschikose 45-jährige Drogistin, die fast so schnell redet wie sie Ski fährt, ist eine von 45 Mountain Guides, die ortsunkundigen Skifahrern die tollsten Abfahrten und schönsten Aussichten („kodak stops“) im „besten Skigebiet Nordamerikas“  – dazu wurde Deer Valley 2011 zum vierten Mal gekürt – zeigt. Hier, wo sich 16-Millionen-Villen am Pistenrand reihen wie bei uns Bergbauernhäuser und man für eine Nacht in einem der exklusiven Hotels schon mal 800 Dollar locker machen muss, müssen Snowboarder draußen bleiben.
Ist Deer Valley mit den sensationellen Villen und teuren Hotels der Spielplatz der Superreichen unter den drei Skigebieten von Park City, bietet The Canyons das größte und wohl auch sportlichste Terrain für Skifahrer und Snowboarder. Und es hat mit dem Orange Bubble auch den einzigen Lift mit Sitzheizung. Ansonsten sind die Lifte für meine Begriffe eher spartanisch, teilweise sogar ohne Sitzpolster. Oft fehlt auch der Bügel, der mir beim Schweben über tiefe Einschnitte ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Und Fußraster, auf denen sich meine strapazierten Beine erholen können, sind eine Seltenheit. Bennet, 28 und Pistenpatrol aus New Jersey, vermisst sie nicht. „Cool“ findet er die Aufstiegshilfen und mokiert sich über mein deutsches Sicherheitsbedürfnis. Was ihn aus New Jersey in den Mormonenstaat gebracht hat, will ich wissen. Bennet schüttelt seine dunklen Locken und lacht. „Das, was da vor dir steht. Die Berge, was sonst.“ 
Ja, was sonst? Der „greatest snow on earth“, dessen sich Utah rühmt und von dem jährlich neun Meter fallen. Die 38 Quadratkilometer „befahrbares Terrain“ in den drei Skigebieten mit 426 Abfahrten in grün, blau und schwarz, also leicht, mittel und schwer. Die Freiheit, da zu fahren, wo man Lust hat: auch zwischen den Bäumen, im Tiefschnee und über die Buckel. Die Freiheit auch, mit dem Schneemobil durch den Cedar Breaks Nationalpark zu brettern mit grandiosen Ausblicken auf ein weiß bestäubtes Amphitheater aus rotem Fels. 
James gibt die Richtung vor. Der 32-Jährige mit dem blonden Kinnbart und der Narbe auf der Backe reitet seinen Motorschlitten wie ein Cowboy sein Pferd, oft im Stand. Durch die hohen Aspen-Trees, die wie die Säulen einer Kathedrale in den tiefblauen Himmel ragen, fährt er uns voran, dann wieder vorbei an verkrüppelten Bäumen, die in ihrem Schneekleid wie Gespenster aussehen. Dazu passen dann auch die Geschichten , die James erzählt – vom Skifahrer, der über die Berge bis zum Highway fahren wollte, im Tiefschnee stecken blieb und erst zwei Tage später gefunden wurde – half erfroren. Oder von der Mountainbikerin, die von einem Puma angefallen wurde und nur überlebte, weil ihre Freundin die Wildkatze beherzt mit eine Stock in die Flucht schlug. 
Utah ist eben immer für ein Abenteuer gut. 
Ein Kommentare
  • Grandaris Canaria
    März 17, 2013

    Hola,
    vielen Dank für den sehr informativen Artikel und vor allem für die wunderbaren Fotos. Es hat mich gefreut ihn zu lesen.
    Viele Grüße aus Spanien.

    Sinceramente suyo
    Grandaris C.

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